Gute Grundlagen für energie- und klimapolitische Massnahmen

Infrastrukturen für eine emissionsarme Wärmeversorgung, Energiesparvorschriften, Verbesserungen beim Mobilitätsangebot, aber auch Verhaltensänderungen sind nötig, um den Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen in der Stadt Zürich markant zu senken.

Energiesparvors
Verhaltensänderungen in Kombination mit energetischen Sanierungen können zu substanziellen Reduktionen des Energieverbrauchs beitragen.
Von Matthias Gallati (Text)
Infrastrukturen für eine emissionsarme Wärmeversorgung, Energiesparvorschriften, Verbesserungen beim Mobilitätsangebot, aber auch Verhaltensänderungen sind nötig, um den Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen in der Stadt Zürich markant zu senken. Das sind einige Erkenntnisse von Energieforschung Stadt Zürich, die am Schlussevent im vergangenen April präsentiert wurden.
Vor 13 Jahren haben die Zürcher Stimmberechtigten den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft zugestimmt und sie damit in der Gemeindeordnung festgeschrieben. Um diesen Zielen zum Durchbruch zu verhelfen, hat der Stadtrat von Zürich 2010 das Programm Energieforschung Stadt Zürich lanciert. Es ging auf ein gemeinderätliches Postulat von 2006 zurück. Die Ergebnisse des Forschungsprogramms sind relevant für das Klimaschutzziel der Stadt Zürich, dessen Anpassung an Netto Null momentan geprüft wird.Im Rahmen des Forschungsprogramms wurde während 10 Jahren der Energieverbrauch der Stadtzürcher Haushalte und Gebäude detailliert unter die Lupe genommen. Ziel: Die Hemmnisse auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft wissenschaftlich zu untersuchen und aufzuzeigen, wie diese überwunden werden könnten. Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich finanzierte das anwendungsorientierte Programm mit insgesamt 10 Millionen Franken.

100 Forschende, 60 Projekte und ein positives Fazit

Stadtrat Michael Baumer hat in seiner Begrüssungsrede darauf hingewiesen, dass rund 100 Forschende aus 30 Hochschulen und Forschungsunternehmen sowie verschiedene Dienstabteilungen der Stadt Zürich über 60 Forschungsprojekte durchgeführt haben. «Mit Energieforschung Stadt Zürich sind wichtige Grundlagen für die Erreichung der städtischen Energie- und Klimaziele bei Haushalten und Gebäuden erarbeitet worden. Gerade beim Heizen von Gebäuden wissen wir nun, wo die Massnahmen für die Umsetzung der Klimaneutralität ansetzen müssen, wie es die Vorstösse zu Netto Null fordern», resümiert Michael Baumer. Anschliessend zog Reto Dettli, Leiter der Geschäftsstelle des Forschungsprogramms, ebenfalls ein positives Fazit: «Wir haben viele wertvolle Erkenntnisse gewonnen. So zeigen Verhaltensänderungen Wirkung, wichtig ist aber die Kombination mit Vorschriften und dem Aufbau von Infrastrukturen für eine emissionsarme Wärmeversorgung.» Mit Verhaltensänderungen – zum Beispiel mit dem Verzicht auf das Fliegen oder mit der Umstellung auf vegetarische Ernährung – können in Kombination mit Investitionen in energetische Sanierungen und durch technische Massnahmen substanzielle Reduktionen des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen erreicht werden.

Wohnen: Beträchtliches Potenzial durch Verhaltensänderungen

Verhaltensänderungen haben speziell auf den Energieverbrauch von Haushalten eine grosse Wirkung. Aber wie können solche Verhaltensänderungen erreicht werden? Energieforschung Stadt Zürich hat ein sozialpsychologisches Handlungsmodell entwickelt, das darauf Antworten gibt. Das Modell wurde in nachfolgenden Untersuchungen angewendet und hat folgende Ergebnisse gebracht:

Am wirksamsten sind verbindliche Regeln betreffend das Verhalten der Bewohnenden. Diese sind oft einschneidend und deshalb nicht überall umsetzbar. In Kombination mit energetischen Sanierungen und anderen baulichen Massnahmen könnten solche Regeln einfacher eingeführt werden und damit Erfolg bringen. Weiter schlagen die Fachpersonen vor, entsprechende Informationskampagnen oder Energieberatungen auszubauen. Allerdings müssten diese dauerhaft angeboten werden, damit sie wirken.

Gebäudesanierungen sind das Gebot der Stunde

Einen weiteren Fokus hat Energieforschung Stadt Zürich auf die Transformation des Gebäudeparks gelegt, denn in der Stadt Zürich fallen heute 70 Prozent des Endenergieverbrauchs in den Gebäuden an. Sie hat eruiert, wie Liegenschaftenbesitzende mit vergleichbaren Voraussetzungen vernetzt und zum gleichzeitigen Sanieren ihrer Gebäude animiert werden können und wie fossil betriebene Heizungen durch Systeme mit erneuerbaren Energieträgern ersetzt werden können.

Sanieren Eigentümerinnen und Eigentümer in einem bestimmten Gebiet gemeinsam ihre Liegenschaften, kann eine grössere energetische Einsparwirkung erzeugt werden. Energieforschung Stadt Zürich hat deshalb untersucht, wie solche Eigentümerschaften zusammengebracht werden können. In sechs konkreten Clustern wurden gemeinsam Strategien für eine Verstärkung der energetischen Gebäudeerneuerung entwickelt und ausprobiert. Dabei zeigte sich, dass die Eigentümerschaften vom Erfahrungsaustausch sowohl auf technischer, ökonomischer als auch rechtlicher Ebene enorm profitieren konnten.

Energieforschung Stadt Zürich hat aus den Erkenntnissen Empfehlungen abgeleitet, die sie in einem Handbuch für die kommunale Energiepolitik festgehalten hat. Diese Empfehlungen richten sich an Gemeinden, die Eigentümerinnen und Eigentümer mit einem substanziellen Anteil am Gebäudepark zusammenbringen wollen. Energieforschung Stadt Zürich hat ihre Erkenntnisse bereits an rund 25 Städte und Gemeinden weitergeben können, einzelne davon haben Clusterprojekte gestartet. In Zürich soll die Bildung von solchen Clustern weiter gefördert werden.

Heizungsersatz: Stärkere Förderung von Systemen mit erneuerbaren Energieträgern

Auch einzelne Liegenschaftenbesitzende können handeln und ihre Öl- oder Gasheizung ersetzen. Hier besteht ein grosses Potenzial: Eine Studie hat ergeben, dass vier von fünf privaten und institutionellen Eigentümerschaften als Heizungsersatz noch immer ein fossiles System wählen. Dr. Stefan Rieder, Leiter Themenbereich Gebäude von Energieforschung Stadt Zürich: «53 Prozent davon haben den Ersatz durch ein System mit erneuerbarer Energie nicht einmal erwogen. Das ist aber nicht nur eine schlechte Nachricht, denn es zeigt, dass hier ein grosses Potenzial brachliegt. Die entsprechenden Infos müssen jedoch zum richtigen Zeitpunkt erfolgen.»

Künftig wird die Stadt Zürich Liegenschaftenbesitzende deshalb noch stärker für den Ersatz der fossil betriebenen Heizungen sensibilisieren und ihnen saubere Alternativen aufzeigen. Sie fördert den Ersatz von fossil betriebenen Heizungen zwar schon heute durch Systeme mit erneuerbaren Energieträgern, der Ausbau des städtischen Fernwärmenetzes und der Wärmeverbunde ist bereits beschlossene Sache, und der Rückzug des Erdgasangebots ist geplant. Trotzdem ist hier Handlungsbedarf angezeigt: Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer, die ihre Öl- oder Gasheizung demnächst ersetzen müssen und in deren Gebiet in den nächsten Jahren Fernwärme oder Energieverbünde zur Verfügung stehen, sind frühzeitig darüber zu informieren. Fachleute aus der Heizungsbranche sowie Hausverwaltungen sollen entsprechend informiert und ausbildet werden. Weiter sollen die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz von erneuerbaren Energien verbessert werden. Denkbar sind erleichterte Bewilligungen für Luft-Wasser-Wärmepumpen, Auflagen in Gestaltungsplänen oder die Berücksichtigung von Photovoltaikanlagen bei der Gestaltung von Dächern bei Wohn- und Gewerbebauten sowie deren vermehrter Einsatz in Gebäudehüllen.

Flexiblere Mobilitätsangebote machen den Verzicht auf ein Auto einfacher

Auch bei der Mobilität sind die Möglichkeiten keineswegs ausgeschöpft. Eine Befragung von Energieforschung Stadt Zürich hat ergeben, dass 40 Prozent der Autohaltenden allenfalls zum Verzicht auf ein eigenes Auto bewegt werden könnten, wenn das Mobilitätsangebot flexibler würde: Beispielsweise erweitern Sharing-Angebote die Wahl der Fortbewegungsmittel und machen die Nutzenden unabhängiger von Fahrplänen und Umsteigevorgängen.

«Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass von den 53 Prozent an Haushalten in der Stadt Zürich, die kein Auto besitzen, rund die Hälfte freiwillig darauf verzichtet», konstatiert Stephan Hammer, Leiter des Themenbereichs Haushalte. Ein grosser Teil davon tut das aus Umweltgründen, die wichtigste Voraussetzung für den Verzicht ist jedoch eine möglichst flexible, unabhängige und bequeme Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel. Weiter spielt die Verfügbarkeit von Parkplätzen beim Wohn- und Arbeitsort eine Rolle. Interessant ist, dass 47 Prozent der Befragten angaben, dass sie zudem weniger fliegen, seit sie auf ein eigenes Auto verzichten.

Umsetzung der Erkenntnisse hat bereits begonnen

Energieforschung Stadt Zürich hat während 10 Jahren Forschungstätigkeit auch Rückschläge hinnehmen müssen. Reto Dettli weist darauf hin, dass die Forschenden vor allem bei der Kombination von technischen Massnahmen und dem Verhalten der Nutzenden mit stärkerer Wirkung gerechnet hätten: «Wir erhofften uns die grosse kombinierte Massnahme, stattdessen mussten wir einsehen, dass nur eine Politik der kleinen Schritte wirkt und dass Veränderungen Zeit brauchen.» Aber gerade solche Erfahrungen sind wertvoll. «Sie bringen uns ans Ziel.»

Die Stadt Zürich hat mit dem Forschungsprogramm eine Vorreiterrolle in der Schweiz übernommen. Die Ausrichtung auf anwendungsorientierte, sozioökonomische Forschung hat zwischen Forschungsinstitutionen, Privaten, Stadtverwaltung und Politik eine intensive Zusammenarbeit ausgelöst, die in ihrer Art einzigartig ist. Dieses Netzwerk soll gepflegt und ausgebaut werden.

Das Forschungsprogramm ist nun abgeschlossen, Erkenntnisse werden aber bereits umgesetzt: So sind seit Februar 2021 Informationen und Beratungsangebote zu Energiethemen auf einer zentralen Plattform unter stadt-zuerich.ch/energie gebündelt. Damit der Ersatz von fossil betriebenen Heizungen beschleunigt werden kann, hat der Stadtrat im Herbst 2020 zudem die 2000-Watt-Beiträge, die das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich für Wärmepumpen, Erdsonden und Anschlüsse an Energieverbunde ausrichtet, der kantonalen Förderung angepasst und markant erhöht. Silvia Banfi Frost, Energiebeauftragte der Stadt Zürich, äusserte sich am abschliessenden Podium sehr positiv über die Ergebnisse von Energieforschung Stadt Zürich: «Wir haben nun sehr gute Grundlagen, um weitere Massnahmen zu treffen und Hemmnisse abzubauen.»

energieforschung-zuerich.ch

«Gerade beim Heizen von Gebäuden wissen wir nun, wo die Massnahmen für die Umsetzung der Klimaneutralität ansetzen müssen, wie es die Vorstösse zu Netto Null fordern.» Michael Baumer, Stadtrat
«Wir erhofften uns die grosse kombinierte Massnahme, stattdessen mussten wir einsehen, dass nur eine Politik der kleinen Schritte wirkt und dass Veränderungen Zeit brauchen.» Reto Dettli, Leiter der Geschäftsstelle Energieforschung Stadt Zürich
Energiesparvors
Photovoltaikanlagen könnten künftig bei der Gestaltung von Dächern bei Wohn- und Gewerbebauten sowie an Gebäudehüllen vermehrt zum Einsatz kommen.
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