BIM kann nicht monodisziplinär gelehrt werden

Absolut. Am meisten freut mich, dass die eigentliche Spitzenleistung von «Lotti» die Kollaboration der ganzen Holzbranche symbolisiert. Wenn 150 Betriebe unterschiedlichster Grösse und Berufe am gleichen Projekt arbeiten und das Ganze dann auf der Messe zusammenpasst wie ein Uhrwerk, dann ist das wahrlich ein schöner Moment.

Lotti, die BIM-Kuh
Mit dem von der Berner Fachhochschule mit Wirtschaftspartnern initiierten Projekt «Lotti, die BIM-Kuh» werden Innovation und Digitalisierung erlebbar. «Lotti» entstand digital und wurde real gebaut: Unternehmen aus der ganzen Schweiz bezogen Produktionsdaten einzelner Teile im Internet, produzierten diese und bauten sie an der «Holz Basel» vor Ort zusammen.
Interview mit Thomas Rohner
Lotti, die BIM-Kuh, ist mit 150 Unternehmen, die in einer BIM-Cloud arbeiteten, das grösste BIM-Projekt der Schweiz. Kürzlich wurde sie bei der Messe Holz Basel vorstellig. Mit dem Modellprojekt der Berner Fachhochschule und zahlreicher Wirtschaftspartner konnten Unternehmen erleben, wie mit einem gemeinsamem Datenmodell und einer kollaborativen Fertigung gearbeitet werden kann und welchen Nutzen sie daraus ziehen können. Im Interview erklärt Initiant Thomas Rohner, warum «Lotti» ein Erfolgsprojekt ist und wie es um das Wissen und Können zum Thema BIM steht.Lotti, die BIM-Kuh, wurde an der «Holz Basel» erfolgreich von 150 Unternehmen vervollständigt. Sind Sie zufrieden?
Absolut. Am meisten freut mich, dass die eigentliche Spitzenleistung von «Lotti» die Kollaboration der ganzen Holzbranche symbolisiert. Wenn 150 Betriebe unterschiedlichster Grösse und Berufe am gleichen Projekt arbeiten und das Ganze dann auf der Messe zusammenpasst wie ein Uhrwerk, dann ist das wahrlich ein schöner Moment. Besonders schön war, dass wir mit «Lotti» nicht nur die Digitalisierung, sondern auch die Handwerksberufe und das Schweizer Holz bewerben konnten.Was war Ihre überraschendste Erkenntnis aus dem Projekt?
«Lotti» stand nur einige Tage online in der Cloud, und alle Mosaikteile waren reserviert, eines davon sogar aus Australien. Wir scheinen einen Nerv getroffen zu haben, der zum Mitmachen aktivierte. Dass «Lotti» nun auch an die Messen Swissbau, Giardina, Impuls und letztlich noch an die Olma geht, freut mich besonders.

Und was hat «Lotti» nun konkret mit digitalem Bauen zu tun?
Ich habe mich bewusst entschieden, ein Symbol wie «Lotti» zu wählen und nicht ein Bauwerk, mit dem wir den ganzen digitalen Workflow zeigen können, von der BIM-Cloud, der ERP-Integration, dem Web-Shop, der Logistik, den Produktionsdateien, der Verbindungstechnik, der RFID (Funketikette) bis zur Mixed Reality mit VR-Brille und Hololens zur millimetergenauen Montage. Mitmachen konnte jeder, ob traditionell handwerklich oder modern hoch technologisiert. Die Holzbaubranche ist in Sachen BIM schon relativ in Form. Der Holzbau lebt längst in der dreidimensionalen digitalen Welt – 3-D-Modellierung, Vorfertigung, Just-in-time-Prinzip sind unter anderem etabliert.

In welchen Bereichen der Baubranche und bei welchen Themen orten Sie das grösste Potenzial respektive den grössten Bedarf, um für BIM fit zu werden?
Der Holzbau ist an sich schon relativ fit. Er kann ab 3-D-Modell oder BIM-Modell produzieren, er kann auch die vierte Dimension «Zeit» und die fünfte Dimension «Kosten und Prozesse» handhaben. Die Kommunikation mit allen anderen Baupartnern ist aber noch zu optimieren. Das «I» (Information) von BIM ist auch im Holzbau noch nicht erreicht.

Wem empfehlen Sie deshalb, sich hinsichtlich BIM weiterzubilden?
Grundsätzlich allen. Gute Ausbildung, forschungsbasiert und praxisbezogen, ist die Voraussetzung für den Wandel vom analogen zum digitalen Bauen.

Wenn ich BIM beherrsche, welche Vorteile ergeben sich dadurch für mich, meine Arbeit und für meine Firma gegenüber Mitbewerbern?
BIM kann als neues Businessmodell sehr viel Wertschöpfung generieren. Wer heute eine gute BIM-Ausbildung hat, ist auf dem Arbeitsmarkt sicher begehrt. Betriebe, die BIM beherrschen, sind für Investoren interessant.

Welche spezifischen «neuen» Fähigkeiten und Kompetenzen setzt das Arbeiten mit BIM voraus?
Spezifische Fähigkeiten sind keine nötig. Jeder kann sich diese Kompetenzen aneignen. Es braucht dazu Offenheit, Affinität zu Technik und Technologie, Freude an der Kommunikation mit anderen, Teamgeist für die Entwicklung kreativer Lösungen, Verständnis für andere Gewerke und andere Denkweisen und die Fähigkeit, alte Paradigmen zu verlassen.

Wie lehren Sie diese im Unterricht, zum Beispiel im Rahmen des «CAS Digital planen, bauen, nutzen»?
Für Bildungsstätten ist es wichtig, ihren Teil zum Wandel des digitalen Bauens beizutragen. Es gilt, neue Wissensinhalte und Kompetenzen, neue Wege in der Didaktik und der Methodik für die Aus- und Weiterbildung zu entwickeln, um die jungen zukünftigen Leistungsträgerinnen und Leistungsträger optimal zu fördern. Moderne Lehre nimmt Themen wie Interdisziplinarität, Kollaboration, E-Learning, Kommunikation auf. Wir versuchen, nicht lange zu reden, sondern schnell umzusetzen.

Welche Inhalte bearbeiten Sie mit den Studierenden, und wie bereiten Sie sie auf das Arbeiten mit BIM vor?
Wir werden Theorien behandeln, die Infrastruktur (Applikationen) kennenlernen, die vorhandenen Hilfsmittel und Dokumente anwenden und sehr schnell gemeinsam etwas entwickeln. Ziel wäre es, zum Abschluss des CAS in der Lage zu sein, ein Planer- und Bauteam zur Formulierung eines IDM (Information Delivery Manual) zu befähigen.

Die BIM-Methode arbeitet durchgehend mit digitalen Arbeitsprozessen, diese gilt es, sich anzueignen. Wie geschieht das? Nur digital oder auch analog?
Das Design der Prozesse kann analog (im Dialog) erfolgen, die Umsetzung geschieht dann digital. Es handelt sich um ein dreistufiges Verfahren:
– Allgemeine Beschreibung (Inhalte des Use-Cases: Beschreibung, Ziele, Nutzen, Grundlagen, Abgrenzungen, Projektteam, Disclaimer)
– Prozessbeschreibung (Beschreibung der Aufgaben und Leistungen pro Phase, Prozessbeschreibung BPMN)
– Informationsanforderungen (Informationsbedarf mit Input/Output, Disziplin, Zeitpunkt, Format)

Wie sieht der Praxisbezug konkret in der BIM-Lehre aus?
Wir versuchen, das Gelernte mit Praxisbeispielen zu unterlegen. Wir arbeiten mit Leitobjekten aus der Wirtschaft, die wir entsprechend anpassen oder neu modellieren können.

Warum kann es ein Vorteil sein, sich BIM in einem interdisziplinären Umfeld mit Fachleuten aus anderen Disziplinen anzueignen, wie das im «CAS Digital planen, bauen, nutzen» vorgesehen ist?
BIM lebt von Interdisziplinarität (Transdisziplinarität), Kollaboration (Kooperation) und Kommunikation. BIM kann nicht monodisziplinär gelehrt und geübt werden.

An der Berner Fachhochschule (BFH) bilden Sie als Professor für BIM und Holzbau den fachlichen Nachwuchs aus. Welche Vorkenntnisse haben die Studierenden?
Das ist abhängig von ihrer Fachdisziplin (Fachrichtung) und ihrem vorherigen Arbeitsplatz und Werdegang. Grundsätzlich können die Architekten und Holzbauer meist schon sehr gut mit dreidimensionalen Objekten umgehen, während Bauingenieure oft aus einer zweidimensionalen Welt kommen. Das Austarieren des Vorwissens auf einen gemeinsamen Wissensstand ist aber meist gut möglich.

Der fachliche Nachwuchs – die Generation Z – ist also gut aufgestellt in Sachen Digitalisierung und digitales Bauen. Wie sieht es bei erfahrenen Leuten aus der Bau- und Immobilienbranche aus?
Auch hier spielen Vernetzung und Kollaboration eine grosse Rolle. Die Jungen lernen von den Älteren und umgekehrt. Wenn alle einen Benefit sehen, sind alle bereit mitzumachen. Es darf kein Zwang sein, sondern sollte zur logischen Konsequenz werden. ●

CAS Digital planen, bauen, nutzen

Der Wandel vom analogen zum digitalen Bauen verändert fast alle Prozesse, Rollen, Verantwortlichkeiten und Aufgaben. Im «CAS Digital planen, bauen, nutzen» erwerben Sie die Methodenkompetenz, um Planungs- und Produktionsprozesse durchgehend digital zu führen. Sie beherrschen den digitalen Workflow, verstehen und definieren die BIM-Use-Cases der Baudisziplinen und sind in der Lage, ein IDM (Information Delivery Manual) zu formulieren und praktisch anzuwenden. Die Weiterbildung bezieht sich auf die gesamte Baubranche im Hochbau und richtet sich an Fachleute aus Architektur, Holzbau, Ingenieurwesen, Projektmanagement und Produktionsleitung.

Wann 27. August 2020 bis 19. Februar 2021
Wo Berner Fachhochschule, Architektur, Holz und Bau, Solothurnstrasse 102, 2504 Biel
Informationen und Anmeldung
ahb.bfh.ch/casdigitalesbauen

Thomas Rohner
Thomas Rohner, Berner Fachhochschule, Architektur, Holz und Bau

«Digital Twins sind mehr als digitale Abbilder»

Mit einem sogenannten Digital Twin sollen künftig Gebäudeprozesse in Echtzeit angesehen, ausgewertet und gesteuert werden. Ein Prototyp der FHNW ist an der «Swissbau» 2020 exklusiv zu besichtigen.

Digital Twins
Mit einem sogenannten Digital Twin sollen künftig Gebäudeprozesse in Echtzeit angesehen, ausgewertet und gesteuert werden. Ein Prototyp der FHNW ist an der «Swissbau» 2020 exklusiv zu besichtigen.
Knapp ein Jahr nach der Fertigstellung erhält der 2018 eröffnete Campus Muttenz der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) ein virtuelles Abbild. Dass dieser digitale Zwilling erst in der Betriebsphase des Gebäudes erstellt werde, widerspreche zwar der regelhaften BIM-Ereigniskette, berge aber auch grosse Chancen für die Lehre und Forschung im digitalen Bauen, wie Dr. Wissam Wahbeh, Verantwortlicher Fachbereich BIM Modellierungstechnologien des Instituts Digitales Bauen FHNW, erklärt.Hat man mit der nachträglichen Berücksichtigung von BIM beim Bau des Campus allenfalls etwas versäumt?
Natürlich wäre es optimal gewesen, wenn die BIM-Methode bereits von Beginn an verwendet worden wäre. Für unser Vorhaben – einen digitalen Zwilling des Gebäudes zu erstellen – ist dieses Versäumnis aber sekundär. Dass wir den neuen FHNW-Campus Muttenz digital abbilden und als Digital Twin interaktiv mit dem realen Bau vernetzen, ist vor allem eines: pragmatisch. Es geht uns bei diesem Projekt nicht darum, das Campusgebäude als solches zu vernetzen, sondern darum, diese Vernetzung exemplarisch aufzuzeigen und mit unseren Studierenden zu erforschen.Und wozu dient dieses Modell?
Oft werden Konzepte in diesem Bereich nur theoretisch vermittelt, wir wollen aber eine Lehre mit Hands-on-Möglichkeiten bieten. Zudem gilt es, das Internet of Things (IoT) konzeptuell mit Virtual Design and Construction (VDC) zu verknüpfen. Dafür hätten wir im Prinzip auch ein beliebiges Gebäude nehmen können. Gleichwohl ist es für uns aber auch interessant, gerade den Campus, in dem wir forschen und lehren, zu verwenden. So können wir den Digital Twin auch weiter in der Verwendung während der Betriebsphase untersuchen.

Sind allenfalls weitere digitale Zwillinge der FHNW geplant?
Da es sich beim Digital Twin um ein noch sehr junges Konzept der Planungs-, Bau- und Immobilienbranche handelt, das aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich gefüllt und definiert wird, wollen wir mit unserem Projekt aus wissenschaftlicher Sicht zur Klärung beitragen. Unser Digital-Twin-Prototyp ist deshalb auch als Anschauungsobjekt gedacht. Wir benutzen es sowohl in der Lehre, in der Forschung und im Dialog mit der Praxis, um aufzuzeigen, was das Konzept des Digital Twin verspricht und welche Fragen bei der Anwendung zu klären sind. Es ist demnach vielmehr als «Proof of Concept» denn als Produkt zu sehen. Uns geht es darum, die Idee des Digital Twin zu schärfen und verständlich aufzuzeigen.

Welche Fragen müssen rund um Digital Twins geklärt werden?
Oft wird davon ausgegangen, dass eine virtuelle Abbildung eines Gebäudes bereits ein Digital Twin ist. In unserem Verständnis des Konzeptes geht ein Digital Twin aber weit über eine Abbildung hinaus: Er ist interaktiv mit dem realen Zwilling verknüpft und ermöglicht so Einblicke, Auswertungen und Eingriffe in Echtzeit. Gleichermassen kann das Gebäude mithilfe des Digital Twin aber auch in die Vergangenheit und in die Zukunft simuliert werden. Ein Digital Twin ist zeitungebunden, bildet aber Echtzeit ab. Dadurch bietet er eine Vielzahl von Nutzungsmöglichkeiten – um diese ausloten zu können, muss aber vorher geklärt werden, was der Digital Twin erreichen soll. Nebst diesen konzeptionellen Fragen müssen dann Umsetzungsfragen geklärt werden. Zum Beispiel: Welche Daten müssen erhoben werden? Wie werden diese erhoben? Wie werden diese zusammengeführt und vereinheitlicht? Das Konzept des Digital Twin erscheint einfach, ist aber komplex sowohl in der Konzeption als auch in der Umsetzung.

Was galt es, hinsichtlich der Gebäudetechnik zu beachten?
Der FHNW-Campus Muttenz besitzt bereits eine gut funktionierende Gebäudeautomation, die zum Beispiel Temperatur, Lüftung und Storen auf die tatsächliche Nutzung abstimmt. Diese verwenden wir auch für den Digital Twin, indem wir die Daten der Gebäudetechnik mit dem digitalen Bauwerksmodell verbinden. Es gibt nicht mehr verschiedene unabhängige Systeme, sondern alle Daten werden zentralisiert ausgewertet und reagieren aufeinander. Das hilft, Prozesse zu optimieren.

Und was ist der Unterschied zur Gebäudeautomation?
Die Gebäudeautomation wird um das Digital-Twin-Konzept erweitert: Es gibt bereits komplexe Gebäudeautomationssysteme wie auf unserem Campus. Durch die Daten des digitalen Bauwerksmodells, genau genommen durch die Geometrien und Eigenschaften der Bauelemente, eröffnen sich aber weitere Nutzungsszenarien. Diese ergeben sich, weil die Daten kombiniert werden können und auch für Maschinen lesbar sind.

Welchen konkreten Nutzen hat der Digital Twin?
Die Anwendungen können je nach Gebäudeart und Einsatzgebiet (Facility-Management, Sicherheit, Energie usw.) unterschiedlich sein. Mithilfe des Digital Twin könnten wir alljährlich auswerten, wie viele Menschen sich in welchen Räumen befunden haben, und dann simulieren, wie sich diese Nutzung auf das Alterungsverhalten auswirkt. Das Facility-Management wird zudem mit wenigen Klicks feststellen und auswerten können, in welchen Räumen wann Reparaturen vorgenommen werden müssen, und kann das bereits – mithilfe statistischer Daten – Jahre voraus kalkulieren. Ebenso könnte in Notfallsituationen dank der Kombination von Gebäudegeometrie und Echtzeitinformationen einfach und schnell Auskunft darüber gegeben werden, wo sich Personen im Gebäude befinden, wo es gerade brennt und wie ein auf die aktuellen Ereignisse angepasster Evakuierungsplan aussehen könnte. Dank Digital Twins können Lösungen für Probleme gefunden werden, die noch nicht einmal bestehen.

Die Prüfung in der Betriebsphase verläuft vollautomatisch. Wird das menschliche Handeln damit nebensächlich oder gar überflüssig?
Digital Twins vereinfachen primär die Beschaffung von Informationen zu Gebäudeprozessen. Die Informationen können durch Menschen oder Maschinen abgefragt werden, die daraufhin getätigten Interventionen können automatisch (auch durch künstliche Intelligenzen) erfolgen oder gezielt durch Menschen. Beides ist möglich, und das volle Potenzial wird wohl nur durch beide Möglichkeiten ausgeschöpft. Das menschliche Handeln ist immer fehlerhaft, den künstlichen Intelligenzen fehlt hingegen noch die Intuition. Der Einsatz von menschlicher Intervention, künstlicher Intelligenz oder einfacher Automatisierung hängt von den Anwendungsszenarien des Digital Twin ab.

Welche Bedeutung hat die Energieeffizienz?
Sie ist sehr wichtig. Mit digitalen Zwillingen kann die Effizienz wesentlich erhöht werden. Der Energieverbrauch wird in Echtzeit angezeigt, und der künftige Verbrauch kann prognostiziert oder simuliert werden.

Noch ist die Anzahl an Neubauten, die mit der BIM-Methode geplant werden, gering. Ist die Vorgehensweise der FHNW ein Plädoyer, trotzdem auch bestehende Gebäude (möglichst frühzeitig) einzubeziehen?
Wir sehen Digital Twins als grosse Chance für die Planungs-, die Immobilien- und die Baubranche. Sie können auch ein Treiber sein, um noch stärker und gezielter mit der BIM-Methode zu arbeiten und zu planen. Die Verknüpfung realer und digitaler Bauten hat immer einen grossen Nutzen. Es muss aber geklärt werden, was der Digital Twin bewirken soll: Es lohnt sich nicht, einen digitalen Zwilling eines Baus zu erstellen, wenn keine Datengrundlage zur Verfügung steht, die verknüpft werden kann. Was digitale Zwillinge bringen können und welche Voraussetzungen dazu erfüllt werden müssen, sind genau die Fragen, die wir anhand unserer Projekte in diesem Bereich gemeinsam mit unseren Studierenden und Praxispartnern untersuchen. ●

Der Prototyp im Innovation Lab an der «Swissbau»

Die Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW stellt den Prototypen des digitalen Zwillings des FHNW-Campus Muttenz im Rahmen des Innovation Lab an der «Swissbau» 2020 vor (Halle Süd / Stand L 75). Das Projekt wurde finanziert von der Stiftung FHNW und vom Lehrfonds FHNW. Der Prototyp kombiniert ein digitales Bauwerksmodell von einem Teil des Campus und ein mithilfe von 3-D-Druck-Technologien nachgebautes Modell, das mit Sensoren ausgestattet wurde. Die beiden Zwillinge sind interaktiv verknüpft und ermöglichen einen Einblick in komplexere Automationsalgorithmen und eine mögliche Nutzung eines Digital Twin: Das physische Modell wird mit simuliertem Tageslicht bespielt. Auf dem digitalen Zwilling ist gleichzeitig zu sehen, wie die Beleuchtung im Gebäude darauf reagiert. Die Daten zur Beleuchtung können ausgewertet werden, und es kann vor Ort auf die Beleuchtung eingewirkt werden. Das ermöglicht den Besuchenden einmalig, das Konzept des Digital Twin kennenzulernen und interaktiv zu erforschen.

Dr. Wissam Wahbeh und weitere Experten der FHNW werden vor Ort sein und stehen gern für Fragen zu diesem und weiteren Forschungsprojekten der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW zur Verfügung.

Digital Twins
Der Digital-Twin-Prototyp wird in der Lehre und im Dialog genutzt.
Wissam Wahbeh
Dr. Wissam Wahbeh ist verantwortlich für den Fachbereich BIM Modellierungstechnologien des Instituts Digitales Bauen FHNW. Er befasst sich unter anderem mit digitalen Zwillingen, Parametric Design, 3-D-Rekonstruktion und der Automatisierung im Bereich BIM-Modellierung. Fotos: Institut Digitales Bauen FHNW, Wissam Wahbeh

Aus dem Nähkästchen der BIM-Verantwortlichen

Die Verwendung der BIM-Methode verlangt auch eine grundlegende Neustrukturierung in Planungsunternehmen. Daraus ergeben sich neue Aufgabenbereiche.

BIM-Verantwortlichen
Während einer Besprechung im Planungsteam, wird mit dem Einsatz von realtime rendering und VR die Qualität des Entwurfs bewertet. Foto: Heinle, Wischer und Partner
Die Verwendung der BIM-Methode verlangt auch eine grundlegende Neustrukturierung in Planungsunternehmen. Daraus ergeben sich neue Aufgabenbereiche.
Mit Implementierung der BIM-Methode in Planungsunternehmen entstehen zugleich neue Verantwortlichkeiten und Aufgabenfelder. Mine Böker und Timo Betz von Heinle, Wischer und Partner gewähren einen Einblick in die Handlungsbereiche von BIM-Managern und BIM-Koordinatoren.Wie sieht das allgemeine Rollenbild von BIM-Koordinator und BIM-Manager aus?
In Deutschland gibt es dafür keine einheitliche Definition und somit auch keine allgemeingültigen Rollenbilder. Deshalb müssen für jedes Projekt unsere internen Definitionen herangezogen werden.

Was beinhalten diese?
Die Aufgaben des BIM-Gesamtkoordinators sehen wir ganz klar im Leistungsbild des Architekten enthalten. Er hat beispielsweise zu prüfen, ob die im BIM-Abwicklungsplan (BAP) vereinbarten Festlegungen, wie der Informationsgehalt der Modelle und die geometrischen Anforderungen, umgesetzt werden. Durch den Einsatz von automatisierten, softwarebasierten Prüfungen kann je nach Qualität der einzelnen Fachmodelle schnell eine grosse Anzahl von Einzelfehlern entstehen. Nun gilt es, diese im Zusammenhang mit den im BAP beschriebenen Zielen und Anforderungen zu bewerten und im Hinblick auf die anstehenden Anforderungen die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Neben der Durchführung verschiedener Prüfungen ist auch die Leitung von Planungsbesprechungen eine zentrale Aufgabe des Gesamtkoordinators. Zu seinen Kernkompetenzen sollten deshalb, neben den rein technischen Fertigkeiten, auch kommunikative Fähigkeiten gehören.

Die Mitarbeit des BIM-Gesamtkoordinators beim Aufstellen und Fortschreiben des BAP sowie die spätere Aufsicht über die Umsetzung der im BAP beschriebenen Aufgabenstellungen haben sich aus unserer Sicht bereits etabliert und bewährt.

Spannend hingegen ist die Rollenbeschreibung des BIM-Managers. Auch hier gilt es, die im Projekt gewählte Definition genau zu betrachten.

Nach unserem Verständnis hat der BIM-Manager die Aufgabe, den Bauherrn in allen Belangen zu beraten. Über alle Phasen des Projekts – von der Planung, der Erstellung bis zum Betrieb respektive Unterhalt – ist er der direkte Ansprechpartner für alle BIM-Themen und die festgelegte Zielstellung. Damit ist er auch massgeblich an der Erstellung der Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA) beteiligt.

«Innerhalb der Projektteams ist es immer sinnvoll, einen Modellierer zu haben, der die Qualität während der Modellierung im Blick behält.»
Mine Böker

Im weiteren Verlauf des Projekts sehen wir die Aufgabe des BIM-Managers darin, die im BAP definierten Ziele konsequent zu verfolgen, zu kontrollieren und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich unsere Auftraggeber sehr wohl von Dienstleistern beraten lassen, wenn es um die Erstellung von AIA geht. Im besten Fall wird noch eine Common Data Environment (CDE) organisiert.

Nun ist es so, dass aufseiten des Auftraggebers nur in Ausnahmefällen die fachliche Qualifikation vorhanden ist, um selbst die Rolle des BIM-Managers zu bekleiden. Gerade vor dem Hintergrund, dass dieser als Vertreter des Auftraggebers gesehen wird, stellt sich das als schwierig heraus.

Dadurch werden einige dieser Aufgaben von uns als Architekten oder Generalplaner übernommen. Wir sehen darin aber eine Chance, denn vor allem in der Planungsphase können damit die Interessen der Planer besser berücksichtigt werden. Projekte mit einer stark akademischen, überinstrumentierten BIM-Management-Ausrichtung haben wir und alle beteiligten Fachplanungen als nicht zielführend erlebt.

«Die Aufgaben des BIM-Gesamtkoordinators sehen wir ganz klar im Leistungsbild des Architekten enthalten.»
Timo Betz

Unsere Bauherrschaft befindet sich in der Regel noch in einer Implementierungsphase, deshalb besteht vor allem im Bereich der zu beschreibenden Anforderungen an das As-Built und das Facility-Management noch grösserer Klärungsbedarf.

In welcher Weise interagieren BIM-Koordinator und BIM-Manager mit den übrigen Personen, die am Planungsprozess beteiligt sind?
Partnerschaftlich! Auch hier ist die Kommunikation wieder ein wichtiger Faktor. Grundsätzliche Probleme, ob in der Modellierung oder in der Zusammenarbeit, müssen frühzeitig erkannt und angesprochen werden. In manchen Fällen können dann auch Einigungen erzielt werden, die möglicherweise von bürointernen Standards abweichen und die eine bessere Kollaborationsgrundlage erzielen.

Was sicherlich auch Vorkenntnisse erfordert?
Für die Rolle des BIM-Koordinators ist es sinnvoll, Erfahrungen in der Planung und der Zusammenarbeit mit anderen Fachplanern zu haben.

Der BIM-Manager sollte zusätzlich zur Planungserfahrung Vorkenntnisse in der Vertragserstellung, der Verhandlung und der Projektleitung haben.

Von welchen Akteuren werden diese beiden Positionen unterstützt?
Innerhalb der Projektteams ist es immer sinnvoll, einen Modellierer zu haben, der die Qualität während der Modellierung im Blick behält (dieser muss nicht zwangsläufig ein sogenannter Fachkoordinator sein). Es ergibt auch Sinn, gewisse Prüfabläufe schon parallel zur Modellierung durchzuführen, um Redundanzen und Häufungen zu vermeiden. Diese Prüfläufe können programmiert werden, im besten Falle auch intern.

Die meisten Programme können nicht allen Anforderungen gerecht werden, sodass neben Plug-ins oft auch kleine programmierte Skripte helfen können.

Wie erfolgt die Verantwortungszuteilung bei Kollisionen im BIM-Modell?
Wichtig ist, dass das Problem immer mit dem Planungsteam besprochen und dann bei Klärung der richtigen Disziplin zugeordnet wird. Treten mehrere solche Probleme auf, ist es notwendig zu definieren, für welchen Kreis die Probleme relevant sind. Sie müssen also in einer Planungssitzung oder einer BIM-Koordinationssitzung besprochen werden. In der Regel ist es sehr sinnvoll, dass der Koordinator an den Planungssitzungen teilnimmt oder zumindest eine Zusammenfassung erhält.

Wie verläuft die Koordination mit Projektbeteiligten bei verschiedenen Modellierungsprogrammen?
Da die meisten Programme sehr verschieden sind und auch sehr unterschiedlich mit dem Format IFC umgehen, treten sehr viele Probleme auf. Schon das Lesen der IFC ist oft ein Problem. Da jede Software unterschiedliche Anforderungen hat, ist es sinnvoll, im Vorfeld eine Art Konformitätstest durchzuführen, um grössere Schwierigkeiten zu vermeiden. Dieser wird vom BIM-Management und den Koordinatoren der jeweiligen Fachplaner durchgeführt. Häufig treten im Verlauf der Planung immer wieder unvorhergesehene Probleme auf, die dann im Team gelöst werden müssen.

Ausserdem ist das IFC-Format generell nicht für die klassische Planung mit 2-D-Planableitungen geeignet, was sicherlich alle Planer weltweit vor ein Problem stellt. ●

Zum Büro

Das 1962 gegründete Architekturbüro Heinle, Wischer und Partner hat rund 300 Mitarbeitende an sechs Standorten in Deutschland und im Ausland. BIM-Manager, -Koordinatoren und -Entwickler bilden das zentrale BIM-Team, das sich mit der Implementierung von BIM auseinandersetzt. Dazu gehört unter anderem eine sogenannte Road Map zur Einführung und Implementierung von BIM.

Mine Böker
Mine Böker, BIM-Koordinatorin, Heinle, Wischer und Partner
Timo Betz
Timo Betz, BIM-Manager, Heinle, Wischer und Partner

Unter algorithmischen Vorzeichen

Parametrisches Entwerfen könnte den Kreativprozess von Planenden vereinfachen. Anhand festgelegter Kriterien suchen Algorithmen nach der idealen Lösung.

parametrischen
Beispiel für einen generativen Algorithmus in Rhino/Grasshopper 2019. Foto: S. L.
Parametrisches Entwerfen könnte den Kreativprozess von Planenden vereinfachen. Anhand festgelegter Kriterien suchen Algorithmen nach der idealen Lösung.
Der Entwurfsprozess ist der Kern des kreativen Schaffens von Planenden. Slik Architekten ergänzen dieses Verfahren um den parametrischen Prozess. Steffen Lemmerzahl berichtet über die daraus resultierenden Veränderungen und Herausforderungen.Sie entwerfen mithilfe von Algorithmen. Können Sie den zugrunde liegenden technischen Prozess schildern?
Wenn man mit Algorithmen oder, etwas allgemeiner formuliert, mit maschinellen Prozessen arbeitet, muss man sich bewusst sein, dass diese jeweils sehr klar definierte Schnittstellen voraussetzen. Welche Informationen liegen in welcher Form vor? Was für ein Ergebnis wird wie aufbereitet benötigt? Das zwingt einen dazu, sich der eigenen, oft der Intuition folgenden Arbeitsschritte beim Entwerfen bewusst zu werden. Und diese zu beschreiben, am besten so, dass eine Maschine damit einen Beitrag leisten kann. Das ist ein längerer Lernprozess, aber schliesslich kann man fast jede Arbeit in kleine, einfache Schritte zerlegen. Und davon profitieren am Ende nicht nur die Algorithmen, sondern auch die Teams, die einen Entwurf bearbeiten.Man spricht dabei auch vom parametrischen Entwerfen. Ist dieses Verfahren voll automatisiert, oder verlangt es weiterhin das Eingreifen von Architekten?
Bei uns werden parametrische Prozesse in den alltäglichen Entwurf integriert, und zwar dort, wo sie projektspezifisch Sinn er-geben. Es werden also, wie gerade geschildert, einzelne Arbeitspakete delegiert, aber die meisten werden weiterhin von uns Architekten bearbeitet. Im Jahr 2009 haben wir das Experiment durchgeführt, bei einem Architekturwettbewerb so viel wie möglich einem generativen Algorithmus zu übertragen. Interessanterweise wurde das Projekt von der Jury akzeptiert. Das heisst, es kam einem von Menschenhand gemachten Entwurf wohl nahe genug, dass man es ernst genommen hat. Das allein war ein grosser Erfolg. Gleichzeitig hat uns dieses Experiment aber auch die Grenzen aufgezeigt, wie weit man gehen sollte. Viel konnten wir nämlich nicht beeinflussen, die Konzeption des Algorithmus hat das von diesem geschaffenen Ergebnis sehr umfassend bestimmt. Deshalb ist ein voll automatisierter Prozess gar nicht mehr interessant für mich – jedenfalls derzeit.

«Generative Algorithmen steuern eine Vielzahl von parametrischen Algorithmen, indem sie diese mit wechselnden Parametern füttern und anschliessend das Ergebnis auswerten.»
Steffen Lemmerzahl

In welcher Phase kommt das parametrische Entwerfen zum Einsatz?
Man kann diese Methodik in allen Phasen anwenden. Bei der Konzeptfindung unterstützt man so vielleicht das Variantenstudium, in der Ausführungsplanung wiederum können komplexe Geometrien einfach beherrscht werden. Allgemein ist parametrisches Arbeiten bei Arbeitsschritten sinnvoll, die besonders repetitiv oder komplex sind und ansonsten nicht beherrschbar wären. In der Konzeptphase wären das beispielsweise Flächenauszüge oder die Kontrolle einfacher Baugesetze, in der Ausführung oft die Fassade, die aus mehreren Hundert oder Tausend ähnlichen, aber nicht gleichen Elementen besteht.

Welche Kriterien liegen den Entwurfsalgorithmen zugrunde?
Das hängt sehr davon ab, mit welcher Art von Algorithmen man es zu tun hat. Parametrische Algorithmen verwerten, wie der Name schon sagt, Parameter. Diese werden dann mehr oder weniger linear auf komplexere Zusammenhänge angewendet, wie die Geometrie eines Fassadenelements. Man kann respektive muss durch die Kontrolle der Parameter beeinflussen, wie das Ergebnis aussieht. Möchte man etwas Kontrolle abgeben und überraschende Momente erzeugen, werden Zufallszahlen oder trigonometrische Funktionen für einzelne Parameter verwendet. In jedem Fall erhält man hier sehr zuverlässig die zu erwartenden Ergebnisse. Etwas anders verhält es sich mit den generativen Algorithmen. Diese steuern eine Vielzahl von parametrischen Algorithmen, indem sie diese mit wechselnden Parametern füttern und anschliessend das Ergebnis auswerten. Schliesslich wird dieses Ergebnis auf ein Ziel hin optimiert, beispielsweise ein Maximum oder einen genau festgelegten Zielwert. Als Entwerfender muss man dem Algorithmus genug Spielraum geben, sprich die Kontrolle zu einem gewissen Grad abgeben, was die eingesetzten Parameter und damit die so erzeugten Geometrien betrifft. Man kontrolliert stattdessen die Performance dieser Geometrien, die ja nicht unbedingt technischer Natur sein muss. Insofern sind die generativen Algorithmen ein sehr mächtiges Entwurfswerkzeug, weil sie die Lösungssuche stark beschleunigen – wenn man weiss, wonach man sucht.

Die Ergebnisse sind zufriedenstellend?
Seit Kurzem gibt es erste Anwendungen von neuronalen Netzwerken in der Architektur. Bekannte Beispiele sind fotorealistische Fassaden, die aus einfachen Ansichten generiert werden können, oder sich automatisch der Gebäudeform anpassende Grundrisse. Hier kann man als Entwerfender nur noch durch das Training der neuronalen Netzwerke Einfluss auf die Ergebnisse nehmen. Das heisst, man kann das Trainingsmaterial, also die Daten, sorgfältig zusammenstellen und einzelne Lernschritte festsetzen. Alles Weitere entsteht innerhalb der neuronalen Netzwerke, deren interne Abläufe selbst ihre Erfinder nicht 100-prozentig verstehen. Die ersten Anwendungen sind trotzdem sehr vielversprechend, und ich denke, hier wird noch viel passieren.

«Mit den parametrischen Werkzeugen kann man direkt von der Skizze zum Ausführungsdetail gelangen.»
Steffen Lemmerzahl

Welche Informationen sind hinsichtlich der zu verarbeitenden Daten von besonderer Bedeutung?
Bisher musste man mit den wenigen Daten arbeiten, die man überhaupt bekommen konnte. Mittlerweile unterstützen viele Kantone Open Data, wodurch die Auswahl grösser wird. Noch kann ich aber nicht sagen, dass ich gewisse Datensätze anderen vorziehe. Das ist projektspezifisch. Welche Fragen stellen sich, und unter Zuhilfenahme welcher Daten kann man Antworten finden? Zukünftig würde ich aber gern viel mehr Simulationen durchführen. Es kann eigentlich nicht sein, dass wir die meisten Gebäude in der Schweiz immer noch auf Basis von Faustformeln entwickeln, was zum Beispiel Raumklima und Energieflüsse betrifft. Derzeit ist man immer noch auf Spezialisten angewiesen, wenn man etwas genauer wissen möchte, obwohl die meisten Daten eigentlich vorhanden wären.

Ist das parametrische Entwerfen unabhängig vom Gebäudetyp?
Prinzipiell ja. Allerdings kann man damit bei sehr einfachen Typologien wenig erreichen. Bei diesen stellt sich die Frage, ob sich der Aufwand überhaupt lohnt. Denn dieser ist relativ hoch, weil man jede konkrete Aufgabe parametrisieren muss.

Wie stark ist das parametrische Entwerfen bereits in Ihrem Entwurfsprozess implementiert?
Es gibt Projekte, die mehrheitlich mit parametrischen Prozessen entworfen werden. Bei anderen kommen sie hingegen überhaupt nicht zur Anwendung. Das hängt immer vom Projekt und den daran beteiligten Personen – intern wie extern – ab.

Besteht die Gefahr, dass sich der kreative Entwurfsprozess zu einem standardisierten Verfahren wandelt mit untergeordneter Priorität?
Es ist durchaus denkbar, dass es bald Werkzeuge gibt, mit denen man in sehr kurzer Zeit standardisierte Bauten ausführungsreif modellieren kann. In Ansätzen existiert das schon, und wer solche Bauten erstellen will, wird davon profitieren. Aber generalisieren würde ich das nicht. Die Mehrheit der Bauaufgaben ist zu komplex, um sie mit standardisierten Verfahren zu bewältigen.

Wird die handelsübliche Skizze dann als Entwurfswerkzeug überflüssig?
Nein, im Gegenteil, sie wird wieder wichtiger. Bisher mussten Skizzen schrittweise in zunehmend detailliertere Pläne übersetzt werden, wodurch sich das Resultat oft stark von der ursprünglichen Intention unterschied. Mit den parametrischen Werkzeugen kann man direkt von der Skizze zum Ausführungsdetail gelangen. Abgesehen davon, kann ich mir nicht vorstellen, wie man einen parametrischen Prozess ohne Skizzen definieren könnte.

Inwieweit kann der Kreativitätsprozess hingegen von der Digitalisierung profitieren?
Wenn man diese richtig einsetzt, kann man mit den vorhandenen und entstehenden Methoden der Digitalisierung viele notwendige Prozesse automatisieren. So bleibt mehr Zeit für die Dinge, die einem Freude bereiten – und das sind ja meistens die Kreativprozesse. Und auch diese kann man, wenn man dafür offen ist, mit digitalen Werkzeugen erweitern. Das ist aber jedem selbst überlassen.

Wie kann eine Verbindung des digitalen Entwurfsprozesses zu BIM erfolgen?
Es ist problemlos möglich, digital entworfene Geometrien so auszugeben, dass man sie direkt in BIM-Prozessen verwenden kann. So können Planer aus anderen Disziplinen direkt mit den Ergebnissen weiterarbeiten. Umgekehrt wird es leider schwierig, denn BIM-Modelle bestehen aus sehr primitiv definierten Geometrien – sogenannten Meshes – und man kann kaum Rückschlüsse auf die ihnen zugrunde liegenden Definitionen ziehen. Die Daten sind somit ungeeignet, um von maschinellen Prozessen weiterverarbeitet zu werden, zumindest mit den aktuellen IFC-Spezifikationen. Es gibt aber Vorstösse, das zu optimieren.

Wir sind inmitten einer Digitalisierung der Baubranche. In welcher Phase befinden wir uns aktuell, und wird der Digitalisierungsprozess jemals abgeschlossen sein?
Die in den letzten Jahren sehr verbreitete BIM-Diskussion hat zumindest dafür gesorgt, dass das Thema Digitalisierung in vielen Planungsbüros zum Thema wurde. Ich befürchte allerdings, dass man sich oft mit dem Zukauf einer BIM-fähigen Software zufriedengibt. Damit hat der Digitalisierungsprozess aber noch nicht einmal begonnen. Denn erst wenn im Anschluss die internen Prozesse auf einen digitalen Austausch mit den anderen Planern umgestellt wurden, hat man diesen Schritt gemacht.

Weiterhin ist unsere gesamte Branche noch darauf ausgerichtet, die Arbeitsstunden ihrer Mitarbeiter zu verrechnen. Wie soll das funktionieren, wenn ein zunehmend grösserer Anteil der Planungsleistungen automatisiert werden kann? Es wäre dringend nötig, die Honorierung den neuen Gegebenheiten anzupassen und sich auf den Mehrwert zu konzentrieren, den wir Planer generieren. Insofern befinden wir uns als Branche derzeit noch auf Feld 1 der Digitalisierung. ●

parametrischen
Tageslichtsimulation Yond, Zürich, 2016. Foto: S. L.
parametrischen experimental
Experimental GAN-generated Masterplans, 2019. Foto: Stanislas Chaillou
parametrischen fassade
Von der Skizze zum 3-D-Modell. Prof. CAAD, ETH Zürich, 2005. Foto: S. L.
Steffen Lemmerzah
Steffen Lemmerzahl, Architekt, Slik Architekten

Historisches in digitaler Erweiterung

Der temporäre Haupteingang des Sanierungsobjekts präsentiert sich als optischer Blickfang, dessen digitale Innovation in der Verwendung von Computational-Design-Methoden für 3-D-gedruckte Fassadenpaneele und komplett rezyklierbarem Kunststoff (PETg) zu finden ist.

Deutschen Museum
3-D-gedruckte Fassadenpaneele aus komplett rezyklierbarem Kunststoff (PETg) beleben die Fassade des Deutschen Museums München neu. Visualisierung: nuur.nu
Interview Oliver Tessin, 3F Studio
Von Morris Breunig
Das Deutsche Museum in München erfindet sich neu und verbindet historische Bausubstanz mit zukunftsweisenden Technologien. Der temporäre Haupteingang des Sanierungsobjekts präsentiert sich als optischer Blickfang, dessen digitale Innovation in der Verwendung von Computational-Design-Methoden für 3-D-gedruckte Fassadenpaneele und komplett rezyklierbarem Kunststoff (PETg) zu finden ist. Der zugrunde liegende und von 3F Studio entwickelte computer-basierte Entwurfsprozess bietet über das Projekt hinaus Potenzial für performative Gestaltung. Oliver Tessin, einer der drei Gründer des Start-ups 3F Studio, ist verantwortlich für die Computational-Design-Methoden und schildert die Prozesse und die damit verbundenen Herausforderungen im Gespräch.Welchen Zweck erfüllt die temporäre Fassade am Deutschen Museum in München?
Die 3-D-Druck-Fassade ist die thermische Hülle des temporären Haupteingangs und zugleich das Pilotprojekt für die von uns, 3F Studio, entwickelte multifunktionale 3-D-Druck-Fassadenanwendung. 3F Studio ist ein Spin-off der TU München, das ich gemeinsam mit Moritz Mungenast und Luc Morroni gegründet habe. Idealerweise soll die Fassade, wie vom Deutschen Museum als «Tor der Zukunft» beschrieben, als Leuchtturm für die Initiative «Auf zu neuen Welten» in der Stadt München sichtbar sein und darüber hinaus für innovativen Fortschritt im Bundesland Bayern stehen.Welche Planungsmethode kam dafür zum Einsatz?
Um die Methode und das Potenzial der Fassadenanwendung zu verstehen, muss der Ansatz erklärt werden. Das Bauen wird schon immer massgeblich von neuen Technologien geprägt – beispielsweise mit dem Ziel, intelligenter und materialsparender zu konstruieren. Ich glaube, dass Mass-Computation und 3-D-Druck einen relevanten Einfluss auf die Zukunft des Bauens haben werden. Und um das Potenzial fundiert zu nutzen, fokussiere ich systematisch auf zwei Kriterien: hohe Auflösungen und geometrische Komplexität, wie es auch in den Konstruktionsprinzipien der Natur der Fall ist. Ich denke, das ist entscheidend, um morphologische Systeme und nachhaltige Materialstrategien zu entwickeln, die den aktuellen technologischen Fortschritt informiert nutzen. Bereits die Architekten der Gotik haben aus der Natur Methoden zur Formfindung abgeleitet. Die druckbasierten Tragwerke der gotischen Kathedralen wurden grösser, filigraner und materialeffizienter gebaut als mit damals üblichen Bauprozessen, und das lediglich mit geometrisch einfachen Materialblöcken. Der 3-D-Druck macht es möglich, mit der Auflösung eines Sandkorns computeroptimierte und dadurch hochkomplexe Geometrien zu bauen, die bislang nicht umsetzbar waren. Das ermöglicht meiner Meinung nach eine neue Qualität an Konsequenz zwischen Form und Material (Funktion), die Impulse für Denkanstösse gibt. Denn visuelle (Form) und konstruktive (Funktion) Ästhetik wird hier untrennbar in einer Einheit «fusioniert». Diesen Ansatz habe ich in «Fused Form and Function» kondensiert – daher 3F. Diese damit entwickelten Planungsmethoden und Prozesse machten es möglich, die weiche Faltung am Deutschen Museum zu algorithmisieren. Durch die Erhöhung der Auflösung und der Komplexität der Fassadenoberfläche konnten wir den Entwurfsprozess um eine Vielzahl an Funktionen wie Verschattung bereichern. Die Faltung beeinflusst massgeblich die charakteristische Gestaltung und ermöglicht durch deren Eigenverschattung, den Energieeintrag hinsichtlich des Sonnenverlaufs adaptiv an die Gebäudenutzung und den Standort anzupassen. Weitere Funktionen wie Belichtung, Dämmung und thermische Belüftung konnten ebenfalls lokal-geometrisch gelöst werden. Das Resultat des morphologischen Materialsystems ist emergent die Summe dieser funktionalen Anforderungen. Die so generierte Fassade ist auf das Projekt zugeschnitten und potenziell auf jeden Standort weltweit anwendbar. «Fluid Morphology», wie wir die Fassadenanwendung nennen, ist das Resultat des forschungsorientierten Studios 3D Envelopes an der Professur für Entwerfen und Gebäudehülle der TU München. Es basiert auf der Doktorarbeit von Moritz Mungenast zu multifunktionalen 3-D-gedruckten Fassadenpaneelen und auf meinen Formenstudien zu parametrisch weich gefalteten Oberflächen.

«Die klassische Ausbildung des Architekten wird um Computational-Methoden erweitert.»
Oliver Tessin

Ist Computational Design ein Fortschritt?
Mit dem Vergleich zur Computerisierung lässt sich das gut erklären. Ein computerisierter Prozess wie CAD (Computer-Aided-Design) rationalisiert komplexe Entwurfsprozesse. Das Resultat sind meist geometrisch einfache Formen, die aufwendige Planungs- und Fertigungsprozesse effizienter gestalten – kein Architekt zeichnet noch Pläne bzw. plant kosteneffektiv mit Bleistift. Computational Design kehrt diesen Prozess um. Mass-Computation ermöglicht, funktionale Anforderungen und morphologische Materialeigenschaften – 3-D-gedrucktes PETg – mit einer Präzision zu berücksichtigen, dass die daraus resultierende Geometrie wortwörtlich durch das Einwirken, beispielsweise den Sonnenverlauf, geformt wird. Dadurch werden architektonische Probleme nicht mehr mit vordefinierten Formen gelöst. Computational-Design-Methoden ermöglichen nicht nur Architektur mit massgeschneiderter Performance, Gestaltung und geringem Materialverbrauch, sondern sie provozieren auch ein Umdenken für unsere gebaute Umwelt – unsere Ressourcen für Baumaterialien sind endlich, und unsere Städte wachsen schnell.

Wie entstehen die Resultate?
Nehmen wir das Beispiel der gefalteten Oberflächen. Der erste Schritt ist die Standortanalyse. Betrachtet wird die Gebäudeorientierung und zu welcher Uhrzeit verschattet werden soll. Das morphologische System bzw. das Skript nutzt diese Datengrundlage, beispielsweise statistische Wetterdaten, um die Geometrie zu generieren. Das System ist so programmiert, dass der verfügbare Morphospace des 3-D-Druckers (Fused Deposition Modeling) sowie die schmiegbaren Materialeigenschaften von Kunststoff vollständig berücksichtigt und nur Lösungen generiert werden, die tatsächlich herstellbar sind. Mit dieser Prozessabfolge werden unzählige mögliche Geometrien generiert, deren thermische Leistung simuliert wird. Während des Prozesses passt ein evolutionärer Algorithmus kontinuierlich die Parameter für die Geometriegenerierung an – beispielsweise Faltungswinkel –, um entsprechend den definierten Zielfunktionen, hier geringster Energieeintrag, die ideale Geometrie zu generieren.

Wird die klassische gestalterische Planung damit obsolet?
Nein. Es wird immer der Architekt oder der Designer sein, der den Computer bedient. Bei Computational-Design-Methoden werden allerdings bedeutend mehr Fähigkeiten des Computers genutzt als nur CAD-Zeichenprogramme. Hier wird, in Verbindung mit den vorher erwähnten Impulsen, ein Umdenken provoziert. Denn im Computational-Design-Thinking entwerfen Architekten Werkzeuge, welche die Rechenkapazität und Präzision des menschlichen Gehirns deutlich übersteigen und jegliche Anforderungen und Planungsvorgaben berücksichtigen, um daraus die beste Lösung zu generieren. Wie es vor einigen Jahrzehnten mit den CAD-Werkzeugen geschah, wird die klassische Ausbildung des Architekten bereits um Computational-Methoden erweitert.

Inwieweit kann Computational Design mit Building Information Modeling (BIM) kombiniert werden?
Der Schritt zur Implementierung morphologischer Systeme in BIM-Komponenten ist noch gross – wie das darin verborgene Potenzial. Die Automatisierung ist bereits Bestandteil von BIM, beispielsweise um Türlisten zu generieren. Weil der angewandte Computational-Design-Prozess in der Praxis bis jetzt noch nicht Standard ist, war BIM kein Bestandteil der Planung für das Deutsche Museum. Der von uns entwickelte digitale Gestaltungsprozess für die Fassade bildet allerdings die Basis, woraus in Zukunft BIM-Komponenten programmiert werden können. Andere Planer haben dann die Möglichkeit, diese Entwurfsprozesse in einer BIM-Software zu nutzen und potenziell Produktionsdaten direkt an den 3-D-Drucker zu senden.

Und der 3-D-Druck rundet die Vorteilskette ab?
Der 3-D-Druck macht die komplexen digitalen Formen erst möglich und schliesst die «digitale Kette».

Wird der 3-D-Druck das Bauen massgeblich verändern?
Mit dieser Frage setzen wir uns und unser Fachbereich an Hochschulen intensiv auseinander. Wie lassen sich neue Technologien fundiert im Entwurfs- und Bauprozess nutzen? Dass mit dem 3-D-Druck Bauteile additiv – virtuell ohne Materialabfall – gefertigt werden können, zählt zu den greifbarsten Argumenten für eine Veränderung. Das Problem von Baumaterialabfällen erklärt sich von selbst. Diese werden genauso wie die verbauten Bauteile meist nur down-recycelt. Der Kunststoff der 3-D-gedruckten Fassade am Deutschen Museum ermöglicht eine drei- bis viermalige Wiederverwendung. Wir planen das hier verwendete Material für zukünftige Projekte ein, um einen geschlossenen Materialkreislauf zu schaffen. Auch der 3-D-Druck mit Beton eröffnet mit geringem Materialverbrauch und Produktionsabfällen Möglichkeiten. Ich glaube der Einfluss wird gross sein – auch kleinmassstäblich und bezogen auf Innenräume oder Pavillonstrukturen.

Welche konstruktiven Herausforderungen ergeben sich?
Für die Fassade haben wir vor allem bauphysikalische Themen untersucht – und auch Lösungen entwickelt. Konstruktiv ist unsere Anwendung ein Vorhangfassadensystem. Wir planen mit erfahrenen Fassadenherstellern eine konventionelle Unterkonstruktion. Mehrere Segmente (ein Meter auf ein Meter) werden als geschosshohe Vorhangpaneele vorgefertigt und vor Ort eingehängt – es besteht kein Unterschied zum üblichen Montageablauf. Die Integrierung üblicher Unterkonstruktionsprofile und Soganker in die 3-D-Druck-Bauteile ist allerdings form-adaptiv an die tatsächliche Belastung im Bauteil angepasst. Diese sind von aussen nicht sichtbar. Die Kunststoffausdehnung mit sechs Millimeter pro einem Meter ist nicht zu unterschätzen. Wir haben das allerdings in der Nut- und Federverbindung der Paneele berücksichtigt, die auch als notwendige Silikonfuge dient. Das Fugenbild wurde gestalterisch genutzt. Die vorher erwähnten bauphysikalischen Zulassungsbedingungen wie Druck- und Sogkräfte, Brandschutz und UV-Beständigkeit haben wir bereits berücksichtigt. Auch mit der Finanzierung machen wir gerade grosse Sprünge.

Werden Fertigung und Montage beim Entwurfsprozess berücksichtigt?
Die digitale Fabrikation – in diesem Fall die additive Fertigung – wird frühzeitig in den Entwurfsprozess integriert. Genauso wie Materialstrategien und aus der Natur bekannte Konstruktionsprinzipien regt das 3-D-Druck-Verfahren zu ganz neuen Lösungen an. Die parallele Integrierung von Computation, digitaler Fertigung und Konstruktionsprinzipien in einen Prozess ist entscheidend für die Performance des morphologischen Systems – in diesem Fall die Fassadenanwendung für «Fluid Morphology».

Wie sieht die Schnittstelle zum Fertigungsprozess aus?
Die zum 3-D-Drucker gesendete Produktionsdatei wird direkt aus dem Geometriegenerierungsalgorithmus erstellt. Die «digitale Kette» ist kurz. Mit der nötigen Expertise wird das fertige Bauteil mit einem Gewicht von 10 bis 15 Kilogramm – die Toleranz liegt bei unter 1 Millimeter – aus dem Druckbett gehoben. Es sind ein-fach nur einige Minuten Nachbearbeitung notwendig, und das Bauteil kann montiert werden.

Auf welche Projekte richtet sich künftig der Fokus?
Wir legen derzeit den Fokus auf exklusive Kulturbauten wie Museen, Bibliotheken und Konzerthäuser. Hinzu kommen künftig alle Nutzungen, die aber von der diffusen Belichtung durch die transluzente Fassade und die Energieeintragskontrolle profitieren. Wir verfolgen auch Strategien für Innenräume, in denen wir die Oberflächen für die Akustik statt für die Verschattung optimieren: Messebauten, integrierte Möbelwände, Foyers, Büro- und Konferenzräume.

«Der Schritt zur Implementierung morphologischer Systeme in BIM-Komponenten ist noch gross – wie das darin verborgene Potenzial.»
Oliver Tessin

Wie ist der aktuelle Stand des Sanierungsprojekts in München?
Nach dem Wechsel des Planungsbüros hat das Architekturbüro RKW Architektur + die Planung übernommen. Das Eröffnungsdatum im vierten Quartal 2020 bleibt weiterhin das Ziel. ●

Deutschen Museum
Die 3-D-Druck-Fassade ist praktisch die thermische Hülle des temporären Haupteingangs. Visualisierung: nuur.nu
Deutschen Museum
Der 3-D-Druck ermöglicht die Herstellung komplexer digitaler Strukturen. Foto: 3F Studio
Deutschen Museum
Die digitale Fabrikation wird frühzeitig in den Entwurfsprozess integriert. Fotos: Andreas Heddergott
Deutschen Museum
Der Kunststoff der 3-D-Druck-Fassade am Deutschen Museum ermöglicht eine drei- bis viermalige Wiederverwendung.
Oliver Tessin
Oliver Tessin, 3F Studio

Basels neue «Bau»- Reihe

Basel baut mit Herzog & de Meuron als Architekten. Die bewährte Kombination setzt sich beim Bürohochhaus Bau 2 sowie beim Forschungs- und Entwicklungszentrum von Roche fort.

Herzog & de Meuron
Mit dem Forschungszentrum und Bau 2 werden erneut Prestigeprojekte von der F. Hoffmann-La Roche AG in Basel in Zusammenarbeit mit Herzog &de Meuron und weiteren Planungsfirmen realisiert. Foto: Roche, Beat Ernst
Morris Breunig (Text), Roche, Beat Ernst (Bilder) und Herzog & de Meuron (Visualisierungen)
Basel baut mit Herzog & de Meuron als Architekten. Die bewährte Kombination setzt sich beim Bürohochhaus Bau 2 sowie beim Forschungs- und Entwicklungszentrum von Roche fort.
Die städtebauliche Entwicklung Basels schreitet weiter voran. Nach Bau 1 wird mit Bau 2 erneut ein Prestigeprojekt von der F. Hoffmann-La Roche AG in Basel in Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron und dem Generalplaner Drees & Sommer realisiert.Das Gebäude fasst 50 oberirdische Stockwerke und 3 Untergeschosse. Für bis zu 3400 Mitarbeitende stehen flexible Arbeitsplätze – «Activity Based Working» – zur Verfügung. Die in Dreiergruppen unterteilten Bürogeschosse sind über Wendeltreppen verbunden. Zusätzlich zu den Büroetagen gibt es fünf Stockwerke für Besprechungs- und Konferenzräume, Café, Bistro und Topfloor-Cafeteria sowie Batterieladestationen für E-Bikes im Keller.

Die im Fall von Bau 2 eingesetzte Closed-Cavity-Fassade minimiert den Energieeintrag und -verlust. Damit sollen die Gebäude bereits in den ersten Betriebsjahren die prognostizierten tiefen Energiekennzahlen eines Green Building erreichen.

Kollisionen reduzieren

Die BIM-Methode stellt in der Planung von Bau 2 einen durchgängigen Prozess von der Konzeption über die Planung und Ausschreibung bis zur Ausführung und Inbetriebnahme sicher. «Alle Disziplinen innerhalb des Projektteams arbeiten mit BIM. Auch die Unternehmer müssen in der Lage sein, auf Basis ihres jeweiligen BIM-Teilmodells ihre Konstruktionspläne zu erstellen», erklärt Claus Herrmann, Projektleiter Bau 2.

BIM ermöglicht zunächst einen höheren Detaillierungsgrad, wodurch beispielsweise die Aufhängungssysteme für Decken, Rohrleitungen und Trassen sowie die Ständer des Doppelbodens mitmodelliert werden. Damit kann das Risiko von Koordinationsfehlern und Kollisionen stark reduziert werden. Durch den Einsatz von Virtual Reality können Layouts und Installationen sowie deren Zugänglichkeit einfacher und schneller überprüft werden.

Der Construction Manager nutzt ein 4-D-Modell, das den Terminplan mit dem 3-D-Modell verknüpft. Hierdurch lassen sich im Bauablauf sehr einfach Abhängigkeiten erkennen. Das 4-D-Modell enthält die Logistik mit Kränen, Liften, Umschlags- und Lagerflächen, um die Arbeiten effizient zu koordinieren und Flächen zuweisen zu können.

BIM befähigt zudem die Unternehmer, das BIM-Modell in ihrer Werk- und Montageplanung zu verwenden, ihren Vorfertigungsgrad zu steigern und damit auf der Baustelle eine höhere Produktivität zu erreichen, was sich wiederum positiv auf die Baukosten und auf die Reduktion von Nachträgen auswirkt.

Sensorische Regelung

Im fertigen Gebäude dienen Tausende Sensoren einer effektiven und effizienten Bewirtschaftung mit BIM. Sie gewährleisten den optimierten Betrieb der Bauwerke und das Energiemanagement, generieren aber für die Nutzenden auch Real-Time-Informationen. Wo im Gebäude freie Arbeitsmodule verfügbar sind, ist also leicht ersichtlich. Optische Sensoren in Sitzungszimmern sichern den Betrieb der Lüftungsanlagen. Zudem steuern sie das Licht in Abhängigkeit der Zahl der darin befindlichen Personen und melden für ein optimales Flächenmanagement die Frequenz der Belegung an das Real-Estate-Management.

Strukturierte Aufgabenverteilung

Mit der BIM-Methode ergeben sich auch Vorteile hinsichtlich der Strukturierung und der Zeitabläufe. Wie die unterschiedlichen Projektbeteiligten zusammenarbeiten, ist im BIM-Execution-Plan (BEP) festgehalten. In der Regel ist der Generalplaner bei Roche-Grossbauprojekten zugleich BIM-Manager und BIM-Koordinator. Jene Person ist für das Gesamtmodell, die BIM-Datenbank und für die Abstimmung der Prozesse sowie die Tools verantwortlich.

Durch das gemeinsame 3-D-Modell werden grosse Bauteile, wiederholende Module und Baugruppen «programmiert» respektive gescriptet und nicht mehr konventionell gezeichnet. Eine Schablone beschleunigt die Modellerstellung um ein Vielfaches. «Im Unterschied zur konventionellen Planung werden die Gewerkemodelle tagesaktuell auf einer Cloudplattform gewerkübergreifend referenziert und zu einem Stichzeitpunkt zur Kollaboration fixiert. Ein Modelchecker übernimmt eine erste Qualitätssicherung», erklärt Herrmann. Weitere Qualitätschecks finden mit der 3-D-Brille im virtuellen Raum statt. «Wird ein Fehler erkannt, hängt der Prüfer im virtuellen Raum einen roten Zettel an das entsprechende Detail. Der Konstrukteur sieht das zeitgleich im Backoffice und beseitigt den Fehler. Der rote Zettel wird grün, und der Prüfer erkennt das bei seiner nächsten Begehung», schildert Herrmann den weiteren Ablauf. Prüfungen und Qualitätschecks werden so effizienter, zeitsparender und können in der digitalen Welt parallel erfolgen.

Ortsunabhängige Kollaboration

Modelchecker und Kollisionschecks reduzieren die Fehler bereits in der Planung. Modell- und Plan-Reviews können in der digitalen Welt parallel erfolgen. In den anschliessenden Design-Koordinationsmeetings wird nur noch im virtuellen Raum über die Lösung entschieden. «Wir sparen grosse Mengen an Papier und Reprokosten. Bei Unklarheiten kann ich mich ortsunabhängig mit dem Planer von Bau 2 im digitalen Zwilling treffen und Fehler oder Vorschläge diskutieren», erklärt der Projektleiter. Die Auftraggeber-Informationsanforderungen werden bei Roche in sogenannten Deliverables-Listen und in den zugehörigen Leistungsverzeichnissen detailliert beschrieben. Geometrische 3-D-Modellierung im LOG (Level of Geometry) und Attribuierung im IDM (Information Delivery Manual) sind zudem pro Phase festgeschrieben.

Auch für die Betriebsphase von Bau 2 ist man laut Herrmann gewappnet: «Augmented Reality zeigt beispielsweise die über der abgehängten Decke oder im Doppelboden versteckten Installationen, ohne diese zu öffnen. Im Fall eines notwendigen Umbaus können die Nutzenden bereits frühzeitig per 3-D-Brille Vorschläge einsehen.»

Nach der Fertigstellung 2022 wird Bau 2 mit 205 Metern das neue höchste Gebäude der Schweiz sein und damit Bau 1 (178 Meter) überragen.

Forschungs- und Entwicklungszentrum

Mit dem pRED Innovation Center erhält das Roche-Areal zudem ein Forschungs- und Entwicklungszentrum, das die «Baureihe» von Bau 4 bis Bau 7 fortführt. Rund 1800 Büro- und Laborarbeitsplätze werden dort künftig zur Verfügung stehen. Der Neubau soll die notwendige Forschungsinfrastruktur am Firmenhauptsitz in Basel sicherstellen. Bau 6 und Bau 7 werden zudem die höchsten, bisher geplanten Laborhochhäuser. Jede Einheit umfasst drei Stockwerke – Neighborhoods – für rund 140 Forschende und bietet eine übersichtliche Strukturierung. Dabei beinhalten die Geschosse sowohl Labor-, Büro- als auch weitere Begegnungsbereiche.

Effizient planen und umsetzen

BIM ist im Forschungszentrumsprojekt pRED Innovation Center ebenfalls die zentrale Planungsmethode und unterstützt wesentlich den interdisziplinären Planungsprozess sowie die Ausführung und den Betrieb der Gebäude. Auch hier unterstützt algorithmisches Zeichnen das modulare Planen. Wiederkehrende Module können so effizient gezeichnet werden, und der hohe Detaillierungsgrad verspricht eine Werks- und Montageplanung mit geringerem Aufwand. «Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Markt entsprechend vorbereitet ist und die Schnittstellen der Planung erkennbar sind», erklärt Marcus Hablützel, Projektleiter pRED Innovation Center.

Flexible Gebäudekonzepte, die während der Planung innerhalb des 3-D-Modells simuliert werden, ermöglichen unterschiedliche Nutzungen. Künftige Mitarbeitende und Betreiber helfen bei der Entscheidungsfindung. Auch die Arbeitsplatzausgestaltung im Laborbereich, Arbeitswege und Materialzuführung können frühzeitig wahrgenommen und optimiert werden, wodurch Änderungen nach dem Bezug erheblich reduziert werden können. Der Planungsaufwand bezüglich Koordination ist bei Laborgebäuden aufgrund vielfältigeren Anforderungen wie Medienversorgern und Materialmanagement sowie anderer Besonderheiten einer Laborumgebung wesentlich höher als bei einem Bürogebäude wie Bau 2. Der Koordinationsaufwand und die Komplexität steigen mit der erhöhten Installationsdichte und den Ansprüchen an die flexible Umbaubarkeit in der Betriebsphase.

Smart Building

Für die Umsetzung eines Smart Building ist eine projekt- und fachübergreifende interne Arbeitsgruppe für die Integration neuer Betriebsbedürfnisse (Use-Cases) zuständig. Die Use-Cases werden geprüft, und nur diejenigen mit deutlichem Mehrwert für Betrieb oder Mitarbeitende werden umgesetzt. In der Planung wurde durch verschiedene «Umbauszenarien» dem späteren flexiblen Umbau Rechnung getragen. Allein im Forschungszentrum ermöglichen rund 4000 Sensoren den optimalen Betrieb. Ein Teil davon ist dem Smart Building zuzuordnen. So werden beispielsweise mit Beacons ausgestattete WLAN-Antennen die Indoor-Navigation oder die Inventarlokalisierung ermöglichen. Um die beste räumliche Infrastruktur für die Mitarbeitenden bereitzustellen, können auch Daten zur Belegung von Besprechungsräumen und Arbeitsplatzumgebungen anonym erfasst werden. Mit diesen Informationen kann das Facility-Management besser auf Arbeitsplatzbedürfnisse eingehen und geeignete Lösungen anbieten. Weitere Sensoren sind für die Gebäudeautomation, die Wartung und die Störungsmeldung zuständig.

Punktgenau zuführen

Das BIM-Modell ist zudem Teil der Logistikplanung. Material und Mensch sollen punktgenau den Arbeitsbereichen zugeführt werden. «Die begrenzten Lagerflächen innerhalb des Baufeldes und des Roche-Areals sowie die eingeschränkte Transportkapazität in den Hochhäusern machen eine umfangreiche terminplanbasierte Vorplanung anhand des 3-D-Modells erforderlich. Waren- und Personenströme auf der Baustelle werden über eine ausgeklügelte Logistiksoftware, die das 3-D-Modell und die Terminplanung vereint, von der Lieferung bis zur Montage gesteuert (4-D-BIM). Erst das ermöglicht es dem Projektteam, die begrenzten Transportkapazitäten vertikal und horizontal optimal zu nutzen», erklärt Hablützel. Eine geplante Vorfertigung und Vorkonfektionierung von Bauteilen ausserhalb der Baustelle soll die Montagezeiten im Arbeitsbereich auf den Stockwerken reduzieren.

Betriebsphase im Blick

Ein 3-D-BIM-Modell unterstützt während der Nutzungsphase die Planungs- und Entscheidungsprozesse für ein effizientes Facility-Management. Auch Umbaumassnahmen werden dadurch erleichtert, da die Ist-Situation ohne Begehung erfasst werden kann. Die Verortung verschiedener Einbauobjekte wie Ventile und Absperrvorrichtungen erleichtert die anschliessende Lokalisierung während einer Begehung der realen Gebäude. Anlagenobjekte zur Wartung erhalten dabei eine eindeutige Kennzeichnung im digitalen Modell.

Hablützel sieht die Verwendung der BIM-Methode an den «Bau»-Gebäuden auch als Innovationsanstoss für die gesamte Baubranche, weil diese im Zeitalter der Digitalisierung unverzichtbar sei. Gleichzeitig warnt der Projektleiter: «Es gilt, den Grad des BIM-Einsatzes genau abzuwägen und den Mehrwert für die einzelnen Use-Cases zu erkennen. BIM befindet sich weiterhin in der Entwicklung und hat das Potenzial in Bezug auf effizientes Planen, Bauen und Betreiben noch nicht vollständig ausgeschöpft. Die unterschiedlichen Teilnehmer müssen sich gegebenenfalls neu organisieren und Abläufe ändern. Zudem muss Personal geschult werden, um den Mehrwert und die Effizienz voll auszuschöpfen.» Denn BIM ist am effizientesten, wenn die gesamte «Informationslieferkette» und die Schnittstellen zwischen Planung, Ausführung und Betreiber klar definiert sind und sich alle strikt an die Prozesse halten. ●

Der BIM-Execution-Plan (BEP) sieht unter anderem folgende Projektbestandteile vor:

– Definition der BIM-Projektorganisation
– Aufbau der Projektumgebung (closed BIM-Ansatz) und Definition Software von Datenaustausch und Austauschprozessen (Definition der Datadrops und Koordination des digitalen Planungsablaufs)
– Aufsetzen der BIM-Prozesse in Abstimmung mit den Fachplanern und der Bauherrin
– Definition eines gemeinsamen Projektverständnisses hinsichtlich der digitalen Planungsmethoden
– Definition des Information Delivery Manuals (IDM) für die Planungsphasen hinsichtlich der unterschiedlichen Gewerke und Bauteile, Definition der Lieferzeitpunkte, Definition der Autorenschaft, Erstellung von Shared-Parameter-Sets usw.
– Festlegungen diverser qualitätssichernder Prozesse wie QS-Modellinhalte, Datenprüfungen, Aufbau von Modellierungsregeln und regelbasierter Prüfungen mit Solibri, Kollisionsprüfungen mit Navisworks, Definition von Levels of Geometry + Information (LOG + LOI) für die einzelnen Projektphasen, Synchronisierung von Architektur- und Tragwerkmodellen, Koordination und Qualitätssicherung der Schlitz- und Durchbruchplanung, skriptbasierte Datenmodellierung

Nutzung und Kennzahlen

Höhe 205 m
Stockwerke 49 + EG (+ 3 UG)
Büroarbeitsplätze ca. 2400
Investitionsvolumen ca. 550 Mio. CHF
Sondernutzungen Topfloor-Cafeteria (47. OG), Cafeteria mit Aussenterrasse (12. OG), zentraler Konferenzbereich (1./2. OG), Cafébar / Visitor Center / Lobby (EG)

Herzog & de Meuron
Nach der Fertigstellung 2022 wird Bau 2 mit 205 Metern das neue höchste Gebäude der Schweiz sein und damit Bau 1 (178 Meter) überragen. Foto: Roche, Beat Ernst
Herzog & de Meuron
Die in Dreiergruppen unterteilten Bürogeschosse sind über Wendeltreppen verbunden. Foto: Roche, Beat Ernst
Herzog & de Meuron
Im virtuellen Raum finden Qualitätschecks statt. Foto: Roche
Herzog & de Meuron
Das Roche-Areal wird das Stadtbild von Basel massgeblich prägen. Foto: Roche; Visualisierung: Herzog & de Meuron
Herzog & de Meuron
Für bis zu 3400 Mitarbeitende stehen im Bau 2 flexible Arbeitsplätze – «Activity Based Working» – zur Verfügung. Foto: Roche; Visualisierung: Herzog & de Meuron
Herzog & de Meuron
Rund 1800 Büro- und Laborarbeitsplätze werden künftig im pRED Innovation Center zur Verfügung stehen. Foto: Roche; Visualisierung: Herzog & de Meuron
Herzog & de Meuron
Zusätzlich zu den Büroetagen gibt es in Bau 2 fünf Stockwerke unter anderem für Besprechungs- und Konferenzräume, Café, Bistro und Topfloor-Cafeteria. Foto: Roche; Visualisierung: Herzog & de Meuron

Geringe Bodenhaftung

Integral mit BIM geplant – für einen effizienten Planungsverlauf. Das neue Firmengebäude im italienischen Bozen mit einem Tragwerk als architektonischer Ausdrucksform ist städtebaulich identitätsstiftend.

BIM geplant
Die BIM-Methode war für die Planung essenziell.
Morris Breunig (Text) und ATP / Becker (Bilder)
Integral mit BIM geplant – für einen effizienten Planungsverlauf. Das neue Firmengebäude im italienischen Bozen mit einem Tragwerk als architektonischer Ausdrucksform ist städtebaulich identitätsstiftend.

Das von 2017 bis 2019 realisierte Gebäude ging aus einem Wettbewerb hervor, den ATP architekten ingenieure 2016 für sich entscheiden konnte. Das unweit der Bozner Innenstadt gelegene Firmengebäude ist Teil eines Revitalisierungsprojekts des Gewerbegebiets Bozner Boden, zu dem der Umbau des Bozner Bahnhofs, der Neubau einer Bank sowie zweier Wohntürme gehören. Ein Realisierungswettbewerb, der 2016 von ATP gewonnen wurde, gab schliesslich den Anstoss für den Bau des zwölfgeschossigen Bürogebäudes, das zu den höchsten Bauten der Stadt gehört. Der damit verbundene hohe städtebauliche Wert wird durch die optische Strahlkraft der Fassade unterstützt.

Digitale Herausforderung

Der integrale Planungsprozess mit BIM schafft unter Beteiligung von Architekten sowie Ingenieuren Transparenz gegenüber allen Projektbeteiligten sowie der Bauherrschaft und gewährleistete einen effizienten Planungsablauf. «Die Komplexität eines solchen Gebäudes erfordert ein hohes Mass an Koordination. Im integralen Planungsprozess mit BIM arbeiten alle Disziplinen in enger Abstimmung und im selben Gebäudemodell. Das steigert die Qualität der Planung. Ziel ist es, die beste Lösung für jede Aufgabe zu finden», erklärt Stefan Köll, Architekt von ATP.

Konstruktiv gestaltet

Das Tragwerk ist zugleich fassadenstrukturierendes Element des Gebäudes. Möglich macht es eine Kombination aus Stahlbeton und Stahlkonstruktion, die sich v-förmig um den eigentlichen Baukörper aus dunkel gefärbtem Sichtbeton spannt. Technische Erschliessungstürme mit verputzter Fassade ergänzen das Konstrukt und erzeugen zusammen mit den Bepflanzungen einen optischen Kontrast. «Die aussen liegende Tragkonstruktion ist extremen Temperaturen ausgesetzt und muss auch brandschutztechnisch höchste Anforderungen erfüllen. Natürlich stellten wir auch bis ins Detail hohe Ansprüche an die architektonische und technische Qualität. Die gewählte Hybridkonstruktion aus Stahlprofilen im Kern und Stahlbetonummantelung ist in der Lage, all diesen Forderungen zu entsprechen, und setzt die Geometrie der Stützenkonstruktion architektonisch perfekt um», erklärt der Architekt.

Top-Down gebaut

Des Weiteren ermöglicht die rechteckig proportionierte Tragkonstruktion eine geschossweise Erweiterung – nicht in die Höhe, sondern in Richtung des natürlichen Bodenniveaus. Den ehemaligen Firmensitz in der Bozner Innenstadt gab man aufgrund von Platzmangel auf. Der «Top-Down-Ansatz» ist eine elegante Methode für ein mögliches Unternehmenswachstum. «Für die Option der Erweiterung musste in der Planung an eine Reihe von Faktoren gedacht werden, so in Bezug auf Statik, Haustechnik bis zu den Fluchtwegen. Die BIM-Planung ermöglicht die effiziente Abstimmung all dieser Faktoren untereinander und führt damit auch zu besseren Ergebnissen», sagt Köll. Um die städtebaulichen Rahmenbedingungen einzuhalten, entschied man sich, der maximalen Bauhöhe von 40 Metern sofort zu entsprechen und trotzdem noch Raumressourcen zur Verfügung zu haben. «Gleichzeitig entsteht damit ein klimatisch sehr günstiger Effekt in der unteren Hälfte des Gebäudes, den wir durch intensive Bepflanzung und Wasserbecken noch verstärken. Der natürliche Kühleffekt wird gezielt zur Gebäudeklimatisierung genutzt», ergänzt Köll. Dass für die Aussenluftansaugung in diesem Bereich deutlich günstigere Bedingungen herrschen als im Dachbereich, machte man sich dabei zum Vorteil.

Bauliche Verwirklichung

Ein grosszügig gestalteter und mit Bäumen bepflanzter Vorplatz führt zum gläsernen Foyerbereich als Zugang zum Bürokomplex. Generell war man sehr darauf bedacht, dass Bauwerk und Natur eine harmonische Beziehung zueinander eingehen. Die offenen ersten Geschosse dienen den Mitarbeitenden als Erholungs- und Arbeitsflächen im Freien. Ein Wasserbecken dient der adiabaten Kühlung und verbessert den thermischen Komfort sowie die Luftqualität im Aussenbereich. Das ab 14 Metern Höhe beginnende Gartengeschoss mit intensiver Bepflanzung übernimmt die gleiche Funktion. Eine Wendeltreppe, über die ebenso der darüber liegende Kantinen- und Cafeteriabereich sowie die oberen vier Büroetagen erreichbar sind, dient der Erschliessung.

Der eigentliche Baukörper mit Büro- und Arbeitsflächen auf einer Bruttogrundfläche von 986 Quadratmetern beginnt mit dem sechsten von zehn Obergeschossen in etwa 20 Metern Höhe. Stützenfreie Büroräume als Open Office wurden durch die tragende Fassadenkonstruktion möglich. Trennwandanschlüsse in den Fensterachsen sind strukturgebend. Die Wünsche der künftigen Nutzenden wurden in den Planungsprozess aktiv eingebunden. Interne Arbeitsgruppen berieten dabei über alle Facetten der Gebäudenutzung und die Gestaltung der erforderlichen Funktionszonen. Parkplätze sind auf den zwei Untergeschossen zu finden.

Wohlbefinden am Arbeitsplatz

Bei der Gebäudeplanung berücksichtigte man auch die Anforderungen des internationalen Well-Zertifikats für Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Das Well-Zertifikat umfasst eine Vielzahl von Aspekten, die Einfluss auf das Wohlbefinden am Arbeitsplatz haben können. «Bei der Luftqualität geht es beispielsweise neben der ausreichenden Belüftung auch darum, nur emissionsarme Baustoffe zu verwenden, aber auch bereits beim Bauen grossen Wert auf die Hygiene der Lüftungsinstallationen zu legen. Es gibt zudem genaue Anforderungen an die Qualität der natürlichen und künstlichen Beleuchtung, an die Raumakustik, die Arbeitsplatzergonomie und natürlich den thermischen Komfort», sagt Köll. Für eine gesunde Umgebung am Arbeitsplatz werden auch räumliche Bedingungen wie Ruhezonen, Bezug zur Natur und Fitnessmöglichkeiten gefordert. Auch eine gesunde Ernährung ist Bestandteil des Well-Zertifikats, was sich durch eine Kantine mit entsprechendem Angebot realisieren liess.

Kompakt und optimiert

Eine Kombination von zonenweise umschaltbaren Niedertemperatursystemen in Form von Heiz- und Kühldecken mit einer kontrollierten mechanischen Lüftung sorgt für die Temperaturregulierung in den Innenräumen. Diese führen die konditionierte Luft über Bodenauslässe und -konvektoren bedarfsgerecht in die Räume.

Ein automatisierter Sonnenschutz reguliert zudem den Wärmeeintrag in das Gebäude. Ein mit dem 3-D-Gebäudemodell kombiniertes CaFM (Computer-aided Facility Management) unterstützt Betrieb und Wartung der Gebäudetechnik. Die Kombination aus weiteren Energieeffizienzmassnahmen mit dem Einsatz einer reversiblen Luft-Wärmepumpe – diese wird zum Heizen und Kühlen eingesetzt – in der Nähe einer kompakten und optimierten Dachtechnikzentrale ermöglichte die Erreichung der Klimahaus-A-Zertifizierung in Südtirol. ●

Projektdaten

Bauherr Markas GmbH, Bozen, Italien
Externe Planungspartner KTB – Kauer Ingenieure GmbH, Bartenbach GmbH
Ort Bozen, Italien
Baubeginn 1/2017
Fertigstellung 2/2019
Bruttorauminhalt 66 378 m3

BIM geplant
Technische Erschliessungstürme befinden sich im Zentrum des «Top-Down»-geplanten Gebäudes.
BIM geplant
Digitales 3-D-Modell des neuen Firmengebäudes in der Innenstadt von Bozen.
BIM geplant
Ein grosszügig gestalteter und mit Bäumen bepflanzter Vorplatz führt zum gläsernen Foyerbereich als Zugang zum Bürokomplex.
BIM geplant
Das Tragwerk ist zugleich fassadenstrukturierendes Element des Gebäudes. Möglich macht es eine Kombination aus Stahlbeton und Stahlkonstruktion.
BIM geplant
Interne Arbeitsgruppen berieten dabei über alle Facetten der Gebäudenutzung und die Gestaltung der erforderlichen Funktionszonen. Mit dem Well-Zertifikat wurde auch das Wohlbefinden am Arbeitsplatz berücksichtigt.
BIM geplant
BIM geplant
BIM geplant
BIM geplant
Die Hybridkonstruktion spannt sich v-förmig um den eigentlichen Baukörper aus dunkel gefärbtem Sichtbeton.
BIM geplant
Stahlprofile bilden den Kern der Hybridkonstruktion.
BIM geplant
Das zwölfgeschossige Bürogebäude zählt zu den höchsten Bauten der Stadt Bozen.
BIM geplant
Gebäudeschnitt
BIM geplant
Fassadenansicht des Headquarters.

Digitalisierung und Recht

Vor mehr als zehn Jahren haben wir eigentlich erwartet, ein Leben ohne Papier zu führen. Wir haben gedacht, dass Bücher nur noch in digitaler Form existieren werden, dass es keine «richtigen» Bücher und Zeitschriften mehr geben wird.

Digitalisierung
Baubranche im digitalen juristischen Strudel

Als Jurist werde ich immer wieder nach den Auswirkungen der Digitalisierung auf die geltende Gesetzgebung bzw. nach der Tauglichkeit der Rechtsklauseln in einer immer stärker digitalisierten Gesellschaft und Umgebung gefragt. Nun ist es aber so, dass Juristen selten über hellseherische Fähigkeiten verfügen, insbesondere dann nicht, wenn es darum geht, den Ausgang von Prozessen vorauszusehen. Gleiches gilt für die Entwicklung der Rechtskunde im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Aus diesem Grund beschäftigt sich der vorliegende Artikel nicht mit der Zukunft, sondern beschränkt sich auf Beobachtungen über den Zeitraum einiger Jahre in der Vergangenheit. Es handelt sich um einige spontane und subjektive Beobachtungen eines Rechtsgelehrten, aus denen hervorgeht, dass die Suppe weniger heiss gegessen wurde und wird, als sie gekocht wurde. Aber doch so heiss, dass das Risiko besteht, sich daran die Zunge zu verbrennen.

Papier oder nicht?

Vor mehr als zehn Jahren haben wir eigentlich erwartet, ein Leben ohne Papier zu führen. Wir haben gedacht, dass Bücher nur noch in digitaler Form existieren werden, dass es keine «richtigen» Bücher und Zeitschriften mehr geben wird. Tatsächlich ist heute festzustellen, dass diese Prognose nicht falsch war. Zwar gibt es noch immer grosse Buchhandlungen und auch wunderschöne Zeitschriften, genau wie immer noch Autos mit Benzin- oder Dieselantrieb über die Theke gehen. Aber wer heute nicht auch digital publiziert, hat wenig Aussicht auf nachhaltiges Bestehen auf dem Markt. Dasselbe im Automarkt: Auch die grossen und berühmten Sportwagenmarken haben immer mehr Fahrzeuge mit alternativen Antrieben im Sortiment.

Einrichtung der Anwaltskanzlei

Im Rechtsbereich hat sich einiges getan: Vor etwa dreissig Jahren war das Statussymbol einer Anwaltskanzlei eine gut sortierte Bibliothek mit der Sammlung der Bundesgerichtsentscheide der letzten fünfzig Jahre. Auch war in der Grundausstattung eines jeden Anwalts eine «Wand aus roten Kartonbacksteinen» zu finden: die «Systematische Sammlung der Bundesgesetze», dazu eine zweite ähnliche Wand, die sogenannte «Amtliche Sammlung der Bundesgesetze». Für die Aktualisierung der amtlichen Sammlung war der jeweilige Anwalt zuständig. Er erhielt in regelmässigen Abständen Kuverts mit den neuen Erlassen, sorgfältig gelocht, damit sie in den jeweiligen Ordnern abgelegt werden konnten. Selbstverständlich wiederholte sich das gleiche Prozedere für die gesetzlichen Grundlagen auf kantonaler Ebene: Da war die «Wand», Irrtum vorbehalten, grün, zumindest im Tessin, wo ich als Jugendlicher das Glück hatte, auch derartige Basics in der Kanzlei meines Onkels zu lernen. Ein fehlendes Blatt in der amtlichen Sammlung konnte, vornehm ausgedrückt, zu grossen Problemen führen, genau wie bei einem Gutachter, der den Sachverhalt anhand einer veralteten Norm beurteilt.

Heute stehen nur noch zusammengeschrumpfte Bibliotheken in den Anwaltskanzleien. Die Erlasse auf Bundes- und Kantonsebene sind fast ausnahmslos online und kostenlos zu finden, dasselbe gilt für die Rechtsprechung des Bundesgerichts. Sogar viele Gemeinden stellen ihre rechtlichen Grundlagen auf ihren Websites zur Verfügung. Dazu ist auf viele Plattformen und Newsletter hinzuweisen. Die Arbeitsweise im juristischen Bereich hat sich geändert, es hat tatsächlich eine Revolution stattgefunden. Viele frischgebackene Juristen haben Mühe, sich vorzustellen, was ich als «Nicht-Digital-Native», als junger angehender Jurist vor dreissig Jahren, noch erleben durfte.

«In den Anwaltskanzleien hat die Digitalisierung wie erwähnt Einzug gehalten, aber taugt das heute in der Kanzlei so schön digitalisierte Recht zur Lösung und zur Prävention von Problemen bei der Digitalisierung zum Beispiel im Bau? Ist das Recht mit der Zeit gegangen?»

Ähnliches wie in den Anwaltskanzleien hat sich in Architektur- und Ingenieurbüros ereignet: Zwar sind Skizzenblock und Bleistift immer noch irgendwo in der Aktentasche, in einer Jacke oder im Auto zu finden, aber der grosse Teil der Arbeit wird digital verrichtet.

Frage

Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Digitalisierung wird immer wieder die Frage der Tauglichkeit der rechtlichen Grundlagen und Bestimmungen bezüglich Digitalisierung der Arbeitsvorgänge in den Planerbüros aufgeworfen. Anders ausgedrückt: In den Anwaltskanzleien hat die Digitalisierung wie erwähnt Einzug gehalten, aber taugt das heute in der Kanzlei so schön digitalisierte Recht zur Lösung und zur Prävention von Problemen bei der Digitalisierung zum Beispiel im Bau? Ist das Recht mit der Zeit gegangen? Darüber scheiden sich die Geister.

Urheberrecht und Eigentum

Ein möglicher Ansatz zur Beantwortung dieser Fragen ist die Auseinandersetzung mit dem Urheberrecht, das im Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. Oktober 1992 (URG) geregelt ist und das auch die Werke der Baukunst schützt: ausgeführte Werke (z. B. ein Einfamilienhaus oder eine Brücke), Werke mit technischem Inhalt wie Skizzen und Bauplänen sowie Baumodelle.

Schutzgegenstand ist eine Schöpfung, die auf menschlichem Willen beruht bzw. das Resultat eines menschlichen Schöpfungsprozesses ist und etwas Neues bzw. noch nicht Vorhandenes darstellt. Es darf sich nicht um eine Kopie handeln, wobei die Grenze für die Bejahung der Neuheit sehr tief gesetzt wird. Auch muss aus dem Werk ein individueller Charakter hervorgehen – es muss sich in einem gewissen Mass von anderen bisher geschaffenen Werken hervorheben. Auch hier genügt ein geringer Grad an Individualität.

Als Urheberin gilt immer die natürliche Person, die das Werk geschaffen hat. Will beispielsweise ein als juristische Person konstituiertes Architekturbüro Urheber eines Werks sein, dann muss es sich von der natürlichen Person (z. B. dem angestellten Architekten) das Urheberrecht abtreten lassen. Das geschieht am besten bereits im Rahmen des Arbeitsvertrags. Komplizierter wird es, wenn mehrere natürliche Personen an der Schaffung des Werks beteiligt sind. Dann haben diese die Urheberrechte gemeinschaftlich, und es entsteht eine Miturheberschaft.

Was die Definition des Urheberrechts betrifft, kann man durchaus wagen, zu behaupten, dass sie digitaltauglich und sogar hilfreich ist, wie das anhand des Beispiels der BIM-Methode erläutert wird:

Bei der vernetzten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Werken erlaubt das Programm, alle relevanten Daten zu modellieren, zu kombinieren und zu erfassen. Diese Daten werden durch die verschiedenen Beteiligten in das System eingegeben, mit dem Ziel, das Bauwerk als virtuelles Modell zu visualisieren, auf das viele Akteure Zugriff haben. Die Frage nach dem Eigentum an diesem Modell ist schwierig, wie sich auch im «Kommentar zur Anwendung der Zusatzvereinbarung BIM des SIA» zeigt:

Der traditionelle Begriff des Eigentums ist sachenrechtlicher Natur. Er bedeutet das umfassende Verfügungsrecht und Nutzungsrecht einer Person an einer Sache. Der Begriff des Eigentums setzt eine Körperlichkeit der Sache, an der Eigentum bestehen kann, voraus. Diese Körperlichkeit hat zur Folge, dass die ursprüngliche Sache ein Original und Vervielfältigungen der Sache Kopien darstellen. Das digitale Bauwerksmodell besitzt – wie alle reinen Daten – keine Körperlichkeit; körperliche Datenträger sind beliebig austauschbar. Damit verliert der Begriff des Eigentums für Daten seine Substanz. Kopierte Daten haben dieselbe Qualität wie die ursprünglichen Daten. Deshalb hat sich neben dem Sachenrecht das sogenannte Immaterialgüterrecht für reine, unkörperliche Daten entwickelt. Eine an Daten berechtigte Person wird demnach sinnvollerweise nicht als Eigentümer, sondern je nach der rechtlichen Konstellation als Urheber, als Inhaber eines Urheberrechts, eines Patentes oder einer Firma oder als Lizenznehmer oder Nutzungsberechtigter bezeichnet. Die betreffende Person kann auch so ein umfassendes Verfügungsrecht und Nutzungsrecht am digitalen Bauwerksmodell oder an anderen Daten erlangen.

Das Beispiel zeigt einerseits sehr gut die Untauglichkeit eines in der Gesetzgebung etablierten Rechtsbegriffs wie das «Eigentum» auf, andererseits geht aus dem Text hervor, wie ein genauso etablierter und langjähriger Rechtsbegriff doch schliesslich die problematische Lücke schliessen kann – zumindest vordergründig. In der Praxis kann die Bestimmung des Urhebers jedoch schwierig werden.

Zurzeit ist übrigens eine Revision des URG im Gang, die zum Teil digital bedingt ist, aber nicht im Bereich Bau, sondern in Bezug auf die Urheberrechtspiraterie.

Aufbewahrungspflicht

Immer wieder (und nicht nur in den Ordnungen für Leistungen und Honorare des SIA) ist zu lesen, dass der Architekt oder der Ingenieur nach Beendigung seiner Arbeit die Arbeitsergebnisse während eines Zeitraums von zehn Jahren aufzubewahren hat. Die Krux ist, dass viele Datenträger oft nicht zehn Jahre lang lesbar sind. Auch hier zeigt sich eine Kluft zwischen Bestimmungen und der digitalen Realität.

«Immer wieder ist zu lesen, dass der Architekt oder der Ingenieur die Arbeitsergebnisse während eines Zeitraums von zehn Jahren aufzubewahren hat. Die Krux ist, dass viele Datenträger oft nicht zehn Jahre lang lesbar sind. Auch hier zeigt sich eine Kluft zwischen Bestimmungen und der digitalen Realität.»

Der «Kommentar zur Anwendung der Zusatzvereinbarung BIM des SIA» hält Folgendes fest:

Die zu erbringenden Leistungen zur Sicherung der Lesbarkeit von Datenträgern können erheblich sein. Diese Umstände lassen es als angezeigt erscheinen, eine Gesamtstrategie zur Erhaltung der Lesbarkeit von Datenträgern über die vom Auftraggeber gewünschte Zeitspanne festzulegen und gegebenenfalls dafür auch Leistungen auf Dritte zu übertragen. Es empfiehlt sich, die Leistungen des Beauftragten im Rahmen dieser Gesamtstrategie und ihre Vergütung zu vereinbaren.

Antwort

Es ist schwierig, eine klare Antwort zu geben. Selbst ich stehe ambivalent der Frage gegenüber, ob das Recht mit der Zeit geht.

Tatsächlich ist das heutige Recht bzw. sind viele Bestimmungen zum grössten Teil (zumindest im Bereich des Bauens) nicht auf die digitale Welt ausgerichtet. Aber meistens sind diese Bestimmungen trotzdem brauchbar, wenn sich die Akteure der Baubranche zu helfen wissen und gewisse Punkte im Fokus sind, wie sich dies anhand der BIM-Methode zeigt, deren Anwendung klare Ziele seitens der Beteiligten voraussetzt. Diese Ziele haben sich in klar formulierten Vereinbarungen zu spiegeln: Wer keine klaren Verträge abschliesst, den bestraft das Leben. Wenn das im digitalen Bereich geschieht, fällt die Strafe noch höher aus.

Der SIA hat beispielsweise ein Formular (vgl. die oben zitierten Auszüge aus dem dazugehörenden Kommentar) verfasst, das als Zusatzvereinbarung zum klassischen Planervertrag Anwendung findet, wenn die Parteien ihre Bauvorhaben mittels BIM realisieren wollen. Aus dieser Zusatzvereinbarung BIM 1001/11 geht hervor, welchen Punkten besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Checkliste für die von den Parteien zu regelnden Fragen – sie regelt die Fragen nicht selbst. Diesen Ansatz erachte ich als zutreffend und geeignet, um die fehlende «Digitaltauglichkeit» verschiedener Regelungen zu kompensieren. Er erlaubt es, die wunderschönen Bibliotheken doch nicht vollständig entsorgen zu müssen, sondern ein paralleles Dasein digitaler und analoger Bestimmungen zu pflegen. ●

Walter Maffioletti,
Rechtsanwalt lic. iur. Walter Maffioletti, MRICS, Leiter SIA-Recht und Counsel bei Vialex Rechtsanwälte, Zürich und Lugano.

BIM fördert Kollaboration – rechtliche Herausforderungen

BIM (Building Information Modeling) ist eine teamorientierte, kollaborative, interdisziplinäre, vernetzte, software- und plattformbasierte Methode zur optimierten Planung, Realisierung und Bewirtschaftung von Bauwerken.

BIM-Modell
Rechtsfragen zum digitalen Bauen

BIM (Building Information Modeling) ist eine teamorientierte, kollaborative, interdisziplinäre, vernetzte, software- und plattformbasierte Methode zur optimierten Planung, Realisierung und Bewirtschaftung von Bauwerken. Mit BIM werden virtuelle Gebäudemodelle, basierend auf disziplinübergreifenden Informationen, entwickelt, die während des Lebenszyklus eines Bauwerks, also von der Planung bis zum Betrieb und zum Rückbau, entstehen. Mittels eines digitalen Zwillings kann eine Vernetzung von der Gebäudeplanung bis zum Betrieb erreicht und der künftige Betrieb bereits in der Planungsphase optimiert werden. Das computergestützt erzeugte BIM-Modell auf Basis einer gemeinsamen Datenumgebung und Informationsteilungsplattform liefert alle möglichen 3-D-Gebäudedaten (Formen, Abmessungen, Positionen, Mengen, Materialien, Qualitäten) sowie weitere für das Bauwerk und dessen Nutzung und Betrieb relevante Informationen. Damit können viele Bedürfnisse, etwa des Bauherrn nach Prozessoptimierung und Rentabilität, abgedeckt sowie die zunehmenden und komplexer werdenden technischen und normativen Anforderungen umgesetzt werden. Mit einem richtig strukturierten BIM-Modell können durch bedürfnisgerechte Simulationen und Berechnungen aller Art Effizienzsteigerungen erzielt sowie Fehler vermieden werden. In der Ausführungsphase werden die im BIM-Modell verfügbaren Visualisierungen und Pläne auf mobilen Tablets wiedergegeben und für Ausführungs- und Kontrollprozesse nutzbar gemacht. Nach der Baurealisation lassen sich BIM-Modelldaten, namentlich als As-Built-Modell, für Unterhalts- und Sanierungsarbeiten, für Umbau- und Erweiterungsprojekte oder für Bewirtschaftungs- und Transaktionszwecke erschliessen.Bei anspruchsvollen Bauvorhaben wird die zeitgerechte Verfügbarkeit strukturierter Daten mit einem dem Verwendungszweck entsprechenden Detaillierungsgrad (LOD) immer wichtiger für den wirtschaftlichen Erfolg. Die BIM-Methode mit ihrer Datenanlage samt Datenaustauschformat ist unbedingt projektspezifisch und unter Berücksichtigung der Projektziele festzulegen. BIM eignet sich vor allem für komplexe Grossprojekte. Bei der BIM-Methode gilt folgender Grundsatz: Je genauer, projektspezifischer und zielbasierter Anforderungen definiert und vereinbart werden, desto kleiner sind Risiken im Planungs- und Bauablauf und desto geringer können Gebäudekosten und spätere Betriebskosten ausfallen.

«Entscheidend für den Erfolg eines BIM-Projekts ist die initiale Planung der übergeordneten Ziele mit Erarbeitung der BIM-Strategie, der Zielsetzung, der Anwendungsfälle und der BIM-Prozesse.»

Durch digitales Bauen wird die Kommunikation unter den Projektierenden und Ausführenden intensiviert und erleichtert sowie eine Abstimmung zwischen Bauherrschaft, Projektbeteiligten und Nutzern gefordert. Bei der BIM-Methode sind Gebäudemodelldaten jederzeit und grundsätzlich für alle Beteiligten verfügbar. Damit werden die bisherigen fixen Planungsschritte bzw. das sektorielle Denken in traditionellen Leistungsphasen, namentlich in der Projektierung (Entwurfsplanung) und der Ausführung, aufgeweicht und gar aufgehoben. Koordinationsfragen sowie paralleles Arbeiten treten in den Vordergrund. Es entstehen offene Workflows für die Zusammenarbeit und damit neue Kooperationsmodelle. In technischer Hinsicht entwickeln sich laufend neue, cloudbasierte Austauschformate für Open-BIM-Projekte. Am bekanntesten sind wohl die Industry Foundation Classes (IFC), womit ein Datenmodell zum Austausch von Bauprojektinformationen zwischen unterschiedlichen Softwareanwendungen definiert wird. Dadurch können die verschiedenen Fachmodelle (Architektur, Tragwerk, Haustechnik) zu einem Koordinationsmodell zusammengeführt und Referenzmodelle entwickelt werden. Bezweckt wird nicht zuletzt auch, den Mailverkehr durch einen Workflow mit vordefinierten Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu ersetzen. Durch Festlegung einheitlicher Prozesse und von Zwischenterminen für die Ablieferung von Teilmodellen wird eine offene Zusammenarbeit mit potenziell besserer Qualität gesamtheitlicher Projektentscheide erwirkt. Umgekehrt erfordert das eine transparente und kooperative Haltung der Beteiligten auf Augenhöhe, um nicht den Projekterfolg zu gefährden. Nicht zu unterschätzende Risikobereiche sind die Schnittstellen der diversen Gewerke und Fachmodelle, die Grenzen von Soft- und Hardware oder Strukturierungs- und Kapazitätsprobleme im Zusammenhang mit Daten und deren Übermittlung. Zudem erfordert BIM ein präzises Arbeiten aller, bereits geringfügige Fehler können Informationsverfälschung oder -verlust im Datenmodell zur Folge haben.

Umsetzung der BIM-Zusammenarbeitskultur

Entscheidend für den Erfolg eines BIM-Projekts ist die initiale Planung der übergeordneten Ziele mit Erarbeitung der BIM-Strategie, der Zielsetzung, der Anwendungsfälle und der BIM-Prozesse. Die BIM-spezifischen Leistungen samt Organisation und BIM-Rollen sollen in BIM-Richtlinien bzw. Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA) festgehalten werden. Es muss ein projektspezifischer, gemeinsamer Nenner hinsichtlich Zeit- und Phasengerechtigkeit sowie Detaillierungsgrad der Lieferergebnisse gefunden werden. Es soll für alle Beteiligten klar sein, welche Modellinformationen zu welchen Projektphasen gehören und zu welchem Zeitpunkt als verlässlich einzustufen sind. Die LOD (Level of Detail) sollen unter den Projektbeteiligten vereinbart werden, unter Berücksichtigung der Projektziele gemäss AIA. Abzumachen sind namentlich auch alle Prüfprozesse mit ihren Verantwortlichkeiten. Das BIM-Datenmodell als Technologieplattform gewährt ständigen Einblick in die jeweiligen Zwischenstadien des Bauvorhabens, ermöglicht somit auch rasche Korrekturen und Entscheide durch Bauherren, Planer und Unternehmer. Bestellungsänderungen erweisen sich strukturell als Teil der Projektentwicklung. Um das alles in der Praxis erfolgreich umsetzen zu können, sind neue Sitzungsformen (Stichwort «War Room») und Verständnis für unterschiedliche Leistungs- und Arbeitsstadien erforderlich, ebenso aber ein konstruktiver und transparenter Umgang untereinander. Auf diese Weise können auch Freigabeprozesse und Kontrollprüfungen beschleunigt und verbessert werden. Weitere Herausforderungen sind die digitale Qualitätskontrolle sowie die Bauleitung vor Ort (BIM-to-Field) und die Überführung geeigneter BIM-Daten in die Bewirtschaftungssysteme (BIM-to-FM). Digitales Bauen löst wohl eine neuartige Zusammenarbeitskultur in der Bauwirtschaft aus, wobei sich noch weisen wird, inwieweit bestellerseitige Risikoaversion oder Investorenbedürfnisse einer auch wirtschaftlichen Kooperation auf Augenhöhe entgegenwirken.

Vertragsmodelle

Ein verbindlicher BIM-Standard existiert noch nicht, weder für das Vertragswesen noch für die BIM-Bestellung. Das gilt auch für Musterdokumente, Merkblätter und Empfehlungen des SIA, der KBOB oder von Bauen digital Schweiz. Immerhin wird nun die europäische EN-ISO-19650-Reihe das Schweizer Normenwerk (SN) zur BIM-Methode ergänzen, ohne dass allerdings von anerkannten Regeln der Baukunde auszugehen ist. In der Schweiz gelten die Grundsätze der Vertrags- und Methodenfreiheit. Primär sind es grosse Bauherren, Total- und Generalunternehmer, die ihren Bedürfnissen entsprechende BIM-Regulative entwickeln. BIM-Bauverträge werden somit unterschiedlich und individuell sein, abhängig nicht zuletzt von der Verhandlungsmacht der Beteiligten. Grundsätzlich lassen sich alle wesentlichen Rechtsfragen mit den bestehenden Rechtsinstituten lösen.

Einen traditionellen Denkansatz verfolgt der SIA. Er hat eine «Zusatzvereinbarung BIM» zusammen mit einem Kommentar zu deren Anwendung entwickelt, womit die BIM-spezifischen Aspekte in Ergänzung zum «klassischen» SIA-Planer-/Bauleitungsvertrag checklistenartig aufgelistet und teilweise reguliert werden. Dazu kommen das illustrative SIA-Merkblatt 2051 als gemeinsame BIM-Verständigungsgrundlage und weitere hilfreiche Dokumente, wie etwa die Dokumentation D 0270 als Leitfaden zur Verbesserung der Zusammenarbeit und eine Vorlage für einen BIM-Projektabwicklungsplan zur Regulierung der Zusammenarbeit. Damit soll den Architekten und Ingenieuren der vertragsrechtliche Einstieg bei BIM-Projekten erleichtert werden. Allerdings erfuhr dieses Konzept bis dato keine signifikante Durchdringung des Marktes. Es könnte sich zeigen, dass die Überführung «alter» Vertragskonzepte in die «neue» Welt des digitalen Bauens unrealistisch ist. Dennoch dürfte so – im Sinne einer Übergangsphase – ein nennenswerter Beitrag zur Branchentransformation gelingen.

Einen innovativ-fortschrittlichen Ansatz verkörpern «Multi-Party Agreements» bzw. Projektallianzverträge. Solche Mehrparteienverträge im Rahmen einer integrierten Projektabwicklung (IPD-Modell) sind hierzulande nicht etabliert. Sie setzen beim Gedanken einer Interessengemeinschaft an, verbunden mit einem Bonus-Malus-Anreiz nach Projekterfolg. Qualität, Kollaboration, Vertrauen, Transparenz und Fehlerkultur sollen anstelle von Preiskampf, Opportunismus und Konfrontation treten. Mängel und Risiken sollen bis zu einem gewissen Grad zusammen getragen werden. Umgekehrt erweisen sich Risikoverteilung und gemeinsame Haftung für Mängel und Versäumnisse als noch weitgehend ungelöste Stolpersteine, zumal marktmächtige Anbieter und deren Investoren Risiken und Solidarhaftung scheuen. Letztlich bedingen solche Vertragslösungen meist einen Wechsel des Geschäftsmodells der Beteiligten. Gegebenenfalls liessen sich Haftungsrisiken bzw. eine wirtschaftliche Gefährdung der Marktteilnehmer mit Projektgesellschaften abfedern.

«Rechtsstreite lassen sich letztlich nur mit umsichtiger, projektadäquater Vertragsausgestaltung und angemessener Honorierung der Beteiligten minimieren, auf Basis klar definierter Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten.»

Die bei Anwendung der BIM-Methode jedenfalls für «Big BIM»-Projekte erforderliche Vernetzung erfolgt gegenwärtig meist auf Basis traditioneller Einzelverträge und zentraler BIM-Vertragsdokumente, die für alle Projektbeteiligten gelten. Die Praxis hat hierfür insbesondere den BIM-Abwicklungsplan (BAP) für die projektspezifischen Regelungen, BIM-AVB als allgemeine Vertragsbedingungen sowie ein Dokument zur Zuteilung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten entwickelt. Damit können diffuse Verantwortlichkeiten vermieden werden. Die konkrete Risikoallokation erfolgt allerdings, wie schon immer, massgeblich nach Massgabe der Verhandlungsstärke.

Rechtliche Brennpunkte der BIM-Kollaboration

Kollaboration und Kooperationsmodelle erhöhen tendenziell das Risiko, für Fehler anderer BIM-Beteiligter oder für Mängel einer von Dritten zur Verfügung gestellten IT-Infrastruktur haftpflichtig zu werden. Das Thema der Mithaftung ist denn auch Gegenstand intensiver Diskussionen in der Rechtslehre. Zentral ist die Frage, ab welcher Intensität der Kollaboration von einer einfachen Gesellschaft (Art. 530 ff. OR) auszugehen ist, die eine Solidarhaftung der Beteiligten auslöst und zudem die Gefahr eines Deckungsausschlusses der Haftpflichtversicherung nach sich zieht. Geprüft werden neue Versicherungsmodelle, die das Haftungsrisiko enger Zusammenarbeit oder von Mehrkosten unvollständiger Planung abzudecken helfen. Mehrkostenversicherungen zur Deckung des Risikos nicht vollständiger Planung könnten für Bauherrschaften interessant sein, weil damit «Ohnehinkosten» versicherbar werden. Wichtig ist weiter, Umfang und Fristen für Anzeige- und Überprüfungspflichten zu regulieren. Besonders sorgfältig zu regeln sind, zumal es kein Eigentum an Daten gibt, die Immaterialgüterrechte, namentlich an Planungsleistungen, BIM-Software und Modelldaten, sowie die Datenhoheit an den BIM-Erzeugnissen. Immaterialgüterrechte sind grundsätzlich beim Bauherrn zu zentralisieren, unter Einräumung interessengerechter Nutzungsrechte an die jeweiligen Projektbeteiligten. Der BIM-Manager etwa benötigt mehr Nutzungsrechte als ein Fachplaner für sein Fach- oder Teilmodell. Allein der Umstand, dass Projektbeteiligte bei der BIM-Methode Kenntnis und Besitz an Daten erhalten, berechtigt sie nicht zu deren Verwendung ausserhalb des Projekts. Der Bauherr soll sich Zugang und Zugriff auf die BIM-Daten sichern, um eine Projektblockade, etwa im Falle von Honorarstreitigkeiten, zu vermeiden.

Ausblick und Empfehlungen

Im Falle von Differenzen unter den Beteiligten eines BIM-Projekts wird zur Streitbeilegung noch lange weder auf eine gesetzliche Normierung noch auf einen Branchenstandard zurückgegriffen werden können. Dies gilt umso mehr, als BIM-Vorhaben sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Es dauert noch Jahre, bis die Rechtsprechung die wesentlichsten Fragen entschieden haben wird. Umso wichtiger ist es, alle relevanten Themen ausdrücklich vertraglich zu regeln. Das gilt insbesondere für die einzelnen Rollen der Beteiligten, die einzuhaltenden Prozesse und die damit einhergehenden Aufgaben. Als Regulierungskompass hilfreich ist der Grundsatz, wonach derjenige Projektbeteiligte für definierte Festlegungen verantwortlich sein soll, in dessen Interesse sie vereinbart wurden, sofern nicht von anderen Projektteilnehmern Aufklärungs- oder Sorgfaltspflichten missachtet worden sind. Bei gemeinsamem Interesse kann auch eine solidarische Verantwortlichkeit vorgesehen werden. Wer einen BIM-Beitrag mit Werkcharakter einbringt, namentlich eine Planung im Rahmen eines Fachmodells, haftet nach dispositivem Gesetzesrecht grundsätzlich, unter Vorbehalt eines Bestellerfehlers, verschuldensunabhängig für die Mängelfreiheit.

«Ein verbindlicher BIM-Standard existiert noch nicht, weder für das Vertragswesen noch für die BIM-Bestellung.»

Rechtsstreite lassen sich letztlich nur mit umsichtiger, projektadäquater Vertragsausgestaltung und angemessener Honorierung der Beteiligten minimieren, auf Basis klar definierter Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Risikoallokation, Haftungs- und Vergütungsregulativ sollen den fachspezifischen und organisatorischen Projektzuständigkeiten gerecht werden. Mischformen zwischen dem System von Zweiparteienverträgen und demjenigen eines Mehrparteienvertrags sollen vermieden werden. Die unbesehene Übernahme bisheriger Honorarmodelle, die auf phasenbezogener Gliederung der Leistungen beruhen, ist nicht empfehlenswert. ●

Daniel Thaler
Rechtsanwalt Dr. iur. Daniel Thaler, Partner bei Tschudi Thaler Rechtsanwälte, Zürich.

Holzbau kollaborativ geplant

Ob in Massivbauweise oder anderen Bauweisen – BIM verändert die Planung von Gebäuden massgeblich. Auch im Holzbau macht man sich die Vorzüge der kollaborativen Planungsmethode zunutze. Jeremias Burch ist BIM-Manager Holzbau und Mitglied eines Teams, das die digitale Entwicklung bei der Renggli AG massgeblich prägt.

Renggli AG
(Foto: Renggli AG)
BIM-Talk mit Jeremias Burch, Renggli AG
Ob in Massivbauweise oder anderen Bauweisen – BIM verändert die Planung von Gebäuden massgeblich. Auch im Holzbau macht man sich die Vorzüge der kollaborativen Planungsmethode zunutze. Jeremias Burch ist BIM-Manager Holzbau und Mitglied eines Teams, das die digitale Entwicklung bei der Renggli AG massgeblich prägt.Es zeigt sich häufig, dass ein frühzeitiger Einsatz von BIM für Unternehmen Vorteile bringen kann. Seit wann nutzen Sie die BIM-Methode?
Seit den 1990er-Jahren entsteht bei Renggli der Abbund, also der Zuschnitt des Konstruktionsholzes, anhand von 3-D-Daten. Fortlaufend kamen weitere Anlagen hinzu, und seit 2012 werden sämtliche Maschinen sowie die Elementtische über Daten aus dem 3-D-Modell angesteuert. Das bedeutet konkret: Jedes Projekt wird bis auf die letzte Schraube und Latte in 3-D geplant und durchdacht, erst dann geht es in die Produktion. Seit 2016 setzen wir uns intensiv mit BIM, im Sinne einer vernetzten Zusammenarbeit über verschiedene Fachdisziplinen und mithilfe von 3-D-Gebäudemodellen, auseinander. Hierbei handelt es sich um Pilotprojekte zusammen mit Partnern, die das Thema BIM ebenfalls aktiv angehen möchten und einen gewissen Lernprozess dulden. Durch das offene Teilen von Erfahrungen können wir grosse Fortschritte erzielen und kommen der breiten Implementierung der digitalen Projektabwicklung immer näher.

«Mehrere integrierte Fachdisziplinen verringern die Schnittstellen nach aussen. Zur Entwicklung digitaler Planungsprozesse ist das ein klarer Vorteil.»
Jeremias Burch

Was hat sich durch die modellbasierte Planung verändert?
Die wechselseitige Form der Zusammenarbeit ist meines Er-achtens der zentrale Punkt. Durch die frühzeitige Bildung von Projektteams und die gemeinsame Zielformulierung ergibt sich eine positive Dynamik, die im herkömmlichen Planungs- und Bauprozess leider selten ist. Als ausführendes Unternehmen schätzen wir es sehr, unser technisches Wissen bereits in der Entwurfsphase einbringen zu können. Durch die ideale Kombination aus Architektur und Technik entstehen innovative Lösungen, die den gestalterischen sowie technischen Anforderungen entsprechen. Das war in dieser Form früher praktisch unmöglich. Um die kollaborative Zusammenarbeit noch stärker zu fördern, setzen wir uns auch intensiv mit dem Ansatz der integrierten Projektabwicklung auseinander. Da dieses Vorgehen teilweise im Widerspruch zur herkömmlichen Planung steht, sind wir in Kontakt mit Hochschulen, die ihre Erfahrungen mit uns teilen. Wir sind überzeugt, dass mit der engen Zusammenarbeit ab Projektbeginn ein Mehrwert für alle entsteht.

Welche unternehmensstrategischen Veränderungen gehen mit BIM einher?
Die Baubranche weist seit 1995 eine jährliche Produktivitätssteigerung auf, die lediglich einem Fünftel der Gesamtwirtschaft entspricht. Deshalb sehen wir Handlungsbedarf und setzen konsequent auf die Digitalisierung mit BIM als Bestandteil. Neue digitale Möglichkeiten sind jedoch nur ein Teilbereich, um die Baubranche für die Zukunft fit zu machen. Vielmehr zwingt die Digitalisierung einen dazu, bestehende Prozesse und Geschäftsmodelle zu überdenken. Das Ziel ist, unseren Kunden mehr Transparenz und Planungssicherheit zu bieten, und das bei gleichzeitiger Steigerung der Produktivität. Daraus resultieren Terminsicherheit und höhere Qualität bei optimalem Preis-Leistungs-Verhältnis.

Wie werden die Projektteams koordiniert?
Das Projektmanagement übernimmt die Koordination der verschiedenen internen Fachspezialisten, die je nach Bedarf hinzugezogen werden können. Aufbau und Weiterentwicklung des internen Fachwissens sind ein stetiger Prozess. Zudem legen wir grossen Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit Netzwerkpartnern. Das volle Potenzial der digitalen Bauprojektabwicklung kann nur mit Partnern ausgeschöpft werden, die sich auch für den digitalen Weg entschieden haben. Hierbei ist nicht nur der aktuelle Wissensstand entscheidend, vielmehr zählt der Wille, diesen Weg gemeinsam konsequent zu gehen.

Idealerweise befinden sich alle Gewerke für Statik, Brandschutz und Fertigung «in house». Profitieren die Planungsabläufe davon?
Mehrere integrierte Fachdisziplinen verringern die Schnittstellen nach aussen. Zur Entwicklung digitaler Planungsprozesse ist das natürlich ein klarer Vorteil, da wir die internen Schnittstellen auch mit eigenen Standards definieren können.

Wie verändert der modellbasierte Ansatz die Kundenakquise?
Bereits in der Akquise offenbart sich eine veränderte Art der Zusammenarbeit. Bei klassischen Vergaben über das Ausschreibungsverfahren findet der persönliche Kontakt zwischen Kunde und Unternehmen unter Umständen erst kurz vor der Vergabe statt. Bei der digitalen Projektabwicklung wäre das unvorstellbar. So gibt es auch in der Akquise eine Verschiebung nach vorn. Neben der reibungslosen Fertigung und Montage der Projekte möchten wir unseren Kunden auch eine hohe Transparenz und Kostensicherheit in der Planung ermöglichen.

Kommt die Gebäudegestaltung dabei nicht zu kurz?
Keineswegs. Wir sind offen gegenüber allen Disziplinen, so auch der Gestaltung. Der Grad der Gebäudegestaltung variiert allerdings je nach Projekt und Bedürfnis der Bauherrschaft. Interdisziplinäre Zusammenarbeit verlangt einen zielführenden Austausch aller Parteien, aus dem ein zufriedenstellender Konsens resultiert. So werden beispielsweise technisch anspruchsvollere Varianten ausgeführt, um die gestalterisch beste Lösung umzusetzen. In anderen Fällen wird hingegen die Gestaltung zugunsten der technischen Lösung vereinfacht.

Was zeichnet die Kombination Holzbau und BIM aus?
Der Holzbau hat über mehrere Jahre Erfahrungen im digitalen Planen und Fertigen von Projekten gesammelt. Gegenüber anderen Bausystemen ist sicherlich ein Vorsprung erkennbar. Die Fertigung erfolgt bereits digital, wir fokussieren unsere Anstrengungen auf die Entwicklung der digitalen Planung ab Entwurf.

Welches Optimierungspotenzial besteht noch?
Zurzeit stehen die in die Entwicklung investierten Ressourcen und der daraus generierte Mehrwert noch in einem ungenügenden Verhältnis. Kurz: Wir bezahlen derzeit noch «Lehrgeld». Wir müssen uns in der umfassenden BIM-Thematik auf konkrete nächste Entwicklungsschritte fokussieren und dürfen nicht zu viel auf einmal wollen.

Der mehrgeschossige Holzbau hat durch Anpassungen von brandschutztechnischen Vorgaben in den vergangenen Jahren an Auftrieb gewonnen. Wie nehmen Sie diese Entwicklung wahr?
Die Anzahl der Grossprojekte hat in den letzten Jahren markant zugenommen. Diese Entwicklung im Holzbau ist sehr erfreulich. Auch bezüglich der anstehenden ökologischen Herausforderungen. Im Personalbereich spüren wir die Entwicklung natürlich auch, beispielsweise durch den Fachkräftemangel. Jedoch sehen wir es als Pflicht an, Mitarbeitende zu unterstützen sowie die Weiterentwicklung und den Wissensaufbau zu fördern. ●

«Interdisziplinäre Zusammenarbeit verlangt einen zielführenden Austausch aller Parteien, aus dem ein zufriedenstellender Konsens resultiert.»
Jeremias Burch

Digitale Planung trägt kristalline Blüten

Im Wüstenstaat Katar erblüht eine Sandrose. In Anlehnung an das biologische Vorbild zeigt das Museum of Qatar jene für die Realisierung des Projekts unabdingbare BIM-Methode.

Museum of Qatar
Der Entwurf des neuen Nationalmuseums stammt aus der Feder des französischen Architekten Jean Nouvel. Foto: Andreas Keller
Von Morris Breunig
Im Wüstenstaat Katar erblüht eine Sandrose. In Anlehnung an das biologische Vorbild zeigt das Museum of Qatar jene für die Realisierung des Projekts unabdingbare BIM-Methode.

Seit März 2019 hat Katar ein neues Nationalmuseum, dessen Entwurf aus der Feder des französischen Architekten Jean Nouvel stammt. Der Bau ist Sinnbild für die identitätserzeugenden Bestrebungen des Wüstenstaates. Der Gebäudekomplex erstreckt sich auf 400 mal 250 Metern zwischen dem Meer und der Innenstadt von Doha und erreicht eine Höhe von 40 Metern. Mehrere diskusförmige und ineinander verwobene Elemente mit unterschiedlicher Ausrichtung – die für das Design des Gebäudes stilbildend und exemplarisch sind – können allenfalls als Indiz für jenen Findungsprozess gedeutet werden. Die Architekten orientierten sich bei der Gestaltung an einer Sandrose, was hinsichtlich des Standorts naheliegend erscheint. Auch im Gebäudeinneren wird diese komplexe Geometrie fortgeführt und erzeugt ein einzigartiges Raumerlebnis.

Gross dimensionierte Projekte als Empfehlung

Ein für die Ausführung zuständiger koreanischer Generalunternehmer beauftragte das international tätige Ingenieurbüro von Werner Sobek, um die gestalterische Komplexität des Bauwerks digital und real zur Vollendung zu führen. Bereits bei Überbauungen wie dem Heydar Aliyev Center in Baku und dem neuen Terminal des Kuwait International Airport zeigte sich der sorgsame Umgang von Werner Sobek mit gross dimensionierten Projekten sowie die routinierte Verwendung der BIM-Methode.

Grösstmöglicher Detaillierungsgrad

Die 539 diskusförmigen und individuell gestalteten Elemente erreichen einen Durchmesser von 87 Metern. Geometrische Überschneidungen erhöhen das Gestaltungsniveau des Baukörpers beträchtlich, verleihen diesem Individualität und demonstrieren zugleich die Dimensionen von BIM. Der grösstmögliche Detaillierungsgrad eines BIM-Modells (LOD400) war deshalb während der Planung notwendig. Das BIM-Modell zählte zum Zeitpunkt der Umsetzung weltweit zu den grössten 3-D-Modellen seiner Art. «Man sieht im Modell kleinste Bauteile wie Schrauben und Muttern. Diese Detailgenauigkeit verlangt eine extrem präzise Arbeitsweise. Hohe Datenvolumina sind die Nebenwirkungen jenes Detaillierungsgrades und müssen angemessen verwaltet werden. Ohne eine planerisch absolut rationale Datenerzeugung mittels Parametric Design lässt sich das nicht wirtschaftlich realisieren», erklärt Thomas Winterstetter, Projektleiter Fassadenplanung. Ein komplett detailgetreues, virtuelles, dreidimensionales Abbild des Gebäudes – der digitale Zwilling – zahlt sich unterdessen beim Facility-Management aus, weil damit ein Grossteil der für Betrieb und Wartung erforderlichen Daten in Echtzeit ausgelesen werden können.

Das kollaborative Planen stellte schliesslich die Realisierung jenes Projekts mit hoher geometrischer Komplexität sicher. Ein Planungsteam vor Ort stimmte die BIM-Prozesse aufeinander ab und übernahm die Baustellenüberwachung, die Schnittstellendefinition und die Koordination sowie die Abwicklung mit lokalen Unternehmen für die Ausführung.

Lesen Sie das Interview mit Projektleiter Thomas Winterstetter

 

Museum of Qatar
Geometrische Überschneidungen erhöhten das Gestaltungsniveau des Baukörpers und machten die Verwendung von BIM unerlässlich. Foto: Andreas Keller
Museum of Qatar
Verschiedene individuell gestaltete Elemente setzen sich zu diskusförmigen Scheiben zusammen. Foto: HG Esch
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FRC-Cladding und Koordinationsrevisionen erzeugten Daten von etwa 700 GB. Grafik: Werner Sobek
Museum of Qatar
Die komplexe Geometrie setzt sich im Gebäudeinneren fort.
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Aufgrund der klimatischen Bedingungen fiel ein Grossteil der Arbeiten auf die Nachtstunden. Ausserdem wurden vorzugsweise Arbeiter aus tropischen Herkunftsländern eingesetzt. Foto: HG Esch
Museum of Qatar
Thermisch bedingte Verformungen der Glasfaser-Beton-Paneele, insbesondere auch Schwinden, mussten produktionstechnisch und planerisch berücksichtigt werden. Foto: Werner Sobek
Museum of Qatar
Der Gebäudekomplex befindet sich zwischen dem Meer und der Innenstadt von Doha. Plan: Werner Sobek

«BIM-Modelle sind Organismen, die sich unentwegt verändern»

Nationalmuseum Katar
Automatische Kollisionsdetektion und eine möglichst einfache parametrisierte Nachführung von Planungsdaten sowie Änderungen waren unter anderem Bestandteil des Planungsänderungsmanagements. Grafiken: Werner Sobek
Interview mit Projektleiter Thomas Winterstetter
Prof. Dr. Thomas Winterstetter, Vorstand und Partner der Werner Sobek AG, betreute das Projekt «Nationalmuseum Katar» als verantwortlicher Projektleiter für den Bereich Fassadenplanung und erlaubt einen tiefen Einblick in die Planung des Prestigeprojekts.Ab welcher Planungsphase haben Sie das Projekt begleitet?
Auf der Basis einer Leitdetailplanung und der Ausschreibung von Jean Nouvel wurde das Gesamtprojekt Ende 2011 an den koreanischen Generalunternehmer Hyundai vergeben. Im Mai 2012 wurden wir um einen Honorarvorschlag für die Planung der komplexen Gebäudehülle gebeten. Konzeption, Optimierung und die komplette 3-D-Planung aller Metallbaukomponenten der Sekundärstruktur – inklusive der Werkstattpläne für die Details und die statischen Berechnungen – gehörten zum Leistungsumfang.Was war besonders herausfordernd?
Der baubegleitende Planungsprozess erforderte ein hocheffizientes Planungsänderungsmanagement. Grund dafür waren die zueinander versetzten 539 Disken. Eine automatische Kollisionsdetektion und eine möglichst einfache parametrisierte Nachführung von Planungsdaten waren Bestandteile dieses Managements.

Entsprechend anspruchsvoll war sicherlich die Koordination aller Projektbeteiligten.
Eines unserer Teams, bestehend aus Architekten und Ingenieuren, war durchgehend auf der Baustelle präsent. Es war für Baustellenüberwachung, Schnittstellenkoordination und Planungszuweisung an ausführende lokale Firmen zuständig. Neben profundem Fachwissen war eine hohe interkulturelle Kompetenz in der Zusammenarbeit mit Beteiligten aus Ost- und Südasien, den Golfstaaten, den USA und Europa unerlässlich. Es kamen unter anderem zwölf grosse Turmdrehkrane und mehrere Mobilkrane zum Einsatz. Präzise Organisation stellte die Anlieferung und die Lagerhaltung auf der Baustelle sicher. In Spitzenzeiten waren bis zu 3500 Arbeiter sowie 300 Architekten und Ingenieure auf der Baustelle tätig, zum grossen Teil im 24-7-Schichtbetrieb.

Weshalb rekrutierte man ein Spezialunternehmen für die Abstimmung der BIM-Prozesse?
Es diente als Schnittstelle aller Beteiligten und fungiert als reiner BIM-Manager, unter anderem mit Clash-Control-Routinen und File-Handling. Internationale Grossprojekte sind auf solche Instanzen angewiesen. Dutzende weltweit agierende Firmen zählten zum Planungsteam. BIM-Modelle sind Organismen, die sich unentwegt verändern. Die Firmengruppe Werner Sobek war deshalb mit drei Büros in unterschiedlichen Kontinenten beteiligt, um die technologische Kompetenz im Engineering und im Umgang mit den BIM-Werkzeugen sicherzustellen.

Wie optimierte man die Planung hinsichtlich Strukturierung und zeitlicher Abläufe?
Der baubegleitende Planungsprozess verursachte permanente Anpassungen des 3-D-BIM-Modells in allen Gewerken und erforderte somit ein hocheffizientes Planungsänderungsmanagement. Automatische Kollisionsdetektion und eine möglichst einfache parametrisierte Nachführung von Planungsdaten sowie Änderungen waren unter anderem Bestandteil dieses Managements.

Wie wurden Kollisionen im BIM-Projekt bewältigt?
Als Projektleiter betreute ich diese Prozesse vor Ort oder an unseren verschiedenen Standorten – mit Unterstützung durch Teilprojektleiter oder Baustellenrepräsentanten. Im Falle des Nationalmuseums hat das Spezialunternehmen die eingestellten 3-D-BIM-Daten laufend einer Kollisionsprüfung unterzogen. Die Daten unserer Planungspakete wurden abends eingespeist, und der BIM-Manager in Kalifornien kontrollierte sie auf Kollisionen. Am Morgen haben wir diese anhand der Clash-Reports behoben. Eine wahrhaft globale Arbeitsteilung!

Welche technischen Massnahmen waren für die konstruktive Realisierung der Scheiben erforderlich?
Der zentrale Punkt war eine im Hintergrund laufende Rationalisierung und Optimierung der Konstruktion. Diese Rationalisierung sollte man dem scheinbar willkürlich geformten skulpturalen Gebäude mit seinen gezackten Paneelen nicht ansehen. Die Paneele folgen einer bestimmten rotationssymmetrischen Logik. Ein radialer Strang von Paneelen ist in Ringrichtung kopiert und ergibt durch seine Fugenzeichnung das insgesamt sehr irregulär, organisch-kristallin erscheinende Bild der Gebäudehülle. Dieses Grundmuster ist bei allen Disken gleich, sodass hierdurch eine gewisse Vereinfachung erreicht werden konnte. Allerdings erhöhten die über 30 verschiedenen Grössen – von 9 bis zu 87 Metern Durchmesser – und zahlreiche Überschneidungen die Komplexität. Unterschiedliche Schnittstellen und geometrische Verschneidungssituationen mussten deshalb in ein durchgehendes, optimiertes Unterkonstruktionssystem integriert werden. Dafür waren parametrische 3-D-Design-Werkzeuge und ein hoch spezialisiertes Bearbeitungsteam notwendig. FRC-Cladding und Koordinationsrevisionen erzeugten Daten von etwa 700 GB – im Einzelnen waren das 12 000 3-D-Dateien und rund 4000 2-D-Zeichnungen.

Die internationalen Vorgaben hinsichtlich der Anwendung von BIM variieren. Wie stellt man sich darauf ein?
Natürlich gibt es immer wieder lokal unterschiedliche Vorgaben. In der Regel finden die zumeist international tätigen und erfahrenen Planungsbeteiligten aber schnell einen geeigneten Modus Vivendi. Mit BIM kommunizieren wir schneller, präziser und detaillierter mit anderen Planern sowie Bauherrschaft und ausführenden Firmen. Zudem beschleunigt und erleichtert es interne und externe Abstimmungsprozesse. Wir können so die Auswirkungen unterschiedlicher Ansätze auf das Gesamtkonstrukt und einzelne Gewerke mit relativ überschaubarem Aufwand überprüfen. Bei vielen Projekten sind BIM-Modelle an Berechnungsmodelle gekoppelt, sodass es einen permanenten Qualitätsabgleich über die Grenzen einzelner Softwareprogramme hinaus gibt. Dazu verwenden wir BIM-Modelle zur gewerkübergreifenden Kollisionskontrolle, zur Erzeugung von Plänen und zur Mengenermittlung.

Wie konnten die klimatischen Bedingungen bewältigt werden?
Unser Auftraggeber schob einen Grossteil der Arbeiten auf die Nachtstunden und setzte Arbeiter aus tropischen Herkunftsländern ein. Die extremen Temperaturbedingungen wirkten sich auch auf das Material aus. Thermisch bedingte Verformungen der Glasfaser-Beton-Paneele, insbesondere auch Schwinden, mussten produktionstechnisch und planerisch berücksichtigt werden. Auch die Tatsache, dass die vor Ort verfügbaren Subunternehmer oft nicht über eine mit unseren Breiten vergleichbare Erfahrung und Qualifikation verfügten, erforderten eine absolut «narrensichere» Planung und intensive Überwachungs- und Sicherungsmassnahmen.

Hatte die oft kritisch beäugte politische Situation in Katar Auswirkungen auf die Planung?
Wir haben persönlich keine politische Einflussnahme auf die Planung festgestellt – im Vordergrund stand immer der gemeinsame Wunsch, ein herausragendes Bauwerk in höchster Qualität zu realisieren. Der fachliche Austausch mit allen Beteiligten war dabei stets intensiv und von hoher Qualität. ●

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Thomas Winterstetter
Prof. Dr. Thomas Winterstetter, Vorstand und Partner der Werner Sobek AG
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