Verdichtet arbeiten

Verdichtung ist nirgends so spürbar, wie im Büro. Waren früher 20 m² pro Mitarbeiter die Norm, rechnet der Planer heute mit 10 bis 12 m² pro Person.

Grossraumbüros
Hat das klassische Einzelbüro ausgedient? Foto: Office LAB
Immobilien und Innovation

Verdichtung ist nirgends so spürbar, wie im Büro. Waren früher 20 m² pro Mitarbeiter die Norm, rechnet der Planer heute mit 10 bis 12 m² pro Person. Die stetige Reduktion des Raumbedarfes von Bürolisten ist die Konsequenz eines synergetischen Zusammentreffens von technologischen Innovationen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Generell werden sich Ersteller und Verwalter von Büro- und Gewerbebauten auf markante Veränderungen einstellen müssen. Netzwerktechnologie, Cloud-Computing, Dokument-Management-Systeme – als ein Beispiel für die Digitalisierung − verkleinern den Platzbedarf der Mitarbeiter, erodieren Archivräume und physische Arbeitswege. Und es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis wir sperrige Ablagesysteme, Kopierer und Ringorder im Museum bewundern. Parallel zur IT-Revolution hat ein neues Work-Life-Balance-Verständnis den Stellenwert von Freizeit und Arbeitszeit neu definiert. Teilzeitarbeit, Job-Sharing oder das Homeoffice als seriöser Arbeitsplatz sind von Unternehmen wie Mitarbeitern akzeptiert, und viele Sitzungen finden mitunter tatsächlich in virtuellen Räumen statt. Beide Entwicklungen, die technologische wie die gesellschaftliche, haben den Bedarf an Büroflächen massgeblich verkleinert.Wie weit unsere neue Sicht auf die Arbeitswelt verändert ist, zeigt sich im Sprachgebrauch. Die Frames oder mentalen Schlüsselbegriffe, die unsere Sicht auf die Realität formen, sind zunehmend von Ausdrücken wie Clean Desk Policy und Rückzugszonen geprägt. Grossraumbüros und Coworking-Spaces sind zur Norm geworden, während an Worten wie «Einzelbüro» oder gar «Pausenraum» der Beigeschmack des Verstaubten haftet.

Stehen wir am Anfang oder am Ende der Entwicklung?

Ist dieser vielschichtige Verdichtungsprozess abgeschlossen, oder sind die letzten Jahre Vorboten weiterer anstehender fundamentaler Transformationen? Eine probates Mittel, Antworten auf schwierige Fragen zu finden, sind Gedankenspiele. Diese Denkübungen helfen, Szenarien, Visionen oder Trends zu fassen und das Ungewohnte, um nicht zu sagen das Undenkbare zu denken. Was wäre, wenn sich der CEO eines erfolgreichen Start-up entscheidet, auf einen Geschäftssitz ganz zu verzichten? Anstelle der Mietausgaben erhalten die Mitarbeiter ein individuelles Budget für die Kosten ihres Arbeitsplatzes. Sie arbeiten in Coworking-Spaces und in Homeoffices mehr oder weniger selbst organisiert. Auf den ersten Blick scheint ein Unternehmen ohne physischen Firmensitz eine Utopie. Historisch gesehen war die skizzierte dezentrale Organisation aber schon einmal die dominante Arbeitsform. Vom Ende des Mittelalters bis ins 19. Jahrhundert liessen erfolgreiche Unternehmer ihre Ware durch Heimarbeiter herstellen. Sie verteilten Produktionsmittel und Rohstoffe auf die individuellen Arbeitsorte, während Unternehmensführung, Logistik, Vertrieb und Finanzen zentral geregelt waren. Auch heute wären alle Voraussetzungen gegeben, wonach das «Verlagswesen» – so damals der Name dieser wirtschaftlichen Organisationsform – sinnvoll sein könnte.

Die Technologie für dezentrales Arbeiten ist vorhanden. Die mentalen Frames sind verankert, und das Bedürfnis vieler Menschen ist gegeben, nicht nur zeitlich, sondern auch örtlich flexibel zu arbeiten. Unabhängig vom Szenario spricht vieles dafür, dass Services und Back-Office-Tätigkeiten in den kommenden Jahren weiter ausgelagert und digitalisiert werden. Firmen wie Swiss Post Solutions bieten Outsourcing-Lösungen von klassischen Geschäftsprozessen an. In der Folge werden Unternehmen weniger klassische Büromitarbeiter beschäftigen und stattdessen Arbeitsplatzlösungen für nicht standortgebundene Wissensarbeiter finden müssen.

Veränderungen erkennen

Ein kreativer, zukunftsoffener Blick auf die Innovation der Büro- und Gewerbe-Immobilie ist angesichts der heutigen Trends und Fakten zwingend. Innovation heisst, Veränderungen erkennen und die richtigen Schlüsse ziehen. So gesehen war das iPhone – ein Wahrzeichen des Wandels – bei seiner Einführung keine wirklich revolutionäre Idee, denn die technologischen wie gesellschaftlichen Voraussetzungen für das Smartphone bestanden bereits unabhängig voneinander. Die Genialität bestand darin, dieselben neu und richtig zu kombinieren.

Konservatives Handwerk?

Weiten wir die Reflexion über die Zukunft der Gewerbeliegenschaft auf die Werkstatt und Produktionsflächen aus: Auf den ersten Blick hat sich bei den traditionellen Schreinern, Malern oder Sanitär-Installateuren sowie den kleineren und mittleren Fertigungsbetrieben nicht viel verändert. Sharing-Konzepte, Verdichtung des Raumbedarfs sind weniger ein Thema, und der Gedanke an Pop-up-Gewerberäume mutet (noch) skurril an. Der Diskurs über 3D-Druck und Industrie 4.0 könnte aber die Immobilienbedürfnisse des Gewerbes rascher ändern als erwartet. Auf jeden Fall besteht bei Gewerbe-Immobilien noch viel Innovationspotenzial. Und Industrie 4.0 wird nicht nur die Fertigung verändern, sondern auch Entwicklung, Vertrieb, Marketing, Logistik und so fort.

Innovativer Ansatz «Werkstadt Zürisee»

Ein neuer, pragmatischer Ansatz, mit der veränderten Herausforderung umzugehen, steckt im Projekt «Werkstadt Zürisee». Auf Initiative der Gemeinde Wädenswil entsteht derzeit am Stadtrand ein Gewerbe- und Innovationspark, während im Gegenzug in der Innenstadt Gewerbebauten neuer Wohnnutzung und neuen Begegnungszonen weichen. Im neuen Gewerbequartier nahe der Autobahn finden sowohl bereits in der Gemeinde ansässige kleine und mittlere Betriebe sowie attraktive Neuzuzüger ein neues Arbeitsplatzzentrum.

Hier konzentrieren sich Fachkräfte, Spezialisten, Produzenten und Dienstleister aus unterschiedlichen Branchen. Tür an Tür können sich Handwerksbetriebe, Ausbildungsstätten, Technologiefirmen austauschen, zusammenarbeiten oder sich als flexible Wertschöpfungsketten am Markt anbieten. Neu oder zumindest ungewohnt ist das Vorgehen der Stadt Wädenswil, das Areal zu erwerben, zu entwickeln und dann – zum Selbstkostenpreis – an das interessierte Gewerbe zu veräussern. Und neu ist auch die bewusste konzeptuelle Gestaltung des Gewerbeparks. Neues wird geschaffen durch eine Re-Allokation von Firmen in einem Umfeld, das die Zusammenarbeit und den Ressourcen-Austausch fördert und gemeinsame Visionen ermöglicht. Kurz, hier entsteht ein Coworking-Space in der Dimension einer Gewerbezone. Innovativ ist auch das Beispiel «Technologie-Cluster Zug». Indem das Unternehmen V-ZUG seine Fertigungsprozesse modernisiert und – unter anderem durch vertikale Anordnung von Produktionstrassen – räumlich verdichtet, steht bald mitten in der Stadt Zug Raum für eine neue Nutzung bereit. Auf dem freien Werkareal siedeln sich nun Industriebetriebe, technologienahe Dienstleistungen sowie Ausbildungseinrichtungen an, aber auch attraktive Wohnungen und publikumsnahe Attraktionen. Mit dem Ziel, Neues zu schaffen, soll «ein zukunftsfähiges Stück Stadt entstehen, das auf engem Raum Produktion, Forschung und Entwicklung, Gewerbe und Wohnen vereint», wie es der Planungsbericht der Behörden formuliert.

Verdichten neu denken

Die skizzierten Gedanken und Beobachtungen fordern uns auf, mehr über den künftigen Bedarf von Geschäfts-Immobilien nachzudenken. Wohin der Weg effektiv geht, ist offen. Eine Zukunft, in welcher White collar- wie Blue collar-Arbeiter weniger Immobilien-Ressourcen benötigen, scheint mehr als nur denkbar. Eins wird aber klar. Die Zukunft der Gewerbeliegenschaften ist eng verknüpft mit der Frage nach der Zukunft der Arbeitswelt.

Wie werden die Menschen künftig arbeiten? Welche räumlichen Ressourcen benötigen sie? Wichtig scheint, dass sich Investoren und Bauherren der Dynamik der globalisierten Arbeitswelt bewusst sind; Firmen agieren heute schnell, konsequent und agil. Innovation heisst auch, vermehrt über die systemische Verbindung von Arbeit, Freizeit, Mobilität, Wohnen nachdenken. Vieles spricht dafür, dass die Wissensarbeiter von morgen zu Hause, in einem Workspace oder unterwegs im Zug oder im selbst fahrenden Automobil arbeiten. «Verdichten neu denken» heisst, die technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sinnvoll zu verknüpfen. Kurz gesagt, die Arbeits- und individuellen Lebenswelten der Menschen organisieren sich neu. Welche Antworten hat die Immobilienwirtschaft auf die sich neu abzeichnenden Immobilienbedürfnisse?

Drei Beiträge zu Immobilien und Innovation

In einer dreiteiligen Serie diskutiert der Autor Werner Schaeppi das Thema Innovation im Kontext von Wohnungsmarkt, Büro- und Gewerbe-Immobilien sowie Verkaufsflächen in städtischen und peripheren Lagen. Die Entwicklung der Schweizer Immobilienwirtschaft basiert auf ihrem über Jahrzehnte aufgebauten Wissen über Märkte und Kunden. Erfahrungen und Tradition waren und sind Garant für ihren Erfolg. Die Digitalisierung und die Dynamik des technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels fordern nun ein neues Denken. Angesichts der globalen Kraft der Veränderungen muss die Schweizer Immobilienwirtschaft innovativer werden. Innovation ist eine Investition in die Zukunft, die es − wie jede andere Ressource − zu managen gilt.

Coworking-Space.
Altehrwürdiges Gebäude wird zum Coworking-Space. Foto: Creafactory
Dr. Werner Schaeppi
Dr. Werner Schaeppi berät und betreut als Mitinhaber der Zuger Kommunikations-Agentur Creafactory AG und des Forschungsinstitutes mrc, research & consulting ag, die Schweizer Immobilienbranche in Fragen der Kommunikation und des Innovations-Managements.
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