Corporate Architecture – Innenarchitektur im Dienst der Marken

Firmen nutzen zunehmend die identitätsstiftenden Möglichkeiten der Architektur und der Innenarchitektur, um ihre Botschaften über die real gebauten Kanäle zu transportieren. Dies ist im Retail zentral, da der Kontakt mit dem Kunden und den Produkten mit einem räumlichen Erlebnis der Marke verbunden werden soll.

Hanspeter Wirth
Hanspeter Wirth studierte Produktgestaltung in Zürich. Seine interdisziplinäre Arbeitsweise umfasst die Bereiche Industrial Design, Möbel-Design, TV-Set und Innenarchitektur. Seit 1995 ist er Dozent und Mentor in der Vertiefung Industrie-Design VID an der heutigen Zürcher Hochschule der Künste ZHdK und seit 2017 hauptamtlicher Dozent an der Hochschule Luzern am Institut für Innenarchitektur IIA. Heute führt er sein eigenes Büro für Beratung, Industrie-Design, Innenarchitektur in Baden.
Corporate & Retail Architecture

Firmen nutzen zunehmend die identitätsstiftenden Möglichkeiten der Architektur und der Innenarchitektur, um ihre Botschaften über die real gebauten Kanäle zu transportieren. Dies ist im Retail zentral, da der Kontakt mit dem Kunden und den Produkten mit einem räumlichen Erlebnis der Marke verbunden werden soll. Somit ist es folgerichtig, dass viele Marken eigene Flagship Stores betreiben, die zu 100 Prozent ihrer Corporate Identity entsprechen und so eine durchgehende Markenwelt schaffen, die sich von der Konkurrenz abhebt. Diese Strategie setzt sich auch im klassischen Handel durch. Um die Top-Marken im Einkaufshaus zu führen, gesteht man ihnen zu, in einem kleineren Format, sogenannten Store-in-Store-Konzepten, die eigenen Corporate-Design-Vorgaben umzusetzen. Diese Entwicklung birgt den Konflikt zwischen der Dominanz des Markenauftritts und dem Anspruch an die Architektur und Innenarchitektur in sich.Aus architektonischer Sicht verpflichtet sich ein Gebäude oder ein Innenraum in erster Linie dem Kontext des Ortes, der Geschichte und der Nutzung. Das Szenario, in dem der Mensch als Kunde oder Arbeitnehmer die Räume nutzt, gilt es aus dieser Sicht in den Mittelpunkt zu stellen. Gebaute Räume haben eine längere Haltbarkeit als Marken, die am Puls des Zeitgeistes bleiben müssen und sich deshalb alle 3–5 Jahre erneuern. Diesem Umstand gilt es Rechnung zu tragen und in fachlicher Kompetenz zu begegnen. Es muss zunehmend eine Diskussion darüber geführt werden, wie anhand der Lebenszyklen der Bauteile identitätsstiftende Merkmale eingesetzt werden. Man muss sich die Frage stellen, zu welchem Anteil die Gebäudeform, die Gebäudehülle, die Struktur, das Raumprogramm oder der Innenausbau Markenbotschafter sein können und sollen. Welche Elemente können in einem 5-Jahres-Rhythmus ein sanftes Marken-Update erhalten? Was passiert bei einem Zusammenschluss von Firmen und einer daraus resultierenden neuen Marke mit den Räumen und Gebäuden?

Weitsicht ist gefragt

Es braucht also Weitsicht in einer schnelllebigen Zeit. Tun wir dies nicht, entsteht ein Architekturzirkus, bei dem sich immer mehr Gebäude und Innenräume über ihre prägnante Gestaltung hervortun. Was wir heute noch als sehenswerte Einzelbauten betrachten, wird uns morgen in der Menge und Dichte zu viel. In unseren Städten entsteht eine Ansammlung von Retailshops der immer gleichen Marken und deren gleichen, sich profilierenden innenarchitektonischen Lösungen.

Doch wie verbindet man die Kultur des jeweiligen Landes, des Ortes und der Menschen mit dem Markenauftritt und der Corporate Identity einer Firma? Man justiert als Unternehmen den Fokus, sucht sich nationale Architekten, Innenarchitekten und Agenturen. Bringt sie an einem Tisch zusammen und setzten sich mit der Marke und deren Kernwerten im Kontext des Ortes und des Erlebnisses auseinander. Man stellt sich als Unternehmen der Diskussion, ist offen für Anpassungen und kann so auch seine Marke zusätzlich bereichern.

Als gutes Beispiel gilt die Marke AÉSOP, die für ihre Stores immer wieder neu in die örtlichen Strukturen eintaucht. Dabei engagiert sie sich für die Kultur der Region und recherchiert Geschichte und lokale Materialien. Das Gegenteil davon wäre, dass sich Agenturen nur mit der Marke und nicht mit dem Ort beschäftigen und eine Copy-and-paste-Lösung aus Bequemlichkeit propagieren. Roll-out-Lösungen sind der Feind des Inspirierenden, des Einzigartigen, des Authentischen. Sie sind kein Garant für wirtschaftlichen Erfolg und das Gegenteil von dem, was wir uns insgeheim wünschen.

(Visited 17 times, 1 visits today)

Weitere Beiträge zum Thema

up to date mit dem
Architektur+Technik Newsletter
Erhalten Sie exklusive Trends und praxisnahe Innovationen mit Architektur+Technik –direkt in Ihr Postfach.
anmelden!
Sie können sich jederzeit abmelden!
close-link