Bildungsbauten – Einbindung von Forschern in die Planung
Ein Gespräch zwischen Planer und Forscher über den Entstehungsprozess des Neubaus für das Forschungsgebäude BIN / DZNE in Göttingen (D).

Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer stellen Forscher vor grosse Herausforderungen, weil die Ursachen bisher nicht vollständig geklärt sind und keine wirksamen Heilmittel oder Therapien vorliegen. In Göttingen steht seit 2016 ein neues Forschungsgebäude zur Verfügung, das modernste Voraussetzungen bietet, um auf diesem Gebiet zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Die pbr AG hat für das neue Forschungsgebäude die Gesamtplanung erbracht. Im Gespräch mit dem Architekten Michael Jäger von der pbr AG zeigen Prof. Dr. André Fischer und Prof. Dr. Silvio O. Rizzoli auf, wie sie als Forscher den Neubau geprägt haben.Prof. Dr. André Fischer ist Standortsprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Göttingen. Prof. Dr. Silvio O. Rizzoli ist Vorstandssprecher des Center for Biostructural Imaging of Neurodegeneration (BIN) in Göttingen. Während das DZNE die Ursachen und Mechanismen neurodegenerativer Krankheiten erforscht, ist das Ziel des BIN, die bildliche Darstellung zu entwickeln.
In welchem Forschungsbereich sind Sie tätig, und was erforschen Sie?
Prof. Dr. André Fischer: Wir untersuchen neurodegenerative Erkrankungen. Das sind Erkrankungen des Nervensystems, des Gehirns, bei denen in der Regel Nervenzellen absterben. Das bekannteste Beispiel ist sicher die Alzheimerdemenz. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine Demenz entwickeln, nimmt leider mit dem Alter exponentiell zu. 65-Jährige haben eine 10-prozentige Wahrscheinlichkeit, bei den über 80-Jährigen ist sie fast 50-prozentig. Das grosse Problem ist, dass man bisher kein wirksames Medikament entwickelt hat. Das Risiko, zu erkranken, ist abhängig von Umwelt- und genetischen Faktoren. Wir befassen uns mit dem Thema Epigenetik, also genau mit der Schnittstelle dieser beiden Faktoren. Epigenetik erforscht die Prozesse, die die Interaktion von Umweltfaktoren und genetischen Faktoren regulieren. Bei Alzheimer sind diese deutlich dereguliert. Wir forschen daran, Schalter zu finden, um regenerative Prozesse des Nervensystems anzuregen. Darüber hinaus hinterlassen Umweltfaktoren epigenetische Spuren. Unser Auftrag ist, diese Spuren zu entschlüsseln und daraus Biomarker zu messen, die Risikopopulationen aufzeigen, damit man im Rahmen der Früherkennung gezielte Therapien einleiten kann.
Prof. Dr. Silvio O. Rizzoli: Ich habe an verschiedenen Instituten in England, den USA und Rumänien gearbeitet. Meistens steht man vor der Situation, dass ein Gebäude schon besteht oder gebaut wird und man darauf nicht einwirken kann. Diesmal konnten wir selbst kleinste Details schon vor der Planung einbringen. Hier im Haus arbeiten Chemiker, Biologen und Biochemiker. Sie benötigten jeweils separate Räume mit speziellen Eigenschaften, sollten aber trotzdem gut mit den anderen Forschern und Gruppen kooperieren können. Wir verfügen jetzt über kooperative Räume, die für viele Funktionen gemacht worden sind. Bei anderen Instituten habe ich erlebt, dass die Architektur zwar sehr schön, aber nicht für die Forschung gemacht war. Deshalb sind wir sehr froh, dass wir in der Planung mitwirken und die Räume nach unseren Anforderungen zusammenstellen konnten.
A. F.: Ein ganz wichtiger Punkt, der mir am Herzen liegt, ist, dass neue Entdeckungen, obwohl heute alles computerbasiert ist, durch die Interaktion von Menschen entstehen. Gerade für ein Forschungsgebäude, in dem es um Kreativität und den Anspruch geht, Neuland in einem Forschungsgebiet zu erschliessen, ist es entscheidend, dass die Räume Interaktion ermöglichen. Deshalb haben wir darauf geachtet, dass man eher grössere Büro- und Laborräume hat und Leute miteinander in räumlichen Einheiten arbeiten. Ganz entscheidend war, dass die unterschiedlichen Arbeitsgruppen im Gebäude die Möglichkeit haben, sich auszutauschen. Eine verschnörkelte Architektur wäre für unseren Zweck gar nicht angemessen gewesen, weil sie zwar von aussen schön aussieht, aber keine Kommunikation zulässt.
Welche Anforderungen hatten Sie an die Räume, und welche Bedeutung hat die räumliche Flexibilität in den Laboren, z. B. aufgrund sich wandelnder Anforderungen?
S. O. R.: Man muss so planen, dass die Räume so modular und standardisiert wie möglich sind. Mit neuen Projekten kommen auch neue Mitarbeiter. Wenn die Räume total auf die Anforderungen in den Projekten spezialisiert wären, würden wir Probleme bekommen, sobald neue Nutzungen notwendig werden. Nur für Spezialräume wie für das Nano-Sekundärionen-Massenspektrometer (NanoSIMS) musste jedes Detail penibel im Voraus geplant sein, damit das Gerät einwandfrei funktioniert.
A. F.: Wir haben im Bauprozess natürlich Kompromisse machen müssen wegen des Budgets. Büroräume sind deutlich günstiger als Laborräume. Ich habe versucht umzusetzen, dass man so viele Laborräume wie möglich erhält, auch wenn man sie nicht sofort nutzt. Im Nachhinein ein Labor auch mal kurzzeitig als Büro einzusetzen ist deutlich einfacher und günstiger, als ein Büro zu einem Nasslabor umzurüsten.
Welche Geräte benötigen Sie zum Forschen?
A. F.: Wir hatten den grossen Vorteil, dass wir wussten, welche Gruppen das Gebäude auf Seiten des DZNE nutzen werden und welches Forschungsprofil sie haben. Deshalb war uns auch klar, welche Schlüsseltechnologien wir in den nächsten zehn Jahren benötigen würden. Eine Sequenziereinheit für die Ganzgenomsequenzierung und ein Gerät, mit dem wir Zellen sortieren. Beides sind sensitive, kosten- und wartungsintensive Geräte, die mehrere Spezialräume u. a. für die Probenvorbereitung benötigen. Diese Geräte haben wir einmal zentral im Gebäude angeordnet und hatten dann mehr Platz für andere individuelle Anforderungen.
S. O. R.: Neben regulären Laboren und Aufstellorten für Mikroskope stellte uns insbesondere das NanoSIMS vor Herausforderungen. Von dieser Maschine gibt es weltweit nur etwa 40 Stück. Sie schiesst mit atomarer Präzision Ionen auf eine Probe, sodass Atome herausbombardiert werden, die mit Detektoren gemessen werden. Das Gerät ist empfindlich für Vibrationen und Temperaturschwankungen. Deshalb war von Anfang an geplant, einen eigenen, speziell angepassten Raum für das Gerät zu bauen. Er ist mit einem sehr ungewöhnlichen Lüftungssystem ausgerüstet, bei dem kalte Luft von unten in den Raum strömt und von oben abgesaugt wird. Ausserdem ist der Raum schwingungsentkoppelt und auf Dämpfern gelagert.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit der Institute mit Blick auf das Gebäude?
A. F.: Beim BIN konnte man während der Planungs- und Bauphase noch nicht genau sagen, wer die Räume beziehen würde, weil Gruppen sich für die Nutzung des Gebäudes bewerben konnten. Entsprechend konnte man deshalb die Anforderungen nicht ganz so spezifisch definieren wie auf Seiten des DZNE. Weil aber die Aufstellräume im DZNE gleich hinreichend dimensioniert worden sind und BIN-Teams später hier Geräte wie einen zusätzlichen Zellsortierer aufstellen konnten, funktioniert das gut. Andere Räume im Bereich des DZNE wie unsere zentrale Zellkultur werden jetzt vom BIN ebenfalls benötigt und können auch gemeinsam genutzt werden.
S. O. R.: Beide Institute haben viele Anknüpfungen, weil sie technisch und thematisch eine ähnliche Fokusrichtung haben. Täglich arbeiten Mitarbeiter beider Teams zusammen und nutzen gemeinsam die vorhandenen Geräte. Das Gebäude ist die optimale Basis für diese Kooperation, die sonst so nicht zu machen wäre. Die Nähe ist äusserst wichtig für die wissenschaftliche Kooperation, z. B. weil Proben den Transport sonst nicht überdauern würden. Natürlich ist es wichtig, die Büros sinnvoll zusammenzustellen. Sozialräume wie Kaffeeräume bieten gute Möglichkeiten für den Austausch. Wichtig war uns auch, das eigene Gebäude mit Hörsälen, bestuhlten Konferenzräumen, Abstellräumen so zu gestalten, dass es auch für Vorträge, Tagungen und Kongresse genutzt werden kann. Dieses Jahr haben wir ein Zentrum für die nanoskalige synaptische Forschung gegründet und Fördergelder der Deutschen Forschungsgemeinschaft beantragt. Die Begutachtung erfolgte im Rahmen einer Vortragsveranstaltung in unserem Neubau mit 20 Gutachtern und 100 Kollegen. Das hat in diesem Gebäude sehr gut funktioniert. ●




