Alpinbau – Bauerei, Architektur oder Vision?

Zusammenführung von Kunst und Handwerk. Ja sogar als Heimstätte der Avantgarde der klassischen Moderne auf allen Gebieten der freien und angewandten Kunst und Architektur wird die Schule gesehen. Bis heute gilt sie als eine der einflussreichsten Bildungsstätten.

Carmen Gasser Derungs
Carmen Gasser Derungs, dipl. Innenarchitektin HfG/VSI.ASAI. MAS ZFH in Design Culture, hat in Zürich und Chicago Innenarchitektur und Szenografie studiert. Ihr Büro führt sie zusammen mit Remo Derungs in Zürich und Chur. Seit 2011 ist sie zudem als hauptamtliche Dozentin am Institut für Innenarchitektur (IIA) an der Hochschule Luzern tätig. Carmen Gasser Derungs ist Co-Leiterin von Das Gelbe Haus, Flims.
Alpine Architektur

Bekannterweise feiern wir dieses Jahr 100 Jahre Bauhaus. Die berühmte Kunstschule in Weimar und der daraus entstandene Baustil wurden 1919 von Walter Gropius gegründet. Als völlig neu galt damals die Zusammenführung von Kunst und Handwerk. Ja sogar als Heimstätte der Avantgarde der klassischen Moderne auf allen Gebieten der freien und angewandten Kunst und Architektur wird die Schule gesehen. Bis heute gilt sie als eine der einflussreichsten Bildungsstätten.

100 Jahre alpine Architektur

Weniger bekannt ist, dass wir 2019 bereits auch hundert Jahre alpine Architektur zählen können. Denn die 1919 publizierte Utopie des Berliner Architekten Bruno Taut schaffte einen malerischen Zugang zu den Alpen und die Verschmelzung von Architektur und Natur.

Der expressionistische Architekt reagierte auf die Grausamkeiten des Ersten Weltkriegs mit seinen 30 Zeichnungen in 5 Kapiteln, die er «Alpine Architektur» nannte. Ein Gedankenexperiment, das kein realer Plan zur Bebauung der Alpen in Glas, sondern ein Versuch der «Befreiung des Menschen durch Form, Farbe und Licht» sein sollte. Die Verwandlung der Alpen in eine überdimensionierte Kunstlandschaft. Ein Gegenentwurf zum Krieg auf Erden.

In den Zwanzigerjahren wurde für die neuen Gäste in den Bergen gebaut. Für Alpinisten, die erst nur im Sommer, etwas später auch vermehrt im Winter in die Berge kamen, baute man nun auch im Stil des Neuen Bauens. Neben noblen Hotels und einfachen Berghütten gehörten damals auch neue Typologien wie Seilbahnstationen zu den Bauaufgaben. In dieser Disziplin fehlten jedoch die Vorbilder. Das führte oft zu futuristisch anmutenden Bauten der Moderne in den Alpen.

Heute hat der Begriff einen stärkeren Praxisbezug als 1919. Umso mehr stellen sich die Fragen: «Gibt es die alpine Architektur überhaupt?» Oder: «Was bedeutet Bauen in den Alpen heute?»

Bauliche Eroberung der Alpen

Nicht nur Architekten, nein, Investoren und sogar die öffentliche Hand sind tatkräftig daran beteiligt, die Alpen und die Natur baulich zu erobern.

Nicht immer erfolgreich – zum Glück muss man sagen, für die Natur und unsere Nachwelt. So können wir davon ausgehen, dass der 381 Meter hohe Turm «Femme de Vals» in den Bündner Bergen eine gescheiterte Utopie werden wird. Das nur ein Beispiel einer von vielen alpinen Turmvisionen, wie sie in den vergangenen Jahren immer wieder mal aufgetaucht sind.

Bruno Tauts Ideen scheinen aber auch in realisierten Entwürfen zeitgenössischer Architekten ihre Bedeutung zu finden. So zum Beispiel auch in Mario Bottas Steinblume «Fiore di pietra» auf dem Monte Generoso.

Im roten Turm des «Origen Festival Cultural» auf dem Julierpass wird eine Vision wahr, wenigstens für ein paar wenige Jahre. Und hier ist es nicht die schiere Grösse des Baus, die Eindruck hinterlässt, sondern dessen Bedeutung von physischer Raumqualität in der Landschaft.

Die Verbindung von Natur mit Kultur, inspiriert vom Mythos des Turmbaus zu Babel. Die Motive der Überheblichkeit und des Untergangs prägen die Erzählung:

«Die Welt ist vergänglich, ein grosses Theater, das geschaffen wurde und am Ende vergeht», so der Intendant Giovanni Netzer. Hier auf dem Julierpass werden Utopien inhaltlich inszeniert und nicht zuletzt im Innern des Turms, mit Ausblick auf die Landschaft, erlebbar gemacht. ●

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