Siedlungs- und Städtebau  – Eine Frage des Profils

Manuel Pestalozzi hat an der ETH Zürich Architektur studiert. Von 1997 bis 2013 war er Redaktor von Architektur+Technik. Anschliessend gründete er die Einzelfirma Bau-Auslese, die sich der Informationsvermittlung widmet.

Manuel Pestalozzi
Manuel Pestalozzi hat an der ETH Zürich Architektur studiert. Von 1997 bis 2013 war er Redaktor von Architektur+Technik. Anschliessend gründete er die Einzelfirma Bau-Auslese, die sich der Informationsvermittlung widmet.
Siedlungs- und Städtebau
Architektur und Planung stellen Profilfragen. Im Wort versteckt sich das Bedürfnis einer Konkretisierung und der Erkennbarkeit. Zudem vermittelt es den Charakter eines Werks – oder einer Persönlichkeit. Auch im Siedlungs- und Städtebau stellt sich die Frage nach dem Profil. Etwa dann, wenn es um die künftigen Nutzerinnen und Nutzer geht. Was sind das für Leute, für die geplant und gebaut wird? Gerade in urbanen Gebieten müssen sich das die Verantwortlichen stets neu überlegen. Ich bin in Zürich im so genannten Hochschulquartier aufgewachsen. Es entstand um die vorletzte Jahrhundertwende – und war für die Limmatstadt etwas Neues. Das hatte es noch nie gegeben: Bauen fürs Personal der Hochschulen und die Studierenden. Wie wohnen sie? Was brauchen sie? Welche Architektur gefällt ihnen? Es ist heute schwer nachvollziehbar, was Amtsstellen, Investoren und Baumeistern damals alles durch den Kopf ging, bevor sie das Quartier erstellten, das bis heute einen hohen Wohnwert und eine beträchtliche Dichte aufweist.

Die Bottom-up-Mär

Die Realisierung von Siedlungen und Quartieren setzt Pragmatismus und Risikobereitschaft voraus. Jedes Profil braucht Umrisse. Wenn man Sachen, die man für sein Design bräuchte, nicht weiss, muss man eben Annahmen treffen und improvisieren! In der Stadt- und Siedlungsplanung ist das relativ leicht, denn Häuser werden benutzt, wenn sie einmal stehen. Egal, ob sie als Spitzenleistung oder Mittelmass gelten, wir werden mit ihnen für ein paar Jahrzehnte leben. Die totale Unnutzbarkeit von Bauten ist in unserer Region so gut wie unbekannt. Trotzdem stellt sich heute die Frage nach dem Profil der Nutzerinnen und Nutzer mit neuer Dringlichkeit. Sowohl Wohn- wie auch Arbeitsstätten befinden sich in einem Wandel, entsprechend diffus ist das Bild, das man sich von künftigen Eigentümerinnen oder Mietern machen kann. Weit verbreitet ist die Meinung, dass die aktive Mitwirkung der potenziellen Bewohner der Schlüssel zum Erfolg ist. Ich halte die Zelebrierung der Bottom-up-Verfahren für eine Mär, welche der Realität nicht standhält. Letztlich sind es die Fachleute der Planung und des Immobilienmarketings, welche mit einer gehörigen Portion Restignoranz über die Anordnung von Bauvolumen und den Zuschnitt von Grundrissen bestimmen. Sie orientieren sich an aktuellen Moden und versuchen, bereits vertrauten, erprobten Konventionen gerecht zu werden. Konsequenz: Die im Plan festgehaltenen Konfigurationen werden das Profil der Nutzerinnen und Nutzer mindestens so stark bestimmen, wie es in umgekehrter Richtung der Fall ist.

Verkehr nicht vergessen!

In den vergangenen Monaten konnte ich mir über den aktuellen Stand der Städtebaudebatte ein Bild machen. Sowohl private Entwickler als auch Wohnbaugenossenschaften wittern nach wie vor Morgenluft. Darüber darf sich die ganze Branche freuen! Auffallend bei diesen Präsentationen und Debatten ist, wie sehr die Frage der Mobilität in den Hintergrund rückt. Spricht man von der zuverlässigen Erreichbarkeit von Siedlungsgebieten, so verharrt die Diskussion fast immer auf einer rein technischen Ebene. Während im Bereich Wohnen und Arbeiten der kulturelle Wandel deutliche Spuren hinterlässt, reduziert man die Mobilität auf die Forderung, jederzeit schnell und ungehindert kommen und wieder gehen zu können. Das sollte sich ändern, denn auch die Fortbewegung gehört zum Alltag. Sie formt Befindlichkeit und Charakter mit. Ohne Integration der verkehrsrelevanten Elemente ist ein Profil der Stadt unvollständig und leicht verfälschbar. ●

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