Tageslicht und gesundes Raumklima

Forschungen zufolge verbringen wir bis zu 90 Prozent unserer Zeit in geschlossenen Räumen – als sogenannte Indoor Generation. Umso wichtiger ist es, dass wir in unseren Gebäuden für ein gutes Raumklima mit viel frischer Luft und ausreichend Tageslicht sorgen.

Peter Foldbjerg
Peter Foldbjerg ist Head of Knowledge on Daylight, Energy and Indoor Climate bei Velux AS.
Die obersten Prinzipien
Forschungen zufolge verbringen wir bis zu 90 Prozent unserer Zeit in geschlossenen Räumen – als sogenannte Indoor Generation. Umso wichtiger ist es, dass wir in unseren Gebäuden für ein gutes Raumklima mit viel frischer Luft und ausreichend Tageslicht sorgen. Wie das funktioniert und was die aktuellen Forschungsergebnisse für zeitgenössische Architektur bedeuten, weiss Peter Foldbjerg, Head of Knowledge on Daylight, Energy and Indoor Climate bei Velux AS.Peter Foldbjerg, gehören Sie auch zur «Indoor-Generation»?
Ja, durchaus. Der Begriff Indoor Generation bezeichnet eine kontinuierlich steigende Zahl von Personen, die einen sehr grossen Teil ihres Lebens in geschlossenen Räumen verbringen. Das Leben in der heutigen Zeit beginnt oft mit einem frühen Start in den Tag, danach acht bis zehn Stunden am Arbeitsplatz, danach ein schnelles Training in einem feuchten Fitnesscenter oder ein entspannter Ausklang im eigenen Daheim. Die Zeit an der frischen Luft wird knapper. Und auch wenn ich selbst gerne draussen aktiv bin, bin ich das nur ein paar wenige Stunden pro Woche, vor allem im Winter. Umso wichtiger ist es, unser Bewusstsein für ein gutes Raumklima zu schärfen. Denn oft ist uns gar nicht bewusst, dass wir so viel Zeit in geschlossen Räumen verbringen.Dies zeigt ja auch Ihre internationale YouGov-Studie 2018, dass wir stark unterschätzen, wie viel Zeit wir in Innenräumen verbringen und welche Auswirkungen dies auf uns hat. Welche Kriterien müssen denn erfüllt sein, um wenigstens gute Innenraumbedingungen zu schaffen, wenn wir schon nicht draussen sein können?
Aus den aktuellen Erkenntnissen der laufenden und mehrjährigen Forschungen zur Beziehung zwischen Gebäuden und dem Wohlergehen der Menschen ergeben sich drei Hauptkriterien: Tageslicht, thermischer Komfort & Innenraum-Luftqualität. Ein gutes Raumklima mit hohem Tageslichteinfall und viel frischer Luft von draussen sorgen dafür, dass unsere Wohnungen, Büros, Kindergärten und Schulen zu Orten werden, an denen wir gesund leben und arbeiten können. Darüber hinaus steigert eine gesunde und angenehme Arbeitsumgebung nachweislich die Zufriedenheit der Mitarbeiter und erhöht automatisch die Produktivität.

Die YouGov-Studie reiht sich ein in eine lange Forschungstradition Ihrer Firma. Welche anderen wissenschaftlichen Ansätze verfolgen Sie, die das gesunde Wohnen und Arbeiten in den Mittelpunkt stellen?
Oh, da gibt es seine Menge: Fast 100 Forschungsprojekte hat der Velux-Konzern zwischen 2006 und 2018 angestossen, bei denen führende Wissenschaftler ganz konkreten Fragen im Zusammenhang mit einem gesunden Zuhause nachgegangen sind. Und auch selbst betreiben meine Team-Kollegen und ich im sogenannten Velux Daylight, Energy and Indoor Climate Knowledge Center Forschung und haben in den vergangenen Jahren im Rahmen von wissenschaftlichen Konferenzen über 50 unserer Arbeiten vorgestellt. Da ist zum Beispiel das Healthy-Homes-Barometer, eine jährliche Publikation. Die Edition von 2016 zum Beispiel ist eine Auswertung von 14 000 Befragten europaweit, die uns Aufschluss über die Wohnbedingungen und -bedürfnisse ihrer Bewohner gibt. Es ermöglicht, genau zu ermitteln, was die Menschen umtreibt und wie wir es gemeinsam schaffen können, gesündere, komfortablere, energieeffizientere und damit häufig günstigere Gebäude zu schaffen. In der Ausgabe von 2017 haben wir Daten von mehr als 250 000 Haushalten verwendet, um einen Bezug zwischen der Gesundheit von Europäern und technischen Mängeln in unseren Wohnungen herzustellen. Denn nur gemeinsam – zusammen mit Politik, Bewohnern, Hauseigentümern und Industrie – wird uns dieser Weg in die Zukunft gelingen. Aber auch mit anderen akkreditierten Forschungspartnern wie dem Fraunhofer-Institut, der Humboldt Universität Berlin, EcoFys oder der Active House Alliance arbeiten wir zusammen.

«Es ist wichtig, unser Bewusstsein für ein gutes Raumklima zu schärfen. Denn oft ist uns gar nicht bewusst, dass wir so viel Zeit in geschlossen Räumen verbringen.»
Peter Foldbjerg

Wir wollen auf allen Ebenen Erkenntnisse und Daten gewinnen und verfügbar machen, die einen besseren und gesunden Lebensstil für uns Menschen ermöglichen. Das geht sogar so weit, dass wir als Live-Experiment auf der ganzen Welt unsere sogenannten «Model Homes» realisiert haben. Dies sind Konzepthäuser, die unter reellen Bedingungen getestet werden, um unserer Vision von klimaneutralen Gebäuden mit hohem Wohnkomfort zu entsprechen. Alle «Model Homes» wurden mit lokalen Partnern, Architekten, Ingenieuren und Forschern entwickelt. Sie greifen die unterschiedlichen klimatischen, kulturellen und architektonischen Bedingungen in den jeweiligen Ländern auf – immer unter den drei Hauptgrundsätzen: effiziente Energieplanung, hoher Wohnkomfort und minimale Klimabelastung.

Welche Punkte gibt es bei der Planung konkret zu beachten, um Innenräume optimal mit Tageslicht zu versorgen. Welchen Einfluss hat dies auf die Bauweise /Architektur?
Das ist eine sehr umfassende Frage. Wir haben vor vielen Jahren damit angefangen, die verschiedenen Dimensionen dieser Frage näher zu beleuchten und erste Antworten zu finden. Dafür haben wir Forscher aus den Bereichen Architektur, Medizin und Raumklima zusammengerufen. Die Ergebnisse wurden unter dem Begriff «Zirkadianes Haus» veröffentlicht, um die Bedeutung des biologischen 24-Stunden-Rhythmus des Menschen für die Architektur zu betonen. Einige der wichtigsten Faktoren, die die Forscher identifiziert haben, sind:

– Stimulation / keine Stimulation: Der Grad an Stimulation durch Umweltfaktoren wie Licht, Geräusche, Luft und Temperatur sollte tagsüber höher sein als in der Nacht.

– Licht / Dunkelheit: Tagsüber wird in den wichtigsten Wohnbereichen des Hauses ein hoher Lichteinfall benötigt, wobei hier besonders die Räume beachtet werden müssen, die vor allem morgens genutzt werden. Andererseits müssen die Schlafzimmer in der Nacht vollständig dunkel sein.

– Kälte / Wärme: Im Haus sollten je nach Tageszeit und Raum unterschiedliche Temperaturen herrschen, die den Unterschieden der Aussentemperatur entsprechen (und diesen bis zu einem gewissen Grad folgen).

– Ruhephasen / Aktivität: Das Haus sollte so konstruiert sein, dass es seine Bewohner anregt, jedoch auch Bereiche für Ruhe und Erholung bieten.

– Ein Leben im Einklang mit der Natur – ein Haus, das im Einklang mit der Natur ist, macht Tag und Nacht sowie die Jahreszeiten für die Bewohner erlebbar.

Wie lassen sich die Kriterien messen? Wie lässt sich Tageslicht konkret bei der Planung eines Gebäudes messen?
Für die Analyse von Tageslicht und die Messung des Tageslichteinfalls haben wir beispielsweise ein professionelles Simulations-Tool entwickelt. Der «VELUX Daylight Visualizer» ist ein einfaches, aber vielseitiges Programm für die Animation und Analyse verschiedener Tageslichtsituationen innerhalb von Gebäuden. Es wurde konzipiert, um Architekten und Planer bei ihrer Tageslichtplanung zu unterstützen – z. B. auch bei der Einhaltung der neuen Tageslichtnorm SN/EN 17037, die ab diesem Jahr auch in der Schweiz in Kraft ist.

Viele Menschen sind der Meinung, dass helle, lichtdurchflutete Wohnungen / Gebäude sehr kostspielig sind – trifft das zu?
Umbauarbeiten sind natürlich immer mit gewissen Kosten verbunden. Aber das jüngste Demonstrationsgebäude «RenovActive» in Brüssel hat gezeigt, dass ein Zuhause durchaus mit einem begrenzten Budget renoviert werden kann und trotzdem sehr gute Tageslichtbedingungen und ein gutes Raumklima erreicht werden können. ●

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