Hotels und Restaurants – Ein versunkenes Restaurant
Im norwegischen Lindesnes ist das erste Unterwasser-Restaurant Europas entstanden. Der Name lautet bezeichnenderweise «Under». Entworfen und umgesetzt wurde es vom Architekturbüro Snøhetta.

Das 34 Meter lange monolithische Gebäude bricht mit seinem oberen Teil durch die Oberfläche des Wassers, der andere Teil ist im Meer versunken und ruht dort fünf Meter tiefer auf dem Meeresboden. Das Bauwerk ist so konzipiert, dass es sich im Laufe der Zeit vollständig in die Meeresumwelt einfügt und die raue Betonschale als künstliches Riff dient. Dabei halten die 50 Zentimeter dicken Betonwände Druck und Erschütterungen leicht stand.
«‹Under› ist die natürliche Weiterführung unseres Experimentierens mit Grenzen», sagt Kjetil Trædal Thorsen, Architekt und Gründer von Snøhetta. «Als neues Wahrzeichen für Südnorwegen schlägt ‹Under› eine unerwartete Kombination von Pronomen und Präpositionen vor und hinterfragt, was die physische Position einer Person in ihrer Umgebung bestimmt. In diesem Gebäude befindet man sich unter Wasser, über dem Meeresboden, zwischen Land und Meer. Das bietet neue Perspektiven und Sichtweisen auf die Welt, sowohl oberhalb als auch unterhalb der Wasserlinie.»
Lindesnes ist bekannt für seine rauen Wetterbedingungen, die sich in der Regel mehrmals täglich von ruhig zu stürmisch ändern. Betritt man aber das Restaurant, lösen sich die Eindrücke von der unruhigen Natur im gedämpft mit Eichen verkleideten Foyer schnell auf. Hier verwandeln sich raue Holzoberflächen und der süssliche Duft von Holz in eine elegante Eichentreppe, die in das Gebäude hinabführt. Dunkle Rohstahlgeländer mit Messingrohrhandläufen führen zu einem weicheren Innenraum. Dort wechselt die Deckenoberfläche von Eiche zu Textil. Die warme, einladende Atmosphäre im Restaurant soll ein Gefühl von Ehrfurcht und Geheimnis vermitteln.
Eine Sonne, die in den Ozean fällt
Als Metapher für die Reise nach unten wird die Farbe des textilverkleideten Innenraums dunkler und intensiver, je tiefer man unter Wasser geht. Die massgeschneiderten Textilien, die über Akustikplatten gespannt sind, beziehen sich auf die Farben eines Sonnenuntergangs, bei dem die Sonne in den Ozean fällt, und begleiten den Gast die Treppe hinunter. Die neutrale Farbe der Decke ist am Eingang ein Sonnenuntergangsrosa, dann folgen intensives Korallen- und Meeresgrün und schliesslich Mitternachtsblau, sobald man den Speiseraum erreicht. Die subtile Eleganz der fein gewebten Deckenpaneele verleiht dem Gebäude eine ruhige Atmosphäre.
Im Zwischengeschoss und im Barbereich, an der Stelle, wo das Gebäude das Meer berührt, ist ein vertikales Fenster in die Seite des Gebäudes geschnitten, das sich vom Meeresspiegel bis zum Meeresboden erstreckt. Das Fenster zeigt das Zusammenfinden von Meer und Luft.
Am Meeresboden, im Speisesaal für 40 Personen, befindet sich das Panorama. Ein 11 Meter breites und 3,4 Meter hohes horizontales Fenster bietet einen visuellen Zugang zum Meer und verbindet die Gäste mit der Natur. Der Blick aus dem Fenster verändert sich im Laufe des Tages und der Jahreszeiten, wobei sich die Farbe des Wassers von Saphirblau an einem kalten Wintertag zu Smaragdgrün in der Sommersaison ändert, wenn die Algen zu wachsen beginnen.
Das ausgeklügelte Beleuchtungssystem minimiert Reflexionen des Panoramafensters und maximiert den Blick auf das Meeresleben. An den Deckenpaneelen sind 380 LED-Lampen angebracht, die den Essbereich mit subtilem, aber dennoch klarem Licht beleuchten. Das Licht kann einfach angepasst werden, um auf unterschiedliche Lichtverhältnisse innerhalb und ausserhalb des Gebäudes zu reagieren. Während der dunklen Stunden wird der Meeresboden künstlich beleuchtet.
Ein Schwerpunkt wurde auf die Auswahl der Materialien gelegt; es galt, die verschiedenen Materialien und Oberflächen entsprechend ihrer Verwendung und Platzierung im Restaurant zu variieren. Rauere Holzoberflächen prägen den Eingangsbereich und die Rückseite des Hauses und entwickeln sich zu raffinierteren Oberflächen, wenn man sich dem Speisesaal nähert. In enger Zusammenarbeit mit Hamran, einer lokalen Tischlerei, die seit 1930 ihre in Norwegen berühmte Handwerkskunst pflegt, sind Wände, Dach und Boden mit lokal gefällter norwegischer Eiche verkleidet.
Meeresforschung
Ein ebenso wichtiger Teil des Projekts ist die Meeresforschung. Das Gebäude steht interdisziplinären Forschungsteams offen, die sich mit Meeresbiologie und Fischverhalten befassen. Für diesen Zweck sind an der Fassade Kameras und verschiedene Messinstrumente angebracht. Wissenschaftler des norwegischen Instituts für bioökonomische Forschung und anderer Forschungszentren können hier zum Beispiel das Verhalten von Fischen während der Jahreszeiten oder die Reaktion von Wildfischen auf Tonsignale untersuchen. Die Forscher werden auch dazu beitragen, optimale Bedingungen auf dem Meeresboden zu schaffen, damit Fische und Schalentiere in der Nähe des Restaurants leben können.
«Wir haben bereits die marine Artenvielfalt in dieser Region seit vier Jahren beobachtet und dokumentiert», so der Meeresbiologe Trond Rafoss, der an dem Projekt massgeblich mitgewirkt hat, «aber mit ‹Under› ändern sich die Beobachtungsmöglichkeiten von Grund auf. Am Meeresboden physisch präsent zu sein, bietet eine neue Möglichkeit, Meereslebewesen zu beobachten.»
Zur Bauweise
«Under» hat als Basis eine Betonkonstruktion, die auf einem Schwimmdock vorgefertigt wurde. Die Fenster wurden vor dem Eintauchen eingebaut. Während des Eintauchens schwamm die Struktur selbstständig und wurde von einem separaten Kran und Schleppern vorsichtig an ihren endgültigen Standort gebracht. Nach dem Eintauchen wurden die Bauarbeiten beendet und das Gebäude mit einer Betonplatte verschraubt, die unter dem Meeresboden im Grundgestein verankert ist. Um eine sichere Verbindung mit den Schrauben an der Betonplatte zu gewährleisten, hat das Bauteam das Bauwerk mit Wasser gefüllt, damit es sank. Als sicher war, dass alle Schrauben fest angezogen waren, wurde das Wasser abgelassen, und der Innenausbau konnte beginnen. ●
Die Erfahrung einer andern Welt
«Under» ist eine Geschichte von Gegensätzen. Der Gegensatz zwischen Landschaft und Meer, oben und unten. Die Gegensätze zwischen der warmen Eiche und den Textilien der Innenräume und der rauen Betonfassade, die den stärksten Stürmen und Wellen standhält. Es ist eine Metapher für die Gegensätze des Lebens, das Rauhe und das Zarte, der Donner und die Stille.
«Under» erlaubt dem Besucher einen Blick in den Ozean und entziffert das Leben, das hier vor rund vier Milliarden Jahren entstand. Das Projekt unterstreicht das empfindliche ökologische Gleichgewicht zwischen Land und Meer und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf nachhaltige Modelle für einen verantwortungsvollen Konsum. Unter Berücksichtigung der Koexistenz des Lebens an Land und im Meer schlägt «Under» eine neue Methode vor, um unsere Beziehung zu unserer Umgebung zu verstehen – über der Oberfläche, unter dem Wasser und neben dem Leben im Meer.









