Gesundheitsbauten – Vom Krankenhaus zum Gesundheitszentrum

Die Basler Büros Rapp Architekten AG und Butscher Architekten AG haben als Planergemeinschaft RA-B Architekten einen Klinikneubau für das Kantonsspital Winterthur fertiggestellt

Gesundheitsbauten
Von Gisela Graf, Katharina Marchal (Text) und Roman Weyeneth (Bilder)
Die Basler Büros Rapp Architekten AG und Butscher Architekten AG haben als Planergemeinschaft RA-B Architekten einen Klinikneubau für das Kantonsspital Winterthur fertiggestellt. Bettenhaus und Behandlungstrakt sind so konzipiert, dass sich die bestehenden und aktuellen Bauten neu ordnen und zu einem Gesundheitszentrum in einem grosszügigen Park vereinen.

Das Kantonsspital Winterthur (KSW), ursprünglich als Klinik in einem weitläufigen Park geplant, wurde in den letzten 50 Jahren kontinuierlich erweitert. Jeder An- und Neubau verunklärte jedoch die bauliche Struktur. Dazu gehört das inzwischen baufällige Hochhaus aus dem Jahr 1968. Die Basler Planergemeinschaft RA-B (Rapp Architekten und Butscher Architekten) ersetzt dieses nun, indem es dem bestehenden Bettenhaus aus dem Jahr 1954 ein zweites, zehngeschossiges und typologisch gleiches Bettenhaus als Zwillingsbau zur Seite stellt. Verbunden sind die beiden Bauten durch einen siebengeschossigen Behandlungstrakt. Dieser bildet das Scharnier zwischen Alt und Neu, denn hier liegt der neue Haupteingang in den Spitalkomplex, und von hier aus werden alle weiteren Gebäude erschlossen. Der Grundgedanke hinter dieser Anordnung: das Spital bietet so nicht nur eine klarere Orientierung, sondern es erhält auch seinen Park zurück. Es ist ein Gesundheitszentrum entstanden, das sich zur Stadt hin öffnet. Dabei passt sich die Fassade des neuen Bettenhauses in Ton und Stil dem alten Bettenhaus an: Die warme, beige-braune Travertinverkleidung ist auf die graue Fassade des Nachbarbaus abgestimmt.

Einzelzimmer für mehr Effizienz

Während sich im Bettenhaus die Betriebsräume für das Pflegepersonal vor allem im Norden befinden, sind fast alle Patientenzimmer mit ihren grossen Fenstern nach Süden, zum Park hin ausgerichtet. Entgegen den Vorgaben des Wettbewerbs werden fast alle zu Behandelnden – ausser den Kindern – in diesem neuen Gebäude künftig in Einzelzimmern untergebracht. Was auf den ersten Blick als Luxus für die Betroffenen erscheinen mag, ist im Endeffekt wirtschaftlicher für das Krankenhaus. Die Erkrankten genesen erheblich schneller, weil das Infektionsrisiko geringer ist und weil sie sich ungestört erholen können, indem sie beispielsweise einfach besser schlafen. Die Bettenbelegung wird aber nicht nur durch die verkürzte Aufenthaltsdauer effizienter, sondern auch durch eine flexiblere Auslastung: Da Mehrbettzimmer mit Rücksicht auf Geschlecht und Kultur der zu Behandelnden nicht beliebig belegt werden können, sind sie praktisch nie vollständig ausgelastet – Einbettzimmer dagegen schon. Ein weiterer Aspekt: Weil so die Gespräche mit Ärzten offener sein können, kann die Behandlung gleich in das Krankenzimmer verlegt werden, was wiederum betriebliche Abläufe optimiert. Die im Krankenhausbau erfahrenen Planenden können sich mit diesen Argumenten auf wissenschaftliche Studien und Vorbilder, beispielsweise aus Skandinavien, stützen. Zusammen mit den Zimmern des Bestandsbaus verfügt das KSW nun über jeweils zur Hälfte Einbettzimmer und Mehrbettzimmer.

Gestaltung trägt zur Genesung bei

Ebenso sind Gestaltung, Details und Materialien darauf ausgelegt, dass sie eine heilsame Atmosphäre schaffen und zugleich Arbeitsprozesse erleichtern. So lässt sich das unter den Erkerfenstern eingebaute Sofa in den Zimmern der Erkrankten mit wenigen Handgriffen in ein Bett umwandeln. Dadurch können Angehörige in den Räumen übernachten, bei Bedarf in den Behandlungsprozess eingebunden und das Spitalpersonal entlastet werden.

Alle Zimmer sind grundsätzlich mit hochwertigen Materialien ausgestattet, wie Böden aus massivem Holz und Einbauten aus Kastanien- oder Nussbaumholz. Das Sofa und die Wandfläche hinter dem Bett setzen farbliche Akzente in Rot, Gelb, Grün oder Blau. Ein Wandschrank, der sich von zwei Seiten öffnen lässt, trennt Bad und Schlafraum, wobei natürliches Licht durch ein innen liegendes Fenster aus transluzentem Glas bis ins Badezimmer dringt. Das Lichtkonzept ist mehrschichtig und bietet ein hohes Mass an Variabilität zwischen Funktions- und Gestaltungslicht – so kann etwa die vielseitige Beleuchtung über dem Bett als Leselampe oder als sehr helles Licht für Untersuchungen genutzt werden. Ansonsten ist die medizinische Technik für die zu Behandelnden grundsätzlich nicht sichtbar. Die Böden in den Fluren aus Gummigranulat absorbieren den Schall und sind angenehm zu begehen. Dieses Material ist zudem widerstandsfähig und damit langlebig.

Raumorganisation optimiert die Betriebsabläufe

Über der grosszügigen Eingangshalle im Verbindungstrakt – dem Scharnier zwischen Alt und Neu – befinden sich die multifunktionalen Untersuchungs- und Behandlungsräume. Im darüberliegenden 5. Obergeschoss liegt die Operationslandschaft. Diese verbindet sich mit den Operationsräumen des Bestandsbaus, die sich ebenfalls im 5. Obergeschoss befinden. So bleiben alle Sterilzonen kompakt auf einer Ebene.

Eine unkonventionelle Lösung ist die Erschliessung der Räume, in denen untersucht und behandelt wird: Diese sind von der Fassade gelöst und zurückgesetzt, sodass zwischen den Aussenwänden dieser Räume und der Fassade ein zusätzlicher Korridor entsteht. Das hat den entscheidenden Vorteil, dass die Betriebsabläufe effizienter werden, da die Wege der Erkrankten und des medizinischen Personals getrennt sind. Denn allzu oft finden Gespräche zwischen den beiden Gruppen ungeplant auf den Fluren statt. So können die Erkrankten und ihre Angehörigen durch den Mittelgang in ihren Behandlungsraum gehen oder geführt werden und dort warten, bis das Arztpersonal ungestört von der anderen Seite eintritt. Diese Korridore kann das medizinische Personal zudem als temporären Arbeitsplatz an mobilen Tischen nutzen. Auf Einzelbüros wurde komplett verzichtet, weil diese in Krankenhäusern die meiste Zeit leer stehen. Die Medizinerinnen und Mediziner teilen sich stattdessen vier Open-Space-Bereiche in den vier Behandlungsgeschossen.

Konzeption und Konstruktion ermöglichen maximale Flexibilität

Über den Operationsräumen im 5. Obergeschoss nimmt die Technikzentrale ein eigenes Geschoss ein. Die Konstruktion als Brückentragwerk ermöglicht ein fast stützenfreies Operationsgeschoss, sodass künftige technische Entwicklungen und räumliche Anpassungen flexibel und mit niedrigen Investitionskosten umgesetzt werden können – denn gerade in diesen Bereichen sind viele Innovationen zu erwarten. Die fortlaufende Entwicklung in der Medizintechnik ist also schon so weit als möglich mitgedacht. Ebenso in die Konzeption eingebunden ist eine allfällige künftige Erweiterung des Spitals, denn ein modernes Gesundheitszentrum muss sich laufend den sich ändernden Einflüssen anpassen können. Hierzu haben die Architekturbüros einen Masterplan angeregt, nach dem weitere Bauten den Platz des baufälligen Sechzigerjahre-Hochhauses nach dessen Rückbau einnehmen können.

Insgesamt handelt es sich bei Bettenhaus und Behandlungstrakt um Skelettkonstruktionen mit tragenden Erschliessungskernen, sodass Umbauten und Anpassungen, wie zum Beispiel Vergrösserungen oder Verkleinerungen von Räumen, grundsätzlich mit geringem Aufwand möglich sind. Das macht die Gebäude kosteneffizienter und letztlich nachhaltiger im Betrieb. Nachhaltig ist der Neubau auch aus ökologischer Sicht: Als eines der wenigen Spitäler in der Schweiz hat das KSW den Minergie-P-Eco-Standard erreicht.

Der Ersatzneubau wurde bei laufendem Betrieb und ohne Beeinträchtigung desselben in mehreren Zeitabschnitten errichtet. Die erste Etappe fand bereits von 2015 bis 2017 mit dem Neubau der Radioonkologie statt. Deren Behandlungsräume liegen wegen der radioaktiven Strahlung bis zu sechs Meter tief unter der Erde. Für möglichst viel natürliche Belichtung sorgen zwei grosszügige Lichthöfe, damit sich die Wartenden stets im Tageslicht aufhalten können.

Mit den Neubauten für das KSW haben RA-B Architekten ein modernes Gesundheitszentrum geschaffen, das Potenzial für eine fortlaufende Erneuerung in sich trägt. Der Grundgedanke bei der Konzeption war, mit der Architektur die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Heilungsprozesse gefördert und Arbeitsprozesse erleichtert werden. «Wenn wir ein Krankenhaus bauen, denken wir nicht nur an die kranken Menschen, sondern auch an das medizinische Personal, das dort Tag für Tag und Nacht für Nacht Einsatz bringt», erklären Thomas Stegmaier und Christoph Butscher ihre Leitidee für die komplexe Bauaufgabe. ●

Bautafel

Objekt Ersatzneubau Kantonsspital

Standort Winterthur

Fertigstellung 2021

Bauherrschaft Kantonsspital Winterthur

BauherrenvertretungHochbauamt Kanton Zürich

Generalplanung und Architektur Arge RA-B Architekten (Rapp Architekten AG, Butscher Architekten AG)

Kennwerte:

Anzahl Stockwerke 14 (4 Untergeschosse, 10 Obergeschosse)

Bruttogeschossfläche 60 735 m2

Nettonutzfläche 33 783 m2

Dachfläche 4420 m2

Gebäudevolumen 219 817 m3

Energiestandard Minergie-P-Eco

Wärme-Kälte-Quelle Fernwärme

Fläche PV-Anlage Dach 365 m2

Leistung der PV-Anlage 71,69 kWp

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Das neue Bettenhochhaus grenzt an das bestehende Bettenhaus (links).
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Die Fassade des neuen Bettenhauses ist mit beigem Travertin verkleidet.
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Die Erker des Bettenhauses gliedern die nach Süden ausgerichtete Fassade.
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Alle Zimmer sind mit hochwertigen Materialien ausgestattet. Das Sofa und die Wandfläche hinter dem Bett setzen farbliche Akzente in Rot, Gelb, Grün oder Blau.
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Im Patientenzimmer lässt sich das unter dem Erkerfenster eingebaute Sofa mit wenigen Handgriffen in ein Bett umwandeln.
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Aussengang zwischen Fassade und Behandlungs- beziehungsweise Untersuchungszimmern für das Personal mit temporärem Arbeitsplatz.
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Operationsraum mit Röntgengeräten.
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Privatabteilung im 8. Geschoss mit Nussbaumfurnier.
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Eine einläufige Treppe führt vom Foyer ins Untergeschoss, im Hintergrund die vom Künstler Yves Netzhammer gestaltete Wand der Spitalkapelle.
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Erdgeschoss: Foyer mit Patientenempfang und Dienstleistungen, Cafeteria mit Lounge und Sitzbereichen im Süden.
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