«Mission possible» im inversen Pompidou
Umbau und Sanierung der Spitalpharmazie des Kantonsspitals Aarau bieten Raum für eine spannende Bedeutungssuche.

Ausloten der Bedeutungsdimensionen
So wie die Spitalpharmazie die Bedeutung des Begriffs Spital erweitert, geben sich auch die Architekten nicht mit der offensichtlichen Bedeutung der Dinge zufrieden. Die Suche nach tiefer liegenden, andersartigen Bedeutungen eines Objekts und des Ortes, an dem dieses steht, prägt ihre Arbeitsweise. Angesichts der grossen Relevanz der Spitalpharmazie stellte sich aus architektonischer Sicht die Frage: Was kann und soll dieses Gebäude an diesem Ort darstellen? Bleibt es ein schlichter, funktionaler Industriebau, der in jeder x-beliebigen Industriezone stehen könnte, oder wird das Industrielle neu interpretiert? Im Zuge einer intensiven Auseinandersetzung mit der Bedeutung von «Haus 17» für den Spitalbetrieb und seinem Standort im Gelände kamen die Architekten zu dem Schluss: Es ist mehr möglich, als man gemeinhin mit Industrie assoziiert.
Das Industrielle neu denken
Das Industrielle soll zwar nicht verlassen, aber anders und neu gedacht werden. Am Anfang der Arbeit von steigerconcept steht immer die Suche nach Schlüsselbegriffen, die das Rückgrat ihrer Lösungen bilden. In Aarau begann das Denken bei der Aussenperspektive: Blech – klassisches Fassadenmaterial in der Industrie – soll mehr als Blech sein. Das darauffolgende Entwickeln, Feilen, Verwerfen, Schleifen und Üben mit und an der Materialität resultierte in einer neuartigen Fassadengestaltung. «Unser Ziel ist die kontrollierte Irritation. Wir denken die klassische Blechfassade industrieller Bauten anders, indem wir Industrie mit Handwerk panaschieren», führt Philipp Lehmann, Mitglied der Geschäftsleitung, aus. Die Idee ist, das Blech als monolithischen Körper erscheinen zu lassen, als etwas «Gegossenes». Das gelingt durch die «Überwindung» der Fuge: Die eine Blechplatte wird unter einen Falz am Rand der anderen Platte geschoben. Eine Wahrnehmungsirritation erzeugen die Architekten, indem sie dem industriellen Blech eine unregelmässige, analoge Oberfläche verleihen. Ähnlich wie beim handwerklichen Besenstrichputz wird das Blech monochrom mit dem Grundfarbton gestrichen, der dann eingebrannt wird.
Der Stellenwert einer Fuge
Jens Bachmann, Projektleiter bei steigerconcept, wendet den Blick nach innen und leitet über zum zweiten architektonischen Schwerpunkt des Umbauprojekts: «Die Art der Fassadengestaltung und die Neuinterpretation der Fuge stehen inhaltlich in engem Zusammenhang mit dem neuen, in eine Fuge gestellten Haustechnikkörper der Spitalpharmazie». Die Fuge als Zwischenraum, ein Raum, der sich für neue Nutzungen öffnet. Die Haustechnikzentrale wurde neu konzipiert und in einem kleineren Kubus neben dem Hauptgebäude angesiedelt. Sie speist und steuert das weitläufige, labyrinthische Leitungssystem der Pharmazie. Mit «inverses Pompidou» liesse sich der maximal gefüllte Innenraum des Gebäudes beschreiben: Man stellt sich vor, das Pariser Centre Pompidou nach innen zu stülpen, und findet sich dann in der Aarauer Spitalpharmazie wieder. Sogar Tom Cruises Ethan Hunt aus «Mission impossible» wäre in diesem dichten Geflecht aus Leitungen, Rohren und Schächten hoffnungslos verloren.
Building Information Modeling als Trumpf
Der Umbau während des laufenden Betriebs der Spitalpharmazie stellte ein baulogistisch anspruchsvolles Unterfangen dar, handelte es sich doch um eine sehr sensitive Laborproduktion, die höchsten Qualitäts- und Hygieneanforderungen genügen muss. Neben der Haustechnik hat steigerconcept das Leitungskonzept erneuert – mit Blick auf die weiterlaufende Arzneimittelproduktion eine grosse Herausforderung. Die «Mission impossible» wurde jedoch möglich gemacht. Das Instrument, mit dem eine solch komplexe Konstruktion heute deutlich präziser und kostengenauer entworfen und geplant werden kann, ist BIM (Building Information Modeling). Viele Architekturbüros sind erst im Aufbau dieser Kompetenz begriffen. Das Büro steigerconcept ist in diesem Prozess vergleichsweise weit fortgeschritten und setzt BIM regelmässig und erfolgreich bei Grossprojekten ein.
Ebenfalls eingelöst wird das Versprechen, durch den Umbau des «Hauses 17» Platz zu gewinnen. Während der ersten Bauetappe wurde im zweiten Untergeschoss des Gebäudes, wo sich bis anhin die Logistik befand, ein Zwischengeschoss eingezogen. Das schafft Raum für die Verlagerung der Laborproduktion, während im Erdgeschoss neu Büroeinheiten vorgesehen sind. Diese werden sowohl der Spitalpharmazie als auch der Hotellerie und der Logistik des Kantonsspitals zur komfortablen Abwicklung der ganzen Administration dienen. Das markante Zentrum des Erdgeschosses wird aber ein neuer Rüstroboter bilden. Der Gigant von 15 Metern Länge und 3 Metern Höhe sortiert vollautomatisch die zu Hunderten bestellten Medikamente und macht sie transportfertig. Für die Bauherrschaft des Kantonsspitals Aarau wird mit dem Umbauprojekt ein bedeutender Schritt Realität, wie Projektleiterin Dimphie Slooters betont: «Durch den Umbau und die Sanierung des ‹Hauses 17› können die Leistungen der Spitalpharmazie künftig effizienter erbracht werden. Mit dem neuen Rüstroboter wird ein gewichtiger Schritt in die Ära der digitalisierten Prozesse gemacht, und diesem grossen Thema wird man künftig in der Spitalpharmazie mehr Rechnung tragen.»
Ein Spital ist ein Spital ist ein Spital … Anders als die ersten Assoziationen nahelegen. ●




