«Herausragendes» Wohnen
Der von Jonathan Burlow entworfene Anbau für ein Einfamilienhaus im britischen Hythe nimmt die Bewohnenden in die Pflicht der kreativen Entfaltung. Auf Minimalismus getrimmt, entsteht Wohnen mit vorstädtischem Charme als Reverenz an historisch ländliche Getreidespeichergebäude.

Die im 18. Jahrhundert im Süden Englands entstandenen Getreidespeichergebäude wurden üblicherweise getrennt vom Wohnhaus und auf einem Sockel gebaut, um Luftzirkulation zu gewährleisten und das gelagerte Getreide vor Ungeziefer zu schützen. Das Einfamilienhaus im britischen Hythe, Kent, nimmt sich diesen Baustil als Vorbild. «Sie sind eine in Südengland weitverbreitete Typologie, und sie werden zunehmend häufiger auf moderne Bau- und Lebensweisen übertragen», verrät der Architekt Jonathan Burlow.
«Over the edge»
Das Wohnhaus präsentiert sich als Gebäudekomplex, der sich aus einem bestehenden, in den 1980er-Jahren durch den damaligen Eigentümer erbauten Haupthaus sowie einem Anbau zusammensetzt. Die Separierung wird zur ästhetischen Ausdrucksform. Burlow kreierte die Erweiterung mit Betonsockel, um sie optisch vom Erdboden zu lösen. So ragt der Anbau über den Betonrand hinaus, um in einen Schwebezustand zu verfallen und Leichtigkeit zu demonstrieren – «over the edge». Die Erweiterung orientiert sich in ihren Elementen an den Bauten ihrer Umgebung. Grosse Fenster und das Schrägdach sind dafür markant. Die konstruktive Umsetzung erscheint hinsichtlich des Gebäudetypus und des ländlich geprägten Standortes ideal.
Reverenz an Getreidesäckespeicher
Lehmziegel bilden die Aussenwände. Deren Konturen sind von aussen deutlich ablesbar. Jene kompositorische Anordnung in der Fassadengestaltung des Erweiterungsbaus ist zugleich eine Reverenz an die alten Getreidespeichergebäude, in denen weisse Getreidesäcke typischerweise gestapelt wurden. Durch die helle Farbgebung nach innen und aussen entsteht ein harmonisches Gesamtbild. «Der neue Anbau steht als eigenständiges Strukturvolumen, dennoch gab es sorgfältige Detailüberlegungen, wie wir die bestehende Struktur berühren und das Risiko von Bewegungen zwischen den beiden Volumen reduzieren können. Die Verwendung von Glas war eine überzeugende und offensichtliche Lösung, um eine Verbindung zwischen dem alten und dem neuen Volumen zu schaffen», erklärt Jonathan Burlow. Die freitragende Ecke des Anbaus verzückt zudem durch konstruktive Individualität, da die Strukturplatte so manipuliert wurde, dass sie durch die freitragende Kante eine Dicke von 100 Millimeter erreicht. Auf diese Weise wird der Bodenaufbau niedrig gehalten und die Höhe der Stufe verringert.
Gebäudetechnische Installationen
Eine Fussbodenheizung im Betonboden dient zur Beheizung des Anbaus, für den ebenso wie den Hauswirtschaftraum eine natürliche passive Belüftung vorgesehen wurde. Darüber hinaus setzt das Gebäude Akzente hinsichtlich einer energieeffizienten Bauweise. «Das bestehende Haupthaus verfügt über eine Photovoltaikanlage. Die erzeugte Solarenergie gelangt von dort in einen Batteriespeicher, um damit das Haus und das Elektroauto mit Strom zu versorgen», erklärt Burlow.
Fantasie walten lassen
Der Architekt belegt den Innenraum mit einer Fähigkeit der Lebendigkeit. Ein sich aus sich selbst heraus entwickelndes Wohnhaus, an dem die Nutzenden einen grossen Anteil an der Weiterentwicklung haben. Die Innenräume wurden deshalb im Stil des Pragmatismus inszeniert. Helle Farben erzeugen strahlend reine Flächen, die sich mithilfe von Schattenwürfen zu einem räumlichen Konstrukt verbinden. Innenwände gleichen dadurch Leinwänden, die mithilfe von Einrichtungsgegenständen und Aktivitäten der Bewohnenden bespielt werden wollen. Der Baumeister tritt auf diese Weise angenehm in den Hintergrund und macht dadurch die Bewohnenden in einem auf ländlichem Charakter beruhenden, aber modern inszenierten Einfamilienhaus zu Hauptakteuren. ●
Bautafel
Objekt Einfamilienhaus
Standort Hythe, Kent, Grossbritannien
Fertigstellung 2019
Architektur Jonathan Burlow
Bruttogeschossfläche vor Umbau 62 m2
Bruttogeschossfläche nach Umbau 97 m2







