Intimer monomaterieller Kokon
Reale Bebauung durch Fiktion. So geschehen in Genf. Ein ehemaliger Garagenbau wird zum Wohnhaus mit traditionellen Wurzeln.
Intimität, Privatsphäre und Naturverbundenheit sind die Paradigmen, aus denen sich in Genf das Bauliche herausschälte. Ausgangspunkt war ein altes Garagengebäude, das Daniel Zamarbide von Bureau in ein Wohngebäude und einen PW-Stellplatz verwandelt hat. Man hob das obere Holzchalet vollständig an und stellte es neben den unteren Gebäudeabschnitt, um das Tragwerk punktuell zu verstärken. «Nach jener Konservierung wurde das übrige Haus abgerissen, um das Erdgeschoss aus Beton zu erneuern», erklärt der Architekt. Anschliessend wurden beide Gebäudeteile wieder zusammengeführt. Holzbalken bilden die Aussenwände und finden im Satteldach einen traditionellen Abschluss. Trotz materialistischer Unterschiede zum Erdgeschoss ergibt sich ein harmonisches äusseres Gesamtbild, um das Gebäude ebenso im sich jahreszeitlich verändernden Landschaftsbild zu verorten. Grosse Rundfenster im Erdgeschoss unterstützen den erfrischenden Kontrast aus modernem und klassischem Baustil.
Auf Intimität basierend
Bei der Gestaltung des 2019 fertiggestellten Hauses liess der Eigentümer den Architekten freie Hand. Im Planungsprozess nutzte man deshalb eine fiktive Person als neuen Bewohner – ein gängiges Prinzip beispielsweise in der Produktentwicklung, um Interessen und Vorlieben mithilfe einer «Persona» auszudrücken. Für das Wohnhaus in Genf schlüpfte ein Filmcharakter in diese Rolle: Mr. Barrett aus dem Film «The Servant» von Joseph Losey. Darin dient das Haus als Bühne für intime Beziehungen der Protagonisten und als dynamikerzeugendes Element. Es verdeutlicht das Potenzial von kleinen Räumen. Ein Umstand, den man auf das neue Wohnhaus übertrug. Daraus leitete sich neben jener auf Intimität basierenden anfänglichen Planungsidee zur Konzeptionierung des Hauses auch dessen offizieller Arbeitstitel ab: «Mr. Barrett’s House».
Neue räumliche Identität
Mit Entledigung der bestehenden inneren Strukturen schaffte man die Voraussetzungen für eine neue räumliche Identität. Privatsphäre und Intimität für die Bewohnenden standen bei der Planung besonders im Fokus. Der vergleichsweise abgeschiedene Standort am Genfer See wird diesen Anforderungen bereits weitgehend gerecht und unterstützt den planerischen Ansatz. Die Wohnfläche beträgt 70 Quadratmeter, verteilt auf zwei Stockwerke. Gewünscht ist auch die Gegensätzlichkeit zwischen der vorwiegend dunklen Gebäudehülle und den hellen Innenräumen. Wände, Decken und Einbaumöbel sind fast vollständig aus Birkenholz. Oberflächen im fliessenden Übergang und zum Teil geschossübergreifende Räume erzeugen ein freundliches Wohnambiente. «Aufdecken und Produzieren von räumlichen Erfahrungen gehören zu den wichtigsten Aspekten unserer Arbeit. Besonders bei kleinen Volumen wird das Erlebnis noch wichtiger. Es verbindet und schafft Beziehungen zwischen den verschiedenen Räumen des Hauses. Das alltägliche Wohnen wird zu einem abwechslungsreichen Ereignis, das mit der monomateriellen Haltung ebenfalls unterstrichen wird», sagt Zamarbide. Denn diese enthüllt, wie Licht in das Haus eindringt und sich in alle Richtungen durch den Innenraum bewegt.
Eine Leiter in einem der oberen Wohnräume als Referenz auf die Hopi-Indianer zeigt zudem die feinsinnige Detailverliebtheit bei der Innenraumgestaltung. Das Haus verfügt ausserdem über eine Wärmepumpenanlage und nutzt Solarkollektoren zur Warmwasseraufbereitung. Die Intentionen der Hausbewohnenden tragen für gewöhnlich und insbesondere bei Wohnhäusern zur Ausrichtung der Architektur bei, was, zynisch betrachtet, für den Umbau des Holzchalets hinderlich gewesen wäre. In Genf entpuppte sich jene neue Interpretation des Planungsprozesses hingegen als Bereicherung. ●
Bautafel
Objekt Mr. Barrett’s House
Standort Genf
Fertigstellung 2019
Wohnfläche 70 m2
Architektur Bureau
Tragwerksplanung Ingeni
Landschaftsarchitektur Bureau