Gegen den Altstadtverfall

Die Bewahrung hochrangiger Baudenkmale in Ostdeutschland, oft buchstäblich in letzter Minute, ist eine Erfolgsgeschichte der deutschen Einheit, die auch Einheitsskeptiker nicht infrage stellen. Doch damit sind auch unbeantwortete Fragen verbunden, mit denen sich das Projekt «Stadt-Wende» der Technischen Universität Kaiserslautern auseinandersetzt.

Altstadtverfall
Oderberger Strasse in Ostberlin 1987. Foto: Gerd Danigel, Berlin
Friedliche Revolution in der Stadterneuerung
Die Bewahrung hochrangiger Baudenkmale in Ostdeutschland, oft buchstäblich in letzter Minute, ist eine Erfolgsgeschichte der deutschen Einheit, die auch Einheitsskeptiker nicht infrage stellen. Doch damit sind auch unbeantwortete Fragen verbunden, mit denen sich das Projekt «Stadt-Wende» der Technischen Universität Kaiserslautern auseinandersetzt.

Für viele Altstädte und Altbauquartiere in der DDR war es 1989 fünf vor zwölf: «Wenn nicht schon abgebrochen, hatten sie vielfach einen Verfallsgrad erreicht, der einen baldigen Abbruch nahezu unausweichlich erscheinen liess», sagt Prof. Dr. Holger Schmidt vom Fachgebiet Stadtumbau und Ortserneuerung an der Technischen Universität Kaiserslautern (TUK), der die Projektleitung innehat. Die DDR-Baupolitik hatte über Jahrzehnte nahezu ihre gesamten Ressourcen auf die Plattenbautechnologie konzentriert. «Zugleich war die Staatsführung nicht bereit, diese Mittel und Kräfte in nennenswertem Umfang in die Bestandserneuerung zu lenken», fährt er fort.So bedeutete die politische Wende im Herbst 1989 für viele Altstadtkerne und Gründerzeit-quartiere die Rettung in letzter Minute. «Die unbürokratisch umgesetzten Programme der Städtebauförderung liessen in den Folgejahren zahlreiche Altbauquartiere in neuem Glanz erstrahlen – und damit die identitätsstiftende Mitte der Städte», sagt Projektkoordinator Dr. Thomas Fischer von der TUK. Jedoch war der katastrophale Zustand vieler Städte selbst ein Auslöser des politischen Umbruchs: Nicht wenige Bürger gingen auf die Strasse, weil sie dem Verfall ihrer Stadt nicht weiter tatenlos zusehen mochten. Sie schlossen sich zusammen und wurden selbst aktiv.

Neue Impulse

Neuere Forschungen belegen, dass engagierte Bürger, aber auch Architekten und Stadtplaner der DDR die entscheidenden Impulse für den radikalen Kurswechsel der Städtebaupolitik gaben. Erst sie ermöglichten, dass die Soforthilfeprogramme des Bundesbauministeriums auch zielgerichtet umgesetzt werden konnten. Die Oderberger Strasse am Prenzlauer Berg in Berlin steht exemplarisch für eine durch mutiges Bürgerengagement abgewendete Abbruchplanung der späten DDR. Das Forschungsprojekt «Stadt-Wende» des Bundesministeriums für Bildung und Forschung soll unter anderem durch eine Vielzahl von Zeitzeugeninterviews die Bedeutung der DDR-Bürgerbewegung und der ostdeutschen Planerinnen und Planer für das Gelingen der ostdeutschen Stadterneuerung erforschen. Beteiligt sind neben der TUK das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner, die Bauhaus-Universität Weimar sowie die Universität Kassel.

Offizielle Städtebaupolitik am Pranger

Schon der jetzige Kenntnisstand macht deutlich, dass der radikale städtebauliche Kurswechsel keineswegs ein blosser Westexport war. Engagierte Bürger, Denkmalpfleger, aber auch Architekten und Stadtplaner hatten sich in der DDR seit Beginn der 1980er-Jahre anfangs verdeckt, später zunehmend offen und für Denkmalbauten und den Erhalt historischer Quartiere eingesetzt und die zerstörerische offizielle Städtebaupolitik angeprangert.

Neben Erfurt, Greifswald, Görlitz und Schwerin war Berlin ein bedeutsamer Ort dieser baupolitischen Opposition. Hier hatten sich in Mitte, aber auch am Prenzlauer Berg gegen Ende der 1980er-Jahre oppositionelle Kräfte formiert. Ein Zentrum dieser oppositionellen Bewegung war die gut vernetzte, aufmüpfige Bewohnerschaft der Oderberger Strasse. Aus Planerkreisen hatten die Bewohner erfahren, dass ihre Häuser abgebrochen und durch Plattenbauten ersetzt werden sollten. Dagegen protestierte die unter dem Dach des offiziellen Wohngebietsausschusses agierende Gruppe bei der SED-Kreisleitung Berlin. Hier wie auch andernorts unterbreiteten die engagierten Bürger Alternativentwürfe zu den Abbruchplänen, die später vielfach zur offiziellen Planung wurden.

Innerhalb des Forschungsprojekts sollen diese Entwicklungen zum ersten Mal umfassend untersucht werden, wobei den Schlüsselakteuren der Bewegung gegen den Altstadtverfall ein besonderes Augenmerk gilt. Neben dieser Grundlagenforschung wird im Projekt grosser Wert auf die Vermittlung in die heutige Öffentlichkeit gelegt. So sind eine Wanderausstellung, Filmdokumentationen sowie eine Buchveröffentlichung vorgesehen.

stadtwende.de
uni-kl.de

(Visited 37 times, 1 visits today)

Weitere Beiträge zum Thema

up to date mit dem
Architektur+Technik Newsletter
Erhalten Sie exklusive Trends und praxisnahe Innovationen mit Architektur+Technik –direkt in Ihr Postfach.
anmelden!
Sie können sich jederzeit abmelden!
close-link