Wohnliche Atmosphäre mit viel Holz

Schneider Gmür Architekten haben in Winterthur exemplarischen Lebensraum für Menschen entwickelt, bei denen Orientierung und Aktivität nachlassen.

Haus Margrit
Äußerlich wirkt das neue Zentrum ruhig und solid.
Von Lukas Bonauer (Text) und Pit Brunner (Bilder)
Schneider Gmür Architekten haben in Winterthur exemplarischen Lebensraum für Menschen entwickelt, bei denen Orientierung und Aktivität nachlassen.

Eine der Herausforderungen im 21. Jahrhundert ist der demografische Wandel. Menschen werden immer älter. Reaktionen sind gefordert, auch in der Bauwelt. Auch das Thema «Wohnen im Alter» wird derzeit stark erforscht und bewirtschaftet – und deshalb weiterentwickelt. Das Bewusstsein in der Öffentlichkeit ist sehr gross. Es herrscht eine gewisse Dringlichkeit. Welche Wohn- und Pflegeumgebung brauchen Menschen mit Demenz? Mit welchen Mitteln kann für sie ein möglichst angenehmes, sicheres und stimulierendes Umfeld geschaffen werden?Das Architekturbüro Schneider Gmür Architekten in Winterthur, dessen Kernkompetenz unter anderem Einrichtungen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen sind, hat bereits mehrere Wettbewerbe in dieser Planungsthematik gewonnen. So auch die Erweiterung einer Demenzabteilung, die zum Altersheim St. Urban gehört.

Herausgekommen ist das Haus Margrit des Zentrums Freitag, das aussen wie innen auf die Bedürfnisse demenzkrankter Menschen ausgerichtet ist. Mit insgesamt 24 Plätzen ergänzt es das bereits bestehende Haus Annemarie – ein altes, vor einigen Jahren ebenso für Demenzpatienten umgebautes Bauernhaus.

Bauernhäuser sind typisch für Seen, ein Stadtquartier in Winterthur, das noch Strukturen des Pfarrdorfes aufweist, das es einst war. Im Laufe der Zeit veränderten sich diese Strukturen durch die hinzugekommenen Wohnungsbauten. Heute verschmelzen hier städtische und ländliche Themen.

Das Haus Margrit vermittelt an dieser Schnittstelle, bindet sich massvoll in die Körnigkeit des dörflichen Siedlungskörpers ein – und baut als unprätentiöses Gegenüber, mit seiner eigenständigen Kompaktheit und ruhigen Gestalt, einen Dialog zum altbäuerlichen Haus Annemarie auf.

Mit seinen warmen Farben wirkt der dreistöckige Neubau im Sommer fast mediterran. Er umfasst den Garten, der ebenso fester Bestandteil im Leben von Demenzkranken ist. Er ermöglicht draussen einen Rundlauf, und innen können sich die Bewohnerinnen und Bewohner an den jahreszeitlichen Blütenfolgen orientieren und sehen, ob gerade Frühling oder schon die wärmere Jahreszeit eingesetzt hat. Das Haus ist deshalb mit französischen Balkonen und Öffnungen entlang des Erschliessungskorridors mit Ausblicken in alle Himmelsrichtungen ausgestattet. Der sich verändernde Sonnenstand kann eingesehen werden, bei offenem Fenster ist das Plätschern des Brunnenwassers zu hören.

Menschen mit veränderter Optik und Wahrnehmung brauchen Schutz und Orientierung und deshalb eine bestimmte räumliche Ausgestaltung. Die Erfahrungen von Schneider Gmür, die sie auf diesem Architekturfeld gemacht haben, und der Input der Hausnutzer und der Experten, der Pflegespezialisten, der Psychiater, der Wissenschaftler und nicht zuletzt der Heimleitung schärften die Sinne für diese anspruchsvolle Aufgabe und mündeten in einer hohen Planungssensibilität.

Eine typische Architektur für Menschen mit Demenz gibt es nicht – «sollte es nicht geben», betont Daniel Gmür, der zusammen mit Marc Schneider das Büro leitet. Die räumliche Gestaltung und das dadurch hervorgerufene Behagen oder auch Unbehagen stehen immer auch in Zusammenhang mit der Biografie der Bewohnerinnen und Bewohner. Jede Generation hat ihre eigenen, typischen biografischen Bezüge. Den jeweils «richtigen» oder stimmigen räumlichen Rahmen zu finden, ist eine fortlaufende Aufgabe. Allgemeingültige Aussagen sind schwierig. Gleichwohl gibt es grundsätzliche Überlegungen und Aspekte, die bei der Innenraumgestaltung von Pflegewohngruppen beziehungsweise Betreuungseinheiten für Demenzkranke hilfreich sind und beachtet werden müssen. Individualität, Privatheit und Schutz, Orientierung, Übersichtlichkeit und Kleinräumigkeit für die Bewohnerinnen und Bewohner sind dabei wesentliche und den Entwurf beeinflussende Aspekte. Ausserdem sollen die nachlassenden Sinne berücksichtigt werden. Gute Lichtverhältnisse, Kontraste und haptische Qualitäten haben Schneider Gmür ebenso in die Raumplanung integriert.

Einrichtung und Innengestaltung verströmen eine wohnliche Atmosphäre. Viel Holz im Innern, möbliert mit aufgefrischten alten Sofas und modernen Sesseln, zwei gleichwertige Ess-/Aufenthaltsräume sowie eine Gastroküche im Parterre, das die öffentlichen und allgemein zugänglichen Räume organisiert.

Das Herzstück bildet der Foyerbereich mit der gut einsehbaren Treppe. Er kommt elegant, gediegen daher, ist weglaufsicher und wirkt mit der angenehmen Beleuchtung sehr wohnlich. Apropos Licht: Hinzugezogene Lichtgestalter entwickelten für die Wohn- und Mehrzweckräume ein Konzept, das den Bewohnerinnen und Bewohnern ein stimmungsvolles Ambiente bietet. Zudem besteht die Möglichkeit, die Räume zum richtigen Zeitpunkt mit viel blendfreiem, gleichmässigem Licht zu bespielen. Dadurch kann der Lichtmangel, dem Menschen mit Demenz ausgesetzt sind, teilweise kompensiert werden.

In den beiden Obergeschossen – so konzipiert, dass sie um ein drittes Geschoss erweitert werden können – befinden sich die Bewohnerzimmer, ausschliesslich Einzelzimmer, die sich paarweise ein dazwischen geschaltetes Bad teilen. Diese bilden einen Kranz rund um den zentralen Kern mit Treppenhaus und integrierten Nebenräumen.

Auf eigentliche Begegnungszonen verzichtet der Grundriss. Das ganze Haus gestaltet sich offen für Angehörige – um Schutz zu bieten, jedoch mit eingeschränkter Zugänglichkeit. Rundläufe mit Aufenthaltsnischen, damit die Bewohnerinnen und Bewohner in Bewegung bleiben können, sind im Erdgeschoss wie auch in den beiden oberen Geschossen vorhanden. Gemeinsam genutzte, offen gestaltete Räume in Nischen ermöglichen familienähnliche Wohn- und Lebenssituationen.

Auch äusserlich erscheint das neue Zentrum ruhig und solid – und wiederum eher als Wohnhaus denn als Heim. Der Neubau lehnt sich mit den verwendeten Materialien (Kratzputz, Sockel in Ortbeton, sandgestrahlt, mit Kalkzuschlag) an den dörflichen Charakter des Umfeldes an. Damit nimmt er Rücksicht auf die Siedlungskörnigkeit und den ländlichen Kontext. Vertikale Fensterbänder, welche in die französischen Balkone integriert sind, gliedern die Fassade und geben Filigranität. Ebenso vermögen einspringende Gebäudeecken dem Gesamtvolumen die Masse zu nehmen. Vorspringende Vordächer akzentuieren den Eingang, beschatten die Gartenterrassen und bilden einen witterungsgeschützten Übergang zwischen Innen- und Aussenraum. Die geschlossene Gartenanlage umfasst das ganze Gebäude und erlaubt den Bewohnerinnen und Bewohnern jederzeit Zugang ins Freie.

Das Haus Margrit gibt eine Antwort darauf, wie heutzutage Menschen mit Demenz leben können, geschützt und zugleich in Berührung mit der Um- und Aussenwelt, der Natur und all ihrer Sinnlichkeit – in einem Raumgebilde ohne Schnickschnack, reduziert auf das Wesentliche, ausgestattet mit dem, was es für ein würdevolles Dasein und Agieren im hohen Alter braucht. ●

Bautafel

Bauherrschaft Stiftung Altersheim St. Urban

Architektur Schneider Gmür Architekten AG, Winterthur

Landschaftsarchitektur Pauli Stricker GmbH, St. Gallen

Bauingenieur Schnewlin + Küttel AG, Winterthur

Elektroplaner Kurt Bachmann AG, Winterthur

HLKS-Planer Planforum GmbH, Winterthur

Lichtplaner Mettler + Partner Licht AG, Zürich und St. Gallen

Bauphysik Zehnder & Kälin AG, Winterthur

 Erdgeschoss Margrit
Rundläufe mit Aufenthaltsnischen, damit die Bewohnerinnen und Bewohnerinnen in Bewegung bleiben können, sind im Erdgeschoss wie auch in den beiden oberen Geschossen vorhanden.
Vertikale Fensterbänder Margrit
Vertikale Fensterbänder, welche in die französischen Balkone integriert sind, gliedern die Fassade und geben Filigranität.
Räume Margrit
Gemeinsam genutzte, offen gestaltete Räume ermöglichen familienähnliche Wohn- und Lebenssituationen.
Lichtverhältnisse Margrit
Gute Lichtverhältnisse, Kontraste und haptische Qualitäten haben Schneider Gmür in die Raumplanung integriert.
Einrichtung Margrit
Einrichtung und Innengestaltung verströmen eine wohnliche Atmosphäre.
Margrit raume
Alle 24 Bewohnerzimmer sind Einzelzimmer, die sich paarweise ein dazwischen geschaltetes Bad teilen.
Margrit Wasserhähne
Ansicht Ost plan
Ansicht Ost
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Schnitt
Schnitt plan
Erdgeschoss
Obergeschoss plan
1. Obergeschoss
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