Historisches Lernzentrum

Im italienischen Brixen wählten MoDus Architects eine subtile Entwurfsstrategie für die Renovierung und die Erweiterung der Cusanus-Akademie – eines Zentrums des Lernens, das sich dem Austausch von Ideen an der Schnittstelle von religiösem und weltlichem Verständnis widmet.

Cusanus-Akademie
Südansicht auf das Paul-Norz-Haus und das Haupthaus.
Von Maria Azzurra Rossi (Text) und Gustav Willeit (Bilder)
Im italienischen Brixen wählten MoDus Architects eine subtile Entwurfsstrategie für die Renovierung und die Erweiterung der Cusanus-Akademie – eines Zentrums des Lernens, das sich dem Austausch von Ideen an der Schnittstelle von religiösem und weltlichem Verständnis widmet.

Um die Cusanus-Akademie besser in die Stadt einzubinden, begegnet das Projekt dem heterogenen Ensemble von Seminarräumen und Gästeunterkünften mit einem Spektrum von Eingriffen – von mimetisch bis offenkundig neu –, die einen organischen, zusammenhängenden und gemeinschaftlich einladenden Komplex bilden. Entlang des Eisacks im Osten der Stadt gelegen, umfasst die Cusanus-Akademie drei Gebäude: das Paul-Norz-Haus, das Mühlhaus und das Haupthaus, das ursprünglich von dem lokal bekannten Architekten Othmar Barth (1927–2010) entworfen wurde – das erste moderne Gebäude, das unter dem Schutz der Denkmalschutzkommission der Provinz Bozen steht. Bei der Einweihung 1962 löste das Gebäude einige Diskussionen aus: Viele hielten den kühnen modernen Bau aus Sichtziegeln und Beton für deplatziert, für einen Schandfleck zum benachbarten Hauptseminarbau aus dem 18. Jahrhundert, während andere die zeitgenössische Ergänzung innerhalb der mittelalterlichen Struktur des historischen Stadtzentrums begrüssten. Heute ist das Gebäude eines der Wahrzeichen von Brixen und gilt als Meisterwerk von Othmar Barth.Die Akademie ist benannt nach Nikolaus Cusanus, einem einflussreichen und aufgeklärten Kardinal und Philosophen des 15. Jahrhunderts, der sich dem Humanismus der Renaissance verschrieben hatte und dessen verschiedene religiöse und politische Ämter ihn nach Rom führten, wo er mit Leon Battista Alberti in Kontakt kam. Die Affinität zwischen Cusanus’ und Albertis Ideen zur «concinnitas» (Kongruenz der verschiedenen Teile eines Gebäudes) bildet den schönen Hintergrund für Barths architektonische Ausarbeitung der Beziehungen zwischen Teil und Ganzem im Namen von Einheit und Harmonie.

Dreh- und Angelpunkt

Die Architekten waren aufgefordert, eine sorgfältige und ausgewogene Renovierung durchzuführen, die viele technische und bauordnungsrechtliche Anforderungen berücksichtigte, ohne die Integrität der Akademie zu gefährden. Insbesondere die Notwendigkeit für eine bessere Zugänglichkeit veranlasste die Architekten, die vertikale und die horizontale Zirkulation als ein Netzwerk sozialer, öffentlicher Räume neu zu überdenken. Das Projekt bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen dem, was zu den ursprünglichen Gebäuden zu gehören scheint (unsichtbar), und dem, was als neue, deutlicher formulierte Eingriffe auftaucht (sichtbar). Die beiden bedeutendsten und sichtbarsten gestalterischen Eingriffe wurden im Erdgeschoss des Haupthauses durchgeführt, wo eine neu gebildete Achse das Gebäude öffnet, und im Untergeschoss, wo ein grosser Konferenzsaal zum neuen Dreh- und Angelpunkt wird.

Das Haupthaus zeigt einen Grundriss aus drei Quadraten, die sich nach Süden zu einem unauslöschlichen trapezförmigen Grundriss öffnen; das daraus resultierende Wechselspiel zwischen orthogonaler Ordnung und leichter Drehung bestimmt das gesamte Projekt in Grundriss, Ansicht und Detail. Zusammen mit dem 2,90 m langen Durchgang, der Struktur und Oberfläche, Öffnung und Schliessung beherrscht, bis zu den Bodenmaterialien, die wiederum die Positionierung der Sitzgelegenheiten markieren, ist das Gebäude eine ergreifende Lektion in «multa paucis» – mit wenigen Worten viel sagen.

In der Tat verschmilzt die sorgfältige grammatikalische Konstruktion des Projekts in einer abstrakten Ordnung mit den realen Dimensionen des Betonrahmens, den Sichtziegelwänden und Pflastersteinen sowie den Travertinplatten zu einem einheitlichen Ganzen. In ein so vollständiges und vollendetes Projekt einzugreifen, erwies sich für MoDus Architects als anspruchsvolle Aufgabe. «Dieses Gebäude war unser Meister, eine Fundgrube weiser architektonischer Lösungen, raffinierter Details und gemessener geometrischer Muster; eine Muse in der geschickten Inszenierung des natürlichen Lichts und in der Verwendung weniger Materialien; ein Leitfaden für Prägnanz, Einfachheit und Angemessenheit: ein Beispiel für wahre Schönheit oder, besser gesagt, ‹concinnitas› auf Latein», bekräftigt Matteo Scagnol, zusammen mit Sandy Attia Gründer von MoDus Architects.

Spirituelle Lichtqualität

Unterirdisch, auf der Halbkellerebene, wird der ehemalige Klubhausbereich zu einer Reihe von Seminarräumen umgestaltet, die wiederum an den (ausgehobenen) Anbau des grossen Konferenzsaals anschliessen. Von oben durch ein u-förmiges Oberlicht belichtet, umschreibt der neue Konferenzraum die Grundfläche des oberirdischen Hofs und verwandelt den einst undefinierten Restraum in einen öffentlichen Ort des sozialen Austauschs. Eingebettet in die bauliche Logik des Haupthauses, stellt ein neuer vertikaler Erschliessungskern das funktionale Bindeglied zwischen Barths Projekt, den historischen Nebengebäuden und der von MoDus Architects eingebrachten unterirdischen Ebene dar. Die Schlafräume für bis zu 96 Gäste befinden sich in den Obergeschossen des Paul-Norz-Hauses, des Mühlhauses und in den flankierenden Längsseiten des Haupthauses. Die 55 Zimmer unterschiedlicher Grösse und Kapazität sind im Paul-Norz-Haus in Blautönen gehalten, im Mühlhaus in Pistaziengrün, während die Zimmer des Haupthauses die Originaleinrichtung von Othmar Barth oder Variationen davon zeigen. Im Haupthaus blicken die balkonartigen Flure, welche die Gästezimmer erschliessen, auf die zentrale Haupthalle und werden im Norden von der Kapelle und im Süden von einem weiteren grossen Konferenzsaal begrenzt, dessen Splitlevellage über eine bewegliche Trennwand zum zentralen Gewölberaum geöffnet werden kann. Die originalen Finn-Juhl-Sessel, die Barth für die verschiedenen Gemeinschaftsräume im Gebäude ausgewählt hatte, wurden aufgearbeitet und in den Ecken und Winkeln des Gebäudes wieder eingesetzt. Die spirituelle Lichtqualität der gewölbten Oberlichter findet sich auch in der Kapelle wieder, einem feierlichen Raum, der nur durch den massiven Stein-Ambon der Künstlerin Lois Anvidalfarei verändert wurde, der vor dem bestehenden Altar aufgestellt wurde.

Mit einer sorgfältigen und gemässigten Orchestrierung einer materiellen, tektonischen und technischen Lösungspalette oszillieren die zahllosen Interventionen von MoDus Architects zwischen mimetischen, reziproken und sorgfältig kontrastierenden Elementen. Das Ergebnis ist eine sich verschiebende Erzählung zwischen dem Alten und dem Neuen, welche die Grenze zwischen beiden verwischt und der Cusanus-Akademie eine zeitgemässe und zeitlose Architektur bietet. ●

Bautafel

Objekt Cusanus Academy

Standort Brixen, Italien

Fertigstellung 2020

Architektur MoDus Architects

Cusanus-Akademie
Südeingang zum Haupthaus.
Cusanus-Akademie
Ostfassade des Haupthauses.
Cusanus-Akademie
Eingang zum Speisesaal im Erdgeschoss des Haupthauses.
Cusanus-Akademie
Blick aus der neuen Achse auf den Seminarraum im Erdgeschoss des Haupthauses.
Cusanus-Akademie
Haupthalle des Haupthauses mit Sichtbetongewölben.
Cusanus-Akademie Konferenz room
Konferenzraum im Hochparterre.
Cusanus-Akademie
Der neue modulare Konferenzraum der MoDus-Architects-Erweiterung im Untergeschoss mit u-förmigen Oberlicht.
Cusanus-Akademie room
Einer der neuen Gasträume im Paul-Norz-Haus.
Cusanus-Akademie plan
Erdgeschoss mit Umgebung
(Visited 61 times, 1 visits today)

Weitere Beiträge zum Thema