Sanfte Einbettung zweier Wohnbauten in das Ortsbild von Brienz.

Sanfte Einbettung ins Vorhandene und zugleich eigenständige Wucht – die beiden Wohnbauten, die Raum für insgesamt 15 Mietwohnungen bieten, verpflichten sich angemessen dem Ortsbild von Brienz, passen sich harmonisch in den Kontext ein und werten mit dem gewissen Etwas das Zentrum am östlichen Ortsende auf.

Das Gebäude-Ensemble lebt insgesamt durch die Gegensätze von Enge und Weite, Stein und Holz, Intimität und Ausblick. (Fotos: Roland Trachsel)

Als angepriesener «Ort wie aus dem Bilderbuch» – mit reich verzierten Holzchalets und insbesondere dem gletscherblauen See mit seinen Giessbachfällen – lockt Brienz jährlich eine Vielzahl von Touristen an. Das heimelige Dorf versetzt insbesondere rundum die Brunngasse im westlichen Zentrum Besuchende in Verzückung und ohne Weiteres in längst vergangene Zeiten. Der Dorfkern, der auf der einen Seite als Filmkulisse erscheint, ist auf der anderen Seite ein über lange Zeit, durch viele Generationen hindurch gewachsenes Gebilde voller Authentizität – und weitaus mehr als ein idyllischer Pfad aus Pflastersteinen, als ein von den Influencern eingeatmeter Hauch Freilichtmuseum. Verstärkt vermag sich diese Authentizität mit der Dynamik neuer Bauvorhaben auch ins östliche Brienz abzubilden. Mit den beiden vom Büro L2A Architekten aus Unterseen realisierten Wohnbauten wird die dortige gebaute Umgebung stilvoll ergänzt, womit das Malerische definitiv auch in diesem Gemeindegebiet erscheint. Das Ensemble reiht sich in die bestehende Zeile der die Strasse säumenden Holzchalets bestens ein und ist dennoch zeitgemäss – «ehrlich und konsistent materialisiert und gebaut – ohne irgendwelche Chalet-Klischees verwendet zu haben», betont der zuständige Architekt Paul Rosser.

Verdichtete Bauweise

Um den Bedarf an neuer Wohn- und Gewerbefläche zu decken, musste eine bestehende Liegenschaft weichen. Mit der geschickten Stellung der beiden Ersatzneubauten – der eine an der Strasse, der andere zurückversetzt – erweitert sich insgesamt das dortige dörfliche Zentrum. Durch die Verschiebung der Baukörper entsteht ein städtischer Platz, welcher typisch ist für das Strassendorf Brienz, da sich der Strassenraum immer wieder in Vorzonen und kleinen Plätzen öffnet. Die Überbauung «Tracht» – so der Name des Ortsteils – erreicht dennoch eine Bruttogeschossfläche von 3691 Quadratmeter, wodurch die Baufläche der mit 1200 Quadratmetern eher kleinen Parzelle vollends genutzt wurde. Die verdichtete Bauweise ist auch an den verkürzten Dachvorsprüngen zu erkennen. Eingepasst zwischen Coop und dem Hotel Adler beherbergt die Überbauung neben den Wohnungen in den Obergeschossen ein Ärztezentrum (unter anderem mit Spitex, Physio- und Craniosacraltherapie-Praxis respektive weiteren Dienstleistenden hauptsächlich im medizinischen Bereich) auf Strassenniveau, das über den gebildeten Platz als Vorraum erschlossen ist. Ein Vorraum, der so gesetzt ist, dass die geforderte Einstellhalleneinfahrt einen minimalen «Impact» auf den Strassenraum bewirkt.

Die Räume des Ärztezentrums sind hell, grosszügig und ansprechend gestaltet. Der Mittelbau, mittig in der Fuge der beiden Gebäude, organisiert Eingang und Anmeldung mit Warteraum, bevor es in die entsprechenden, jeweils direkt an der Fassade angeordneten Behandlungszimmer geht. Diverse Labors und Nebenräume ergänzen das Raumprogramm. Zusammen erzeugen die eingesetzte Möblierung, Wandfarbe und die entsprechenden Leuchten eine stimmige Atmosphäre.

Die Räume des Ärztezentrums sind hell, grosszügig und ansprechend gestaltet.

Bis in diese Dienstleistungsnutzung hinein wirkt die angelegte Struktur der darüberliegenden Wohngeschosse mit zwölf grösseren 3,5-Zimmer-See- und drei kleineren 2,5-Zimmer-West-Einheiten. Die Grundrissproportion ermöglichte es, bei den Wohnräumen rundum Öffnungen fürs natürliche Licht einzusetzen. Loggien gliedern in den südseitig orientierten Wohnungen mit Sicht auf den See jeweils die Tagesräume, in welchen Wohnen, Essen und Küche als einheitliche Sequenz untergebracht sind.

Die Grundrissproportion ermöglichte es, bei den Wohnräumen rundum Öffnungen fürs natürliche Licht einzusetzen.

Möglichst viel Nutz-, möglichst wenig Verkehrsfläche – dieses Prinzip leitete von Beginn an den Entwurf der klassischen, symmetrisch aufgebauten Häuser. Der Dachfirst liegt dabei durch alle vier Geschosse hindurch auf der Mittelwand. Einen Kontrast zum eingebrachten Wohnholz bilden die mit Sichtbeton ausgesteiften Treppenhaustürme. Wie hier wurde genauso bei der Fassade mit viel Sorgfalt und handwerklichem Geschick das Geforderte umgesetzt.

«Kernzone – das bringt gewisse gestalterische Herausforderungen mit sich», verweist Rosser auf die Vorgaben, die das Neubau-Konzept mitgeprägt haben. Den Ort mit der passenden Holzarchitektur weiterzubauen, war von Anfang an eine wichtige planerische Prämisse. «Keineswegs sollten es irgendwelche Pseudo-Chalets werden», sagt der Architekt und vielmehr habe man nach einer zeitgenössischen Antwort gesucht: «Und die haben wir gefunden».

Verspielter Ausdruck

Ein markanter Sichtbeton-Sockel trägt den Holzbau-Körper, der sich nach aussen sowohl in der Schalung als auch bei den Fenstern mit viel einheimischem Lärchenholz zeigt. Die Häuser nehmen typologische Motive aus der Bebauung von Brienz auf. Sockel, Laubenausbildung, Dachform und Dachneigung formen die Gestalt. Die Fassade erhält durch die lebendig ausgestaltete Holzhaut mit liegend und stehend angebrachter Schalung einen verspielten Ausdruck. Dazu gehören auch die verschieden grossen Holzfelder und Lisenen im Bereich der Fensterstürze, mit denen die beiden Chalets eine sanfte Gliederung erhalten und lebendig und leicht erscheinen. Der Verweis auf das «Schnitzlerdorf» Brienz kulminiert in der Holzfassade. Die Eckbalkone mit Eckpfosten und stehender Schalung referenzieren die beidseitige Laube traditioneller Häuser im Berner Oberland.

Das Gebäude-Ensemble lebt insgesamt durch die Gegensätze von Enge und Weite, Stein und Holz, Intimität und Ausblick. Die nahe Setzung der beiden Neubauten ist beinahe urban, in den Wohnungen selbst öffnet sich der Blick aufs nahe Seepanorama und in die Weite. Die entstandene Architektur wahrt die Authentizität des Dörflichen, vermittelt mit der teils in die Jahre gekommenen Dorfsubstanz und schafft einen für die ortsbauliche Grammatik fortführenden und gleichsam prägnanten neuen, sorgfältig ausformulierten Baustein. ●

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