Gesundheitsbauten  – Eine Skulptur in Weiss

In Lausanne wurde das Krebsforschungszentrum Agora fertiggestellt. Es fügt sich mit seinem innovativen Fassadenkonzept behutsam in die Umgebung ein und besitzt dennoch eine eigenständige Präsenz.

Krebsforschungszentrum
In Lausanne wurde das Krebsforschungszentrum Agora fertiggestellt. Es fügt sich mit seinem innovativen Fassadenkonzept behutsam in die Umgebung ein und besitzt dennoch eine eigenständige Präsenz.
Der Neubau des Agora Pôle de recherche sur le cancer in Lausanne stellt Arbeits- und Forschungsräume für 400 Wissenschaftler und Ärzte unter einem Dach bereit. Zentrales Anliegen war ein umfassendes, ganzheitliches Konzept zur Gestaltung von Kommunikations- und Arbeitsbereichen für das Krebsforschungszentrum. Bestehende visuelle Beziehungen auf dem Grundstück und darüber hinaus zur Landschaft waren entscheidend für eine behutsame Ausformulierung und Anpassung der Baumasse. Der so entstandene skulpturale Charakter des Gebäudes macht es in seiner Umgebung gut ablesbar und trägt zu seiner eigenständigen Präsenz bei. Doch nicht nur in seiner Ganzheit überzeugt die Gebäudestruktur.Signifikant beeinflusst wurde die Form von Agora auf der einen Seite durch die Notwendigkeit, die angrenzenden bestehenden Gebäude einzubinden, und auf der anderen Seite, einen harmonischen Übergang zur Natur des westlich gelegenen Steilhangs zu schaffen. Räumliche Qualitäten in den verschiedenen Bereichen von Agora werden unmittelbar durch Tageslicht, Proportion und Materialität wahrgenommen und sind gleichermassen in den öffentlichen Bereichen und in den hoch technisierten Laboren spürbar. Die sowohl interdisziplinäre als auch disziplinäre Kommunikation als zentrales Element einer erfolgreichen Forschertätigkeit ist sichtbar in der Ausgestaltung der Grundrisse.

Neben der hohen Aufenthaltsqualität im Arbeitsumfeld spielt die Kommunikation innerhalb wie ausserhalb des gesamten Gebäudes eine zentrale Rolle. Der Agora-Bereich, die öffentliche Ebene des Krebsforschungszentrums, vernetzt vorhandene Wegführungen mit hinzukommenden Laboren und Büros, interdisziplinären Kommunikationsbereichen und informellen Arbeitsplätzen. Die interne Gliederung der Funktionsbereiche bietet den Nutzern ein Höchstmass an Flexibilität, auch für eventuelle künftige Veränderungen. Das Atrium, Haupteingang des Gebäudes, verbindet das Agora auf der Ostseite mit dem Nachbargebäude Bu25. Dieses fein definierte Volumen dient als öffentlicher Treffpunkt und bietet Raum für Sonderveranstaltungen.

Einheitliches Gesamtbild

Das Krebsforschungszentrum ist das erste Projekt von Behnisch Architekten, bei dem das Büro die Entwurfsidee eines hoch entwickelten, feststehenden Sonnenschutzgitters umsetzen konnte. Ziel war es, einen Sonnenschutz zu schaffen, der einen nahezu ungehinderten Blick nach aussen ermöglicht und gleichzeitig die Sommersonne fernhält, das Umgebungslicht in die Tiefe des Raumes reflektiert und die Wintersonne teilweise in den Raum einfallen lässt.

Dabei wurden für jede Ausrichtung und jede Raumsituation des Gebäudes unterschiedliche geometrische Gitternetzelemente berechnet. Aufgrund der sehr frei geformten Gebäudemasse von Agora, bei der nahezu keine Fassade vertikal verläuft sowie horizontale und vertikale Variationen innerhalb einer Fassade auftreten, musste für jede einzelne Raumsituation ein anderes Element entworfen und hergestellt werden.

Da Behnisch Architekten zum Wettbewerb um das Agora-Projekt eingeladen worden waren, hatten sie somit ausreichend Zeit und Mittel, um dieses anspruchsvolle Konzept bereits während des Wettbewerbs auszuarbeiten. Normalerweise reicht die Zeit nicht für diesen Grad der Ausarbeitung. Um in Wettbewerben innovativ zu sein, können in der Regel nur skizzenhafte Entwurfsansätze präsentiert werden, was es den Juroren erschwert, deren Komplexität zu erfassen, geschweige denn darauf zu vertrauen, dass die Entwürfe tatsächlich umgesetzt werden können.

Beim Agora-Projekt konnten Behnisch Architekten die eigenen Entwurfsansätze gründlich ausloten und weiterentwickeln und damit die Jury sowie den Auftraggeber davon überzeugen, dass das Konzept auf einer wissenschaftlich fundierten Grundlage aufbaut. Man hatte nicht nur genügend Zeit, sondern auch die Möglichkeit, die Entwürfe der Jury persönlich zu präsentieren.

Die Details wurden mit unterschiedlichen Computerprogrammen, wie Rhino, Grashopper und AutoCAD, entwickelt, dann am Modell und durch mathematische Berechnungen der verschiedenen Geometrien und Anforderungen überprüft. Mit Unterstützung der Klimaingenieure von Transsolar und des Lichttechnikers Robert Müller von Bartenbach konnten die Konzepte im anschliessenden Planungsablauf des Vorentwurfs, in der Entwurfsplanung und der Werkplanung konkretisieret werden. Daraufhin wurden die Berechnungen und Konstruktionen von einem unabhängigen, von der Baufirma bestellten Gutachter verifiziert.

Die Modelle waren geometrisch präzis genug, um von Sottas, dem Hersteller aus der Schweiz, als Grundlage für den Bau der Elemente verwendet zu werden. Eine der grösseren Herausforderungen bestand darin, die Geometrie so zu berechnen und zu optimieren, dass die verschiedenen Elemente an der Oberseite und an den Eckpunkten ohne aufwendige Fugen zusammengefügt werden konnten.

Das Gitternetz spannt sich um das gesamte Gebäude. Da seine Geometrie und damit seine Eckpunkte nach anderen Kriterien entworfen wurden, musste darauf geachtet werden, dass das Raster so optimiert ist, dass die Eckpunkte in einer architektonisch und technisch akzeptablen Weise zusammenpassen.

Jedes Element ist teilweise mit lasergeschnittenen Löchern versehen, um den Kontrast zu minimieren und so Blendeffekte zu vermeiden. Die Ausführungsunterlagen wurden mit Unterstützung der Fassadenberatungs- und Ingenieurgesellschaft Emmer Pfenninger erstellt, was dem Architekturbüro und dem Bauherrn die Gewissheit gab, dass der Entwurf tatsächlich realisierbar ist. Steiner, der Generalunternehmer, war mit seinem Bauleiter vor Ort ein exzellenter Partner für die Lieferung eines so präzisen Fassadenrasters für ein so komplexes Laborgebäude dieser Grössenordnung.

In Simulationen wurde die Fassade auf Sonnenschutz, Hitzeschutz, Lichtoptimierung und Blendung geprüft. Anhand der Simulationen wurde nachgewiesen, dass die Leistung dieses festen Sonnenschutzgitters allen anderen feststehenden Sonnenschutzeinrichtungen deutlich überlegen ist. Im Hinblick auf die Lichtoptimierung schneidet dieses von Behnisch Architekten neu entwickelte Sonnenschutzsystem energetisch und punkto Behaglichkeit deutlich besser ab als jeder bewegliche Sonnenschutz. Derzeit arbeitet das Büro an ähnlichen Systemen für die SEAS an der Harvard-Universität (Allston, Boston, USA) und die Adidas-Arena HQ (Herzogenaurach, Deutschland).

Ein auf einem ähnlichen Konzept basierendes Lichtoptimierungssystem wurde bereits in der Parkhausanlage Santa Monica (Kalifornien, USA) realisiert. ●

Krebsforschungszentrum
Strahlend weisse Sonnenschutzgitter schützen die Laborräume vor starker Aufheizung. Fotos: Stefan Behnisch und David Matthiessen
Krebsforschungszentrum
Das Agora Pôle de recherche sur le cancer in Lausanne befindet sich auf dem Campus des CHUV (Centre hospitalier universitaire vaudois) in Sichtweite des Genfersees.
Krebsforschungszentrum
Agora verbindet die angrenzenden bestehenden Gebäude mit dem Neubau und ist Namensgeberin des Projekts.
Krebsforschungszentrum
Die grosszügige Verglasung des Foyers ermöglicht einen weiten Blick aus dem Innenraum über die Stadt.
Krebsforschungszentrum
Blick in den Laborbereich.
Krebsforschungszentrum
Die Fassadenelemente gewähren einen ungehinderten Ausblick.

Bautafel

Bauherr Fondation ISREC, Lausanne

Architekt Behnisch Architekten, Stuttgart (D)

Totalunternehmer Steiner SA, Tolochenaz

Partnerarchitekten Fehlmann Architectes SA, Morges

Tragwerk ZPF Ingenieure AG, Basel

HLS AZ Ingénieurs Lausanne SA, Lausanne

Electro Bering AG, Bern

Fassade Emmer Pfenninger Partner AG, Münchenstein

Lichtplaner Bartenbach LichtLabor GmbH, Aldrans (A)

Akustik AAB J. Stryjenski & H. Monti, Carouge

Landschaft Oxalis Architectes Paysagistes Associés, Carouge

Projektsteuerung Cougar Management, Morges

Energiekonzept Transsolar Energietechnik GmbH, Stuttgart (D)

Brandschutz Swissi AG, Neuchâtel

Laborplanung Dr. Heinekamp Labor und Institutsplanung, Karlsfeld b. München (D)

Erläuterungen

Öffnungselemente
Öffnungselemente der Fassade.
Detailschnitt
Detailschnitt Fassade und Laborbereich.
Sonneneinstrahlung
Sonneneinstrahlung und Blenden.
Sonneneinstrahlung
Zusammensetzung der perforierten Verschattungseinheit: Die Fassadenelemente bestehen aus zwei gefalteten Aluminiumteilen, die miteinander verbunden sind, um Biegungsmomenten standzuhalten und die Biegefestigkeit zu erhöhen. Laschen an den Rändern ermöglichen das unsichtbare Befestigen von Einheiten an der Aluminiumstruktur.

Die Aussenfassade von Agora ist als durchgehende, durchlässige Sonnenschutzhaut konzipiert, die eine Überhitzung der Fassaden verhindert und gleichzeitig ein hohes Mass an visueller Transparenz bietet. Diese Haut besteht aus Metallöffnungen, die sich in ihrer Tiefe und Ausrichtung an jede Fassade anpassen. Jede Fassadenfläche hat einen spezifischen Plattentyp, der an einer Stahlkonstruktion befestigt ist, die entlang der zwei parallelen kurzen Kanten jeder Platte verläuft. Die Stahlstruktur wird an der inneren Fassade mit Metallklammern gehalten, auch unterstützt die Stahlstruktur einen Wartungslaufsteg.

Nachgefragt

Stefan Behnisch, Gründer des Architekturbüros Behnisch Architekten, zu den Besonderheiten des Agora-Projekts.

Welche Idee steckt hinter der Fassadenkonstruktion?
Das vielschichtige Gebäudevolumen mit schrägen Wänden und Ecken, die sich in geometrisch komplexen Winkeln treffen, verlangte nach einer einheitlichen Fassade. Anstatt einzelne Fenster hervorzuheben, wollten wir ein einheitliches Gesamtbild erzielen. Die Fassade wurde dabei zu einem unterstützenden, verbindenden Element mit einer vorgehängten Struktur, welche die dahinterliegenden Öffnungen überspielt.

Warum haben Sie sich für eine fixe räumliche Gitterstruktur entschieden?
Bei dieser Entscheidung wurde nicht nur das architektonische Erscheinungsbild des Gebäudes berücksichtigt, sondern auch das Windaufkommen auf dem Gelände. Um Energie für die Beheizung und die Kühlung eines Gebäudes zu sparen, sind die Verschattung und die Optimierung der Tageslichtverhältnisse für eine leistungsfähige Fassade unerlässlich. Ausserdem ist die Erhöhung des Tageslichtanteils ein wichtiger Faktor für das Wohlbefinden der Menschen im Gebäude.

Was war beim Realisierungsprozess bemerkenswert?
Die Realisierung der Gitterstruktur vor Ort stellte uns vor zahlreiche Herausforderungen. Selbst mithilfe eines komplexen 3-D-Modells war es schwierig, den Baufirmen das Konzept begreiflich zu machen. Die Ingenieure mussten erst einmal verstehen, was wir eigentlich erreichen wollten. Aufgrund der unterschiedlichen Winkelstellungen der Fassaden wurden die Eckausbildungen sehr anspruchsvoll. Nachdem sich die Fassadenlage in Bezug auf das Gebäude geändert hatte, musste jede Ecke einzeln Element für Element korrigiert werden. Es wäre einfacher gewesen, die einzelnen Elemente proportional zu skalieren und die geplante Geometrie beizubehalten. Um die Metallstruktur herstellen zu können, mussten wir gemeinsam mit dem Unternehmen alle Details sorgfältig ausarbeiten. Das Ergebnis war ein komplexes Set an Einzelkomponenten.

Gibt es etwas, das Sie gern verbessern würden?
Wir werden die Stabilität der Struktur in den kommenden Jahren überwachen müssen. Ich bin sicher, dass es einzelne Bereiche gibt, die wir beim nächsten Mal verbessern können. Aber prinzipiell ist diese Art der fest installierten und für bestimmte Anwendungsbedingungen konzipierten Gebäudehülle eine gute Lösung, um die Leistung der Gebäudehülle in Bezug auf ihre Haltbarkeit, ihre Tageslichtoptimierung und ihre Energieeinsparung zu verbessern.

Krebsforschungszentrum
Strahlend weisse Sonnenschutzgitter schützen die Laborräume vor starker Aufheizung. Fotos: Stefan Behnisch und David Matthiessen
Krebsforschungszentrum
Das Agora Pôle de recherche sur le cancer in Lausanne befindet sich auf dem Campus des CHUV (Centre hospitalier universitaire vaudois) in Sichtweite des Genfersees.
Krebsforschungszentrum
Agora verbindet die angrenzenden bestehenden Gebäude mit dem Neubau und ist Namensgeberin des Projekts.
Krebsforschungszentrum
Die grosszügige Verglasung des Foyers ermöglicht einen weiten Blick aus dem Innenraum über die Stadt.
Krebsforschungszentrum
Blick in den Laborbereich.
Krebsforschungszentrum
Die Fassadenelemente gewähren einen ungehinderten Ausblick.
Erdgeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Querschnitt
Querschnitt
Längsschnitt
Längsschnitt
30561_agora_10_d_perforierte_verschattu_4288644
Zusammensetzung der perforierten Verschattungseinheit: Die Fassadenelemente bestehen aus zwei gefalteten Aluminiumteilen, die miteinander verbunden sind, um Biegungsmomenten standzuhalten und die Biegefestigkeit zu erhöhen. Laschen an den Rändern ermöglichen das unsichtbare Befestigen von Einheiten an der Aluminiumstruktur.
Sonneneinstrahlung
Sonneneinstrahlung und Blenden.
Detailschnitt
Detailschnitt Fassade und Laborbereich.
Öffnungselemente
Öffnungselemente der Fassade.
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