Infrastruktur – Dienen und zeigen

Manuel Pestalozzi hat an der ETH Zürich Architektur studiert. Von 1997 bis 2013 war er Redaktor von «Architektur+Technik». Anschliessend gründete er die Einzelfirma Bau-Auslese, die sich der Informationsvermittlung widmet.

Manuel Pestalozzi
Manuel Pestalozzi hat an der ETH Zürich Architektur studiert. Von 1997 bis 2013 war er Redaktor von «Architektur+Technik». Anschliessend gründete er die Einzelfirma Bau-Auslese, die sich der Informationsvermittlung widmet.
Infrastrukturbauten
Die Infrastruktur kann man sich als Heinzelmännchen der Zivilisation vorstellen. Sie ist allzeit bereit, um deren Funktionieren überhaupt zu ermöglichen. Wahrgenommen wird sie erst, wenn sie nicht reibungslos funktioniert. Infrastrukturbauten sind Zweckbauten und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ihre Hauptaufgaben sind das Beherbergen von Prozessen und das Lagern von Vorräten.Es ist zwar riskant, die Zivilisation mit dem Staat gleichzusetzen, doch in unseren Breiten ist es meistens er, der die Infrastruktur betreibt und für deren bauliche Ausformung verantwortlich ist. Traditionelle Infrastrukturbauten sind die städtischen Kornhäuser. Jenes in der Altstadt von Bern hat längst ausgedient, heute kennt man den Prachtbau als Kulturzentrum. Und unweigerlich wandern die Gedanken von dort zu Zürichs neuem Mühleturm. Er ist zwar ein privates Projekt, wurde aber in seinen gigantischen Ausmassen vom Volk an der Urne abgesegnet – als unübersehbares Wahrzeichen für die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. Die beiden Beispiele zeigen, dass Infrastrukturbauten die Siedlungslandschaft prägen können und Bedeutungsträger sind. Infrastrukturbauten sind in diesem Sinne politische Architektur. Es gab in der Geschichte immer wieder Baumeister und Architekten, die sich eingehend mit der Faszination dieses Bautyps auseinandersetzten.

Botschaft und Inhalt

Der Franzose Claude-Nicolas Ledoux (1736 – 1806) errichtete kurz vor der Revolution von 1789 an der rund um Paris verlaufenden Mauer der Generalpächter sogenannte Bureaux. Diese klassizistischen Zollstationen finanzierten nicht bloss den verschwenderischen Stil des Regimes, sie brachten ihn mit überschwenglicher Pracht und eigensinnig eingesetzten Stilzitaten auch sehr deutlich zum Ausdruck. Die Rotonde de la Villette, erbaut 1788, ist noch eines der wenigen Überbleibsel jenes Steuersystems, das bereits 1791 wieder abgeschafft wurde. Ledoux entwarf auch die königlichen Salinen von Chaux in Arc-et-Senans als Teil einer Versorgungsinfrastruktur. Die palastartige, symbolbeladene Anlage ist heute ein Museum.

In der Neuzeit war es vor allem die Elektrizität, die Infrastrukturbauten von bleibendem baukünstlerischem Wert hervorgebracht hat. In der Sowjetunion scheute das Regime keine Mühe, die grossen Stauwerke und Generatorenhallen als Kathedralen des Sozialismus in Szene zu setzen. In den USA wurde in den 1930er-Jahren mit Franklin D. Roosevelts «New Deal» die Tennessee Valley Authority (TVA) gegründet. Die solide gebauten Art-déco-Kraftwerke dieses bundesstaatlichen Unternehmens machen den Stolz über das damalige Entwicklungs-programm spürbar. Auch die Stromwirtschaft der Schweiz bringt ihre Bedeutung mit Bauten klar zum Ausdruck. Dabei muss man nicht immer an die grossen Kraftwerke denken, wie etwa jenes von Küblis im Prättigau oder jenes unterhalb von Eglisau am Rhein. Es gibt in manchen Gemeinden auch historische Transformatorenhäuschen, die einen festen Platz im betreffenden Ort erobert haben.

Aus den Augen, aus dem Sinn?

Moderne Infrastruktur gilt häufig als hässlich. Man lagert sie aus oder verbannt sie in den Untergrund. So kann man sagen, dass Infrastrukturbauten heute mehr denn je «Terratektur», Kavernen und Schächte sind. Fast nur noch die grossen Abfallverwertungsanlagen zeigen mitunter mit brachialer Pracht, was Infrastrukturanlagen für unsere Gesellschaft bedeuten. Es wäre zu begrüssen, wenn sich die Heinzelmännchen wieder stärker ans Tageslicht vorwagen würden.

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