Ein Stück Zukunft in der Gegenwart
An einer Veranstaltung von bausinn.ch stellten sechs von 25 000 Nachwuchskräften im Bau vor, wie Innovationen heute bereits Teil ihrer Ausbildung und ihres Alltags sind.

Solartechnologie im Geländer oder Beschattungssystem
Der Klimawandel macht vor der Schweiz nicht halt. Mehr erneuerbare Energie und mehr Recycling sind dringend gefragt. Im Bau sind bereits zahlreiche Lösungen im Einsatz, oft auch von kleineren Unternehmen entwickelt. Der 20-jährige Ron Mathis lernt bei solch einem Unternehmen einen der fünf Berufe im Berufsfeld Gebäudehülle. Als Abdichter sorgt er für trockene oder begrünte Flachdächer, Terrassen und Vordächer. Und er lernt den Einbau von Solartechnologie. Die Grundlagen dazu erwirbt er nicht nur im Betrieb, sondern auch in der Berufsfachschule Polybau in Uzwil. Ron Mathis erklärt: «Aus technischer Sicht können wir in der Schweiz punkto Solartechnologie weltweit mithalten. Doch die Umsetzung ist sehr zaghaft. Mit der Energiewende hofft mein Chef auf neue Systeme der Finanzierung.» Sein Arbeitgeber Schürch-Egli in Sempach lässt sich von Hindernissen nicht vom Erfolg abbringen. So hat das 35-köpfige Unternehmen gerade ein neues Montagesystem für Solarmodule auf Flachdächern patentieren lassen. Weil es sehr einfach konzipiert ist, geht die Montage viel rascher. Photovoltaik wird dank der viel dünneren Komponenten auch an einer runden Fassade und an Balkongeländern eingebaut. Ron Mathis: «Bei einem nach Süden ausgerichteten Balkon produzieren die Solarzellen bis zu 70% des Stroms – und das Geländer verursacht kaum Mehrkosten. Fassaden und Geländer mit Photovoltaik produzieren im Gegensatz zu Dächern auch im Winter bei tiefem Sonnenstand viel Strom. Und selbst transparente Schattensysteme könnten Strom produzieren.»
Verputzinnovation am Palace Hotel hält 100 Jahre
Recycling und Langlebigkeit von Materialien sind aktuelle Anforderungen des Klimaschutzes. Mit diesen Themen hat die 18-jährige Angela Koch täglich zu tun. Sie macht bei Halter & Colledani in Sarnen eine Zusatzlehre als Gipserin-Trockenbauerin. Nach ihrer Lehre als Detailhandelsangestellte sehnte sie sich nach einem handwerklichen Beruf. Begeistert ist sie von der ökologischen Seite ihres Berufes wie z.B. der Rezyklierbarkeit von Gipsplatten oder der neuen Generation von hydrophilen Verputzarten, die Verschmutzungen durch Algen verhindern. So bleiben Oberflächen länger schön. Dieser Putz, welcher vor allem an Wärmedämm-Verbundsystemen angewendet wird, ist biozidfrei und umweltfreundlich. Der Algenbewuchs muss somit nicht mehr mit umweltschädlicher Chemie bekämpft werden. Vielmehr werden die Gesetze der Bauphysik genutzt, um die Bildung von Tauwasser zu verhindern. Damit entsteht die Feuchtigkeit erst gar nicht, die zum Algenbefall führt. Ein aktuelles Beispiel ist das gerade eröffnete 550-Millionen-Projekt Palace Hotel auf dem Bürgenstock. Der hydrophile Verputz ist wetterbeständig und erfüllt auch die Auflagen des Denkmalschutzes. Angela Koch: «Das wird nun die nächsten 100 Jahre halten.»
Schutz vor Feuer und Schüssen
In der Schweiz sind viele vor 30 Jahren gebaute Brandschutzlösungen bereits veraltet. Wie wichtig es ist, den Übergriff eines Brandes auf das ganze Gebäude zu verhindern, hat der Brand in London gezeigt. Die 19-jährige Metallbaukonstrukteurin Céline Werren ist in einem Unternehmen tätig, das sich dem Thema Sicherheit verschrieben hat. Die SWM Metallbautechnik hat mit ihren 50 Mitarbeitenden neuartige transparente Brandschutztüren entwickelt, die wie normale Schiebetüren oder Glastüren aussehen. Auch für den Schutz vor unberechtigtem Zugang zu Gebäuden hat ihr Arbeitgeber Lösungen parat. Nach Terroranschlägen gehen bei SWM Metallbautechnik jeweils entsprechende Anfragen ein. Deshalb liefert das Unternehmen nicht nur transparente Brandschutztüren, sondern auch schusssichere Elemente. Beim Schutz vor unberechtigtem Zutritt kommen Iris-Scanner, Gesichtserkennung und Motorriegelschlösser ins Spiel. Céline Werren plant und konstruiert auch bei Projekten im Bereich Sicherheit mit. «Besonders cool finde ich es, in der Werkstatt nachzuschauen, wie weit sie mit meinem Projekt schon sind.»
Kürzere Wege im Spital
Digitalisierung verändert die Planung und Umsetzung im Bau wie auch bereits die Forschung zum Beispiel nach neuen Materialien. Der lernende Maurer Pascal Ackeret (16) kommt in der Ausbildung mit BIM (Building Information Modelling) in Berührung. Die «Bauwerk-Daten-Modellierung», wie es auf Deutsch heisst, erschafft das Gebäude erst einmal virtuell. Pascal Ackeret erklärt, wo die digitale Technologie nicht nur Kosten senkt, sondern auch Leben retten kann: «In der Firma Marti haben wir mehrere Projekte mit BIM realisiert. Eins betrifft das Felix-Blatter-Spital in Basel, das bis 2019 fertiggestellt wird. Der Bau von Spitälern profitiert vom BIM extrem, denn die komplizierte und verwinkelte Bauweise eines Spitals kann zum Problem bei der Benützung werden. Durch die 3D-Technik kann man während der Planung das Gebäude mit einer Virtual-Reality- Brille betreten.» Das heisst, dass schon vor dem Bau die jeweils optimalen Wege für das Pflegepersonal und die Patienten gefunden werden. So wird nicht nur der verfügbare Raum besser genutzt, sondern auch im späteren Spitalalltag sehr viel Zeit gespart, die sonst für unnötige Wege gebraucht worden wäre. Das kann schliesslich Leben retten: Die Schwangere kurz vor Geburt, das Unfallopfer und der Patient auf dem Weg zur Operation – sie alle profitieren von einer gut durchdachten Infrastruktur. BIM beginnt bereits bei der Vermessung und hält Einzug in der Ausbildung der Maurer. Denn Vermessen passiert digitaler. Vermessungsgeräte sind heute mit GPS ausgerüstet.
Gerüst: Sicherheit für mehr Spass
Arbeitssicherheit ist ein wichtiges Thema im Bau, von dem über 300 000 Mitarbeitende profitieren. Die Gerüstbauer bauen Arbeitssicherheit für die anderen Baufachkräfte. Dabei brauchen die Gerüste weniger Sicherheit «von aussen», sondern sind zunehmend freistehend. Sie müssen nicht mehr zwingend rückverankert werden. Alternativ können sie mit Betonklötzen ballastiert werden. Die grösste Herausforderung ist dabei die genaue Berechnung der Windlasten, da ein Gerüst bei starkem Wind stehen bleiben muss.
Der 19-jährige Joel Blumer lernt Gerüstbauer bei der Roman Hermann AG in Schaan. Er schwärmt: «Dieses Jahr durfte ich bei einem grösseren Objekt mitarbeiten. Unser Kunde hat eine grosse Lagerhalle abgebaut. Die Problematik war, dass diese mitten im Firmenareal stand und tagtäglich über 1000 Passanten vorbeigehen. Gleichzeitig nutzt unser Kunde das Gerüst auch als überdimensionale Werbefläche.» Freistehende Gerüste werden auch sehr oft im Eventbau eingesetzt – wie zum Beispiel beim Eidgenössischen Schwingfest. Das ist auch beim Musikfestival der Fall, das jedes Jahr bei der historischen Burgruine Schellenberg stattfindet. Die Burgruine wurde erstmals im 12. Jahrhundert erwähnt und ist denkmalgeschützt. Jeweils im August entsteht eine Tribüne mit 576 Sitzplätzen, eine Bühne mit Platz für 300 Musiker und Tänzerinnen, ein Turm hinter der Burgruine sowie eine Vielzahl an Treppen, Zugängen und Rampen. «Da die Zufahrt sehr eingeschränkt ist, fliegen wir einen Grossteil des benötigten Materials – insgesamt 130 Tonnen – per Helikopter an die richtigen Stellen. Aufgrund des Denkmalschutzes dürfen wir keinen einzigen Nagel schlagen oder irgendwo ein Loch graben. Dadurch sind auch hier alle unsere Eventbauten in sich selbst tragend.»
Zusammenschweissen: das Grossprojekt in Reichenau
Bei Gerüsten, Betonstahl und Brandschutztüren kommt Stahl zum Einsatz. Da läuft nichts ohne das Schweissen. Auch das ist heute digital – so entsteht eine riesige Brücke der Rhätischen Bahn mit Hilfe einer digital gesteuerten Schweissmaschine in einer Werkstatt in Jona. «Der Neubau der zweiten Hinterrheinbrücke Reichenau in Graubünden ist ein Projekt in einer Dimension, das in allen Belangen höchste Anforderungen stellt», meint der Metallbauer Markus Leuzinger, der gerade eine Weiterbildung zum Schweissfachmann abgeschlossen hat. Das Projekt der Rhätischen Bahn läuft bis 2019. Der Bahnbetrieb wird während aller Bauphasen aufrechterhalten. Die neue, 200 m lange Stahlbrücke mit V-Stützen und einem Trogquerschnitt bildet das Kernstück des Projekts. Sie trägt den Namen «Sora Giuvna» und wird den Hinterrhein sowie die Nationalstrasse A13 überspannen. Seit wenigen Wochen werden in der Werkstatt von Schneider Stahlbau in Jona Bauteile gebaut und geschweisst. Die Baugruppen sind bis 16 Meter lang, 3 Meter hoch, 6 Meter breit und haben Stückgewichte bis 60 Tonnen. Die fertigen Bauteile werden später auf die Baustelle transportiert. Dort wird zu diesem Zeitpunkt eine Feldwerkstatt aufgebaut sein. Das heisst, dass dort die Bauteile weiter zusammengeschweisst und schliesslich mit dem Kran montiert werden.





