Haus- und Wohnungsbau – Wertbeständige Wohn-Immobilien

In der Schweiz wird zurzeit immer noch rege gebaut. In den letzten Jahren seien jährlich etwa 50 000 neue Wohnungen hinzugekommen, schätzt der Baumeisterverband.

Sibylla Amstutz
Prof. Sibylla Amstutz, dipl. Arch. HTL/SIA/VSI. ASAI, ist Leiterin der Forschungsgruppe Innenarchitektur an der Hochschule Luzern – Technik & Architektur.
Nutzungsflexibilität

In der Schweiz wird zurzeit immer noch rege gebaut. In den letzten Jahren seien jährlich etwa 50 000 neue Wohnungen hinzugekommen, schätzt der Baumeisterverband. Angekurbelt wird die Bautätigkeit nicht so sehr durch die steigende Nachfrage, sondern vielmehr durch Investoren, die ihr Kapital aufgrund der Negativzinsen in Wohn-Immobilien anlegen. Ob diese Immobilien längerfristig tatsächlich rentabel sind, muss der Markt zeigen. Insbesondere dann, wenn es zu viele Wohnungen gibt und die Mieterinnen und Mieter auswählen können, wird sich entscheiden, ob alle diese neu erstellten Wohnungen heute und auch in Zukunft Abnehmerinnen und Abnehmer finden werden. In der Wachstumsphase der 1950er- bis 1970er-Jahre herrschte ein ähnlicher Bauboom. In dieser Zeit wurde das moderne Wohnen propagiert, es entstanden ganze Stadtteile und Agglomerationsgürtel. Heute zeigt sich, dass eine der grossen Herausforderungen bei der Instandsetzung dieser Wohnbauten in ihrem Wohngrundriss liegt. Die Zimmeraufteilung entspricht nicht mehr den Wohn- und Komfortansprüchen der heutigen Mieter-Generation. Das Gleiche gilt für die Wohnfläche: 1950 lag sie pro Person im Durchschnitt bei gerade mal 25 m², heute liegt sie nahezu beim Doppelten.

Realitätsfremde Grundrisse

Heute wie damals liegt der Grundrisskonzeption von Wohnungen lediglich eine vage Vorstellung der künftigen Bewohnerinnen und Bewohner zugrunde. Lucius Burckhardt schrieb 1961 dazu in einem Artikel: «Weil die Wohnung für alle passen soll und weil sie fünfzig Jahre lang einen Zins abwerfen muss, deshalb ist sie für keine bestimmte Familie gemacht. Nicht einmal für die durchschnittliche Familie unserer Jahre. Nicht die reale Familie von 1960 liegt der Wohnung als Muster zugrunde, sondern ein Phantom, das Phantom der Familie der nächsten 50 Jahre, wie sie der Planer sich vorstellt».Die reale heutige Familie entspricht nicht diesem vor 50 Jahren entworfenen Phantombild. Und es steht zu vermuten, dass es auch heute nicht möglich ist, die Zukunft und die Bedürfnisse der künftigen Mieter vorauszusagen. Umso mehr erstaunt es, dass noch immer die meisten neu gebauten Wohnungen auf dem idealisierten Bild einer drei- bis vierköpfigen Familie basieren und über eine traditionelle Einteilung mit grossem Wohnzimmer, Elternzimmer und Kinderzimmer verfügen. Dabei liegt der Anteil an Haushalten mit Kindern laut Bundesamt für Statistik bei nur 30 Prozent. Heute sind die Lebensformen vielfältiger als früher; Arbeiten und Wohnen verschmelzen. Mit einer Nutzungszuweisung der Räume wird weder den Veränderungen der letzten Jahrzehnte noch einer zukünftigen Weiterentwicklung Rechnung getragen. Bereits 1961 postulierte Lucius Burkhardt, dass wo starr gebaut wird, die Räume vielfältig verwendbar sein sollten. Diese Forderung hat heute noch ihre Gültigkeit, wird aber in den aktuellen Wohnbauten kaum umgesetzt. Dabei lassen sich gleichwertige Räume auf verschiedene Weise nutzen, was unterschiedlichen Lebensmustern, die wir uns unter Umständen noch gar nicht vorstellen können, entgegenkommt. Darüber hinaus hätten Wohnungen mit nutzungsneutralen Räumen auch den Vorteil, dass sie umgenutzt werden können, wenn eine Vermietung als Wohnung nicht möglich ist. Nebst den ökonomischen und ökologischen Faktoren sollte deshalb auch die Nutzungsflexibilität im Fokus stehen, damit eine Wohn-Immobilie wertbeständig bleibt.

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