Genug geklagt: Es gibt Lösungsansätze
Lädelisterben, drohende Abwärtsspirale und die Angst um eine Verödung unserer Stadt- und Gemeindezentren: In immer schnellerem Takt erscheinen diese Themen in den Medien. Sie begegnen nicht nur uns Architekten und Stadtplanern als dringliche Herausforderung.

Lädelisterben, drohende Abwärtsspirale und die Angst um eine Verödung unserer Stadt- und Gemeindezentren: In immer schnellerem Takt erscheinen diese Themen in den Medien. Sie begegnen nicht nur uns Architekten und Stadtplanern als dringliche Herausforderung. So manche traditionelle, alteingesessene Ladenbesitzer, Gastronomen und Dienstleistungsanbieter fürchten um ihre Existenz. Bürger wollen ihr Zentrum als lebenswerten Bezugspunkt nicht verlieren. Auf die Politiker prasselt die zunehmende Unzufriedenheit in Form von Anschuldigungen und Ansprüchen ein.Wie es zu diesen Problemen kommen konnte, ist bekannt. Es begann mit dem Bedeutungsverlust unserer Zentren durch die Suburbanisierung. Dabei redete man nicht nur über den Detailhandel, sondern über den Verlust ganz unterschiedlicher Zentrumsfunktionen. Gegenläufig kam eine Zeit der «zu erfolgreichen» Zentren mit enorm steigenden Mieten, die sich nur die immer gleichen Filialen leisten konnten. Das Resultat: «Würde jemand vom Himmel in eine Fussgängerzone fallen, er wüsste nicht, in welcher Stadt er wäre.» So beschrieb vor ein paar Jahren die «Stuttgarter Zeitung» passend die Austauschbarkeit unserer Zentren. Heute wird der Flächenbedarf der Filialbetriebe wieder kleiner. Aber einer Neuausrichtung oder Rückkehr der Erdgeschosse zu einer höheren Vielfalt stehen oft die hoch gebliebenen Mietpreiserwartungen der Eigentümer entgegen. Und zu «guter» Letzt sind wir heute bei der scharf geführten Diskussion um sich änderndes Konsumverhalten wie dem Einkaufstourismus und der Abwanderung der Kaufkraft ins Internet angelangt.
Augen auf! Es gibt vielversprechende Lösungsansätze
Sinnvoller, als weiter zu klagen: Gedanken und Ansätze jener aufgreifen, die ihre Energie auf neue Lösungsansätze richten und unsere Stadtzentren bereits erfolgreich mit neuen, attraktiven Inhalten füllen. Detailhandel ist dabei nicht alles.
Die Öffnung des Detailhandels zu neuen Konzepten
Neu ist beispielsweise, dass die Stadt Zürich in einem städtischen Lokal innovative Ladenkonzepte testen möchte. Vor kurzer Zeit noch undenkbar – was fällt der Stadt, dem Staat ein, sich in die Domäne der Wirtschaft einzumischen! «Handel im Wandel» – und was sind die Auswirkungen auf die Stadt Zürich? Dem zugrunde liegen fünf Szenarien, in denen die Stadt Zürich unter der Leitung von Anna Schindler, Direktorin der Stadtentwicklung Zürich, aufzeigt, wie Raum und Detailhandel zu neuen Konzepten geführt werden können. Zentral ist die Herausforderung, wie die verschiedenen Akteure in der Stadt zu einer echten Zusammenarbeit motiviert werden können und welche Angebote zu schaffen sind, die den Konsumenten der Zukunft interessieren. Die angestrebte Vielfalt geht dabei weit über den Konsum hinaus, hin zu kulturellen, sozialen und gesellschaftlichen Angeboten.
Zwischennutzung
Dann ist die Zwischennutzung aktuell, die sich nicht mehr auf Ausstellungen von Künstlern hinter den sonst leeren Schaufenstern reduziert. Es finden sich innovative kommerzielle Anbieter und inzwischen auch spezialisierte Markenanbieter, die es gezielt auf diese wandelbaren Improvisationsräume an besten Lagen abgesehen haben. Pop-ups mögen als Modebegriff den Zenit ihres Marketingeffekts überschritten haben, den Eigentümern bringen gute Zwischennutzungen aber die Chance zur Neupositionierung ihrer Immobilien und den Zentren (den Einwohnern) mehr Abwechslung und Bewegung.
Querfinanzierung
Effektiv, aber noch ungewohnt ist der Ansatz der Querfinanzierungen, bei denen das Wohnen die publikumsorientierten Flächen mitträgt. Das Netzwerk Altstadt zeigt im Sinn von «kleiner, aber dafür feiner» schon seit einigen Jahren auf, wie bei Altstadthäusern Rückräume der Erdgeschosse zu Wohnungen mit guter Rendite umfunktioniert werden können. Und wie dafür die kleiner gewordenen Ladenflächen zu geringen Mietkosten an attraktive Anbieter vergeben werden. Auch Grossinvestoren und Pensionskassen erkennen zunehmend, dass Querfinanzierungen ein geeigneter Lösungsansatz zur Schaffung lebendiger, identitätsstarker (und damit renditeträchtiger) Orte sind.
Koordinierte Vermarktung
Gewerbevereine setzen sich für ihre Zentren ein und bringen es dabei immer wieder zu frischen Ansätzen. Pro City Schaffhausen hat sich vehement für ein besser koordiniertes Marketing innerhalb der Altstadt stark gemacht. Der Ansatz und die Partnerschaften sind gewachsen, und aktuell entsteht eine Webplattform (erleben.sh.ch, die App dazu soll folgen), auf der Angebote innerhalb des Kantons gut aufeinander abgestimmt präsentiert werden – orchestriert wie in einem professionell geleiteten Shoppingcenter, allerdings deutlich vielfältiger.
«Zwangsmassnahmen»
Noch nicht in der Schweiz angekommen sind Ansätze wie die in mehreren Ländern Europas erfolgreich geführten Business Improvement Districts. Sie zwingen Eigentümer und Anbieter innerhalb eines definierten räumlichen Bereichs zu Abgaben, die ausschliesslich für Massnahmen der Attraktivitätssteigerung von ebendiesem genutzt werden. Mit ihnen ist es schon so mancher «heruntergewirtschafteten» Einkaufsstrasse der Turnaround gelungen. Trittbrettfahrer gibt es nicht, schliesslich ist jeder zur (finanziellen) Beteiligung gezwungen. Derartige Zwangsmassnahmen sind in der Schweiz unpopulär (und aufgrund der Gesetzgebung ohnehin nicht eins zu eins übertragbar), dennoch lohnen erfolgreiche Beispiele einen Blick über die Landesgrenzen hinaus.
Der Citymanager
Um noch einen letzten Lösungsansatz zu nennen: Nach rund zwei Jahrzehnten der Vergessenheit wird aktuell das Berufsbild des Citymanagers wiederentdeckt. St. Gallen, Luzern und Rapperswil-Jona sind drei Städte, die über die Schaffung dieser Stelle diskutieren. Der Citymanager koordiniert unterschiedliche Zentrumsakteure, bündelt ihre Kräfte und Interessen wirkungsvoll und bewegt sie zu einem gemeinsamen Vorgehen bei der Zentrumsentwicklung oder -revitalisierung. Seine Unterstützung kann sowohl die Energie als auch die Erfolgschancen bemerkenswert erhöhen.
Klar ist: Es muss etwas passieren
Alte, gängige Rezepte genügen heute nicht mehr, um die Zentren fit zu halten. Spürbar ist eine grosse Lust auf dynamische Fortschritte. Alte Zöpfe werden abgeschnitten, Experimente gewagt. Wenn es damit gelingt, die Zentren als Identifikationsanker und Mittelpunkt des städtischen Lebens zu festigen, dann gewinnen alle. ●
Der vorliegende Artikel gehört zur Reihe «Nutzung und Identität», einer Zusammenarbeit von «Architektur +Technik» mit Intosens Urban Solutions AG, Spezialistin für Nutzung und Identität.

