Alpinbau – Spannende Arbeit mit Menschen und Landschaft

Für VENTIRAARCHITEKTEN aus Diepoldsau gibt es keine generelle Antwort auf die Aufgabenstellung des Bauens in den Alpen.

Wohnungen
Die Wohnungen sind horizontal geschichtet. Jede der Ebenen fungiert als eigene Wohneinheit mit privaten Terrassen im Süden und Südwesten.
Von VENTIRAARCHITEKTEN (Text und Bilder Chatschadur und H.E.L.P. ), Lukas Schaller und Kathrin Auer (Bilder Supermarkt)
Für VENTIRAARCHITEKTEN aus Diepoldsau gibt es keine generelle Antwort auf die Aufgabenstellung des Bauens in den Alpen.

Das Bauen in den Bergen wird aus unserer Sicht von speziellen Faktoren beeinflusst. Dies sind zum einen die geografischen und topografischen Gegebenheiten, die Naturgewalten, das Klima und zum anderen die Menschen, die einerseits die Landschaft bewohnen und anderseits durch touristische Vermarktung ihren Lebensunterhalt bestreiten, sowohl die bebaute als auch die unbebaute Landschaft selbst bewohnen und gleichzeitig an Gäste vermieten. Für uns Architekten ist somit die Aufgabe der Gestaltung ein Zusammenspiel aus einer Vielzahl von technischen und emotionalen Faktoren. Der Betrachtungswinkel ändert sich in der Entwurfsphase laufend und baut dadurch eine komplexe Spannung auf, die sich teilweise im Entwurf wiederfindet.Unabhängig davon, ob in den Alpen oder anderswo gebaut werden soll, ist die städtebauliche Positionierung des Gebäudes die erste und wichtigste Entscheidung bei jedem Projekt. In den Bergen spielt bei der städtebaulichen Positionierung der Geländeverlauf und somit die exakte Positionierung in und mit der spannenden Topografie eine wichtige Rolle. Die Gebäudepositionierung im Hang ist eine sehr spannende Aufgabe, bei der viele positive Effekte in Hinblick auf Aus- und Einblick geschaffen werden können: Ausblicke und Fokus auf die imposante Berglandschaft und im Gelände integrierte geschützte Bereich, welche durch die Nutzung der natürlichen Topografie vor Einblicken geschützt sind. Wir versuchen immer, unsere Gebäude durch eine behutsame Planung harmonisch in die direkte und indirekte Umgebung einzufügen.

In vielen Fällen kommen dann noch die Naturgewalt der Lawine sowie die richtige Ausrichtung bezüglich der idealen Besonnung in den oftmals tageszeitabhängigen Schattenseiten einer Talseite hinzu. Wenn das zu bebauende Grundstück in oder an einer Lawinenzone liegt, kann es sein, dass Aufenthaltsräume nicht an jeder Stelle im Gebäude möglich sind. Der Lawine zugewandte Gebäudeteile müssen dann für einen entsprechenden Lawinendruck dimensioniert werden. Öffnungen wie Türen oder Fenster in diesen Bereichen sind aus wirtschaftlicher Sicht in Frage zu stellen.

Der Tourismus in den Alpen hat einen riesigen Einfluss auf die Baukultur. Dies birgt, wie so vieles, Risiken und zugleich auch grosse Chancen für uns Architekten. Zu den Risiken zählen aus unserer Sicht in erster Linie die unverhältnismässig grossen Bauvolumen in der Landschaft. Es bedarf einiges an Entwurfs- und Überzeugungsarbeit, um ein Bauvorhaben in seiner Massstäblichkeit angemessen zu gestalten. Die Chancen, welche sich ergeben, sind dem geschuldet, dass es sich nicht um reine Zweckbauten handelt, sondern um wichtige (Kultur-)Vermittler und Werbeträger in der Tourismuswirtschaft. Für uns Architekten ist es durchaus herausfordernd, der imposanten Natur etwas entgegenzusetzen; sei es, indem sich ein Gebäude schlicht ein- und unterordnet, oder auch mal ein Gebäude, das Fragen aufwirft, die es wert sind, gestellt zu werden. Es gibt kein allgemeingültiges Rezept. Jedes Gebäude entwickelt sich zu einem Wesen, und dieses Wesen wird durch eine Vielzahl kleiner und grosser Faktoren geprägt. Das Gebäude steht sowohl im Sommer zwischen blühenden Alpenwiesen als auch im Winter «knietief» im Schnee, der auf seine wundervolle Art einem Gebäude jegliche Ecken und Kanten sanft abrundet.

Schlussendlich spielt natürlich auch die Materialisierung eine wesentliche Rolle beim Bauen in den Bergen. Das Klima bzw. das Wetter in den Alpen kann ganz sanft und angenehm sein. Es kann jedoch sehr schnell sehr rau, kalt und ungemütlich werden. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, sehen wir unsere Aufgabe bei der Materialisierung meist in einem ausgeklügelten Spiel mit warmen und kalten Farben und Oberflächen entsprechend dem herrschenden Klima. Man kann durchaus eine heimelige, warme Atmosphäre schaffen, ohne dem Alpenkitsch zu verfallen. Dazu muss man eine gute Balance zwischen rohen, harten und kalten Materialien wie z.B. Beton und Stahl und warmen, weichen und fröhlichen Materialien wie z.B. Holz und Filz finden.

Anhand der hier vorgestellten drei Projekte aus unserem Büro, die nicht nur in den Alpen, sondern auch in derselben Gemeinde, in Ischgl, stehen, ist gut zu erkennen, dass es keine generelle Antwort auf die Aufgabenstellung des Bauens in den Alpen gibt, sondern dass diese doch sehr spezifisch auf den exakten Standort und die exakte Nutzung erfolgt.

Das Bauen in den Alpen polarisiert die Bewohner stark, da es eine gewisse Erwartungshaltung ans alpine Bauen gibt und vielerorts leider immer noch die Meinung vorherrschend ist, dass der Tourist, der in die Alpen kommt, den Alpenkitsch sucht. Bisher ist es uns immer gelungen, dieser Verallgemeinerung mit überzeugenden Argumenten und schlussendlich auch überzeugenden Gebäuden zu widersprechen.

Für uns sind das Bauen in den Alpen und die daraus resultierenden Architekturaufgaben äusserst herausfordernd und machen durch die spannende Arbeit mit den Menschen, der Landschaft und der Natur viel Freude. Wenn Sie uns fragen würden, ob wir das Bauen und Planen in den Bergen oder in der Ebene bevorzugen, so wäre unsere Antwort eine klare Priorisierung für das Bauen in den Bergen. Die Herausforderungen durch die raue Natur, deren Bewohner und Ansprüche zählen für uns zu den spannendsten und freudvollsten Tätigkeitsgebieten.

Wohnanlage Chatschadur

Das kleine Mathon, Teil der Tourismusgemeinde Ischgl, liegt zirka 5 Kilometer südwestlich in Richtung Silvretta und etabliert sich vermehrt als Rückzugsort für Ruhe suchende Bewohner des Tourismusortes. Auf der nördlich des Ortsrandes gelegenen Hangseite konnte die Familie J. eine Kleinwohnanlage mit drei Wohnungen verwirklichen. Die ideale Ausrichtung nach Süden ermöglicht eine Besonnung von früh am Morgen bis spät am Abend. Der freie Blick auf die Bergwelt der Silvretta ist allgegenwärtig und gleichzeitig von jedem Punkt des Gebäudes fesselnd.

Das Gebäude schmiegt sich terrassenförmig in das steile, raue Gelände der Umgebung ein. Die Wohnungen sind horizontal geschichtet. Auf der Zufahrtsebene befinden sich die zentrale Parkebene und die gesamte Haustechnik. Von hier aus erschliesst sich das Wohnhaus über eine Laubengangsituation im Osten. Jede der Ebenen fungiert als eigene Wohneinheit mit Lagerräumlichkeiten im Hangbereich und grossen privaten Sonnenterrassen im Süden und Südwesten.

Das Gebäude wurde in Mischbauweise konzipiert. Alle erdumschlossenen Bauteile und schallschutzbildenden Decken wurden in Stahlbeton ausgeführt. Die restlichen Gebäudeteile und das Dach sind in vorgefertigten Holzelementen mit einer vorvergrauten Holzfassade ausgeführt.

Die komplette Energieerzeugung auf einer Seehöhe von 1500 Metern wurde mit Erdsonden und einer Wärmepumpe bewältigt. Die Wärmeverteilung erfolgt über eine Niedertemperatur-Fussbodenheizung. Zudem besitzen alle Wohnungen einen Holzspeicherofen, welcher für eine angenehme Behaglichkeit in der Übergangszeit perfekt eingesetzt werden kann.

Blaulichtzentrum H.E.L.P.

Das neue Blaulichtzentrum reagiert mit seiner in sich geschlossenen Form auf die äusseren Einflüsse und Naturgefahren. Es entsteht eine homogene Sicherheitszelle im heterogenen Umfeld.

Bei der vertikalen Erschliessung werden ganz bewusst zwei Lifte eingesetzt: der Warenlift für die Feuerwehr und der wesentlich schnellere Personenlift für die Rettung. Durch die innenhofartige Anordnung der Fahrzeughalle entsteht ein Maximum an Überblick. Von der Nachrichtenzentrale aus sind die gesamte Fahrzeughalle, der Garderobenbereich und der Vorplatz optimal einzusehen. Im Einsatzfall kann der Lenker des Fahrzeugs den Sichtkontakt zur Kommandozentrale und der Garderobe optimal herstellen.

Die Tragstruktur der Wände und Decken wird aufgrund der Hanglage und der Lawinenanforderungen in Betonbauweise ausgeführt. Die Bereiche Aufenthalt, Schulung und Bereitschaft sind innen in einheimischem Holz ausgestattet. Die in sich geschlossene Sicherheitszelle und die fortschreitende Patinabildung an der Oberfläche stehen für die Robustheit des Blaulichtzentrums, die Widerstandsfähigkeit gegen die Naturgefahren und gleichzeitig die Zeitlosigkeit des Gebäudes.

Die Tore sind aus Gründen der Belichtung und als Symbol der Verwurzelung mit der Bevölkerung transparent ausgeführt.

Der Entwurf sieht eine Anordnung der Fahrzeughalle auf einer Ebene vor. Im Alarmfall kann dadurch das Unfallrisiko (Stolpern) auf ein Minimum reduziert werden. Der laufende Betrieb, der Unterhalt und die Reinigung werden durch diese Grundrisstypologie wesentlich vereinfacht. Die Anordnung der Fahrzeuge schafft im Innenhof eine wertvolle Vorzone. Diese ist vor Wind und Wetter geschützt und kann während des ganzen Jahres multifunktional bespielt werden.

Für alle Blaulichteinheiten ist im zweiten Untergeschoss ein in sich geschlossener Bereich geschaffen worden. Die gemeinschaftlich genutzten Bereiche befinden sich an der Verkehrsachse.

Supermarkt mit Bistro

Im nördlichen Ortskern der Tourismusgemeinde Ischgl entlang der Umfahrungsstrasse Richtung Silvretta konnte die Firma MPREIS nach langen Jahren der Verhandlungen den für die Gemeinde dringend notwendigen Lebensmittelmarkt inklusive eines Bistrobetriebs verwirklichen.

Die Erschliessung erfolgt direkt über die Bundesstrasse und die angegliederte Bushaltestelle. Vorgesetzt zum Lebensmittelmarkt befindet sich ein Teil des Parkplatzes.

Das Gebäude ist zweigeschossig angeordnet. Im Untergeschoss befinden sich die Parkplätze für den Supermarkt und das benachbarte Hotel sowie Technik- und Lagerräume des Geschäfts. Der erhöhte Verkaufsraum wird über eine Treppe und den Personenaufzug erreicht. In der Verkaufsebene befindet sich neben dem Lebensmittelraum noch ein Café-Bereich mit einem Bistro.

Die gesamte Tragstruktur des Gebäudes ist in Stahlbeton ausgeführt und symbolisiert im Innenbereich die traditionelle Bauernstube mit Kassettendecke und die Struktur eines klassischen Holzbodens. Ganz unter dem Motto «alles nur Fassade» stellt sich die Aussenhülle des Gebäudes den umliegenden Hotelbauten entgegen und lädt zur Diskussion über das traditionelle und alpine Bauen ein.

Der neue MPREIS in Ischgl wurde als PassivhausSupermarkt ohne Heizung ausgeführt. Dies ist vor allem deshalb erwähnenswert, weil sich der Standort auf zirka 1400 Metern Seehöhe befindet. Die erforderliche Wärme wird nur durch die Abwärme der Kühlmöbel erzeugt. Weiter wurde das Gebäude mit dem Umweltprädikat «klimaaktiv» in Gold ausgezeichnet. Voraussetzung für diese Auszeichnung sind beste Qualitätsstandards im Bereich Energieeffizienz, Ressourceneinsatz, Planung, Umsetzung und Raumklima. Der vielfache Einsatz von ökologisch zertifizierten Baustoffen mit Gütesiegel gewährleistet diese hohen Anforderungen im Bereich Klimaschutz. ●

Wohnungen
Das Gebäude schmiegt sich terrassenförmig in das steile, raue Gelände der Umgebung.
Wohnungen
Der freie Blick auf die Bergwelt der Silvretta ist allgegenwärtig und gleichzeitig von jedem Punkt des Gebäudes fesselnd.
Wohnungen
Wohnanlage schnitt
Schnitt
Wohnanlage Ansicht Süd
Ansicht Süd
Wohnanlage Ansicht Ost
Ansicht Ost
Überblick
Durch die innenhofartige Anordnung der Fahrzeughalle entsteht ein Maximum an Überblick.
Blaulichtzentrum
Das neue Blaulichtzentrum reagiert mit seiner in sich geschlossenen Form auf die äusseren Einflüsse und Naturgefahren.
Blaulichteinheit
Jede Blaulichteinheit hat ihren eigenen Bereich.
Blaulichteinheit
Vom Nachrichtenraum aus hat man eine optimale Einsicht ins gesamte Areal.
Längsschnitt
Längsschnitt
Aussenhülle
Die Aussenhülle des Gebäudes lädt zur Diskussion über das traditionelle und alpine Bauen ein.
Café-Bereich
In der Verkaufsebene befindet sich neben dem Lebensmittelraum noch ein Café-Bereich mit einem Bistro.
Gebäude
Das Gebäude ist zweigeschossig angeordnet. Im Untergeschoss befinden sich die Parkplätze.
Ansicht Nordwest
Ansicht Nordwest
Ansicht Südwest
Ansicht Südwest
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