Schweizer Klassiker neu aufgelegt

Der Schweizer Architekt und Designer Hans Bellmann prägte die industrielle Gestaltung der Nachkriegszeit. Nun sind ausgewählte Designs aus seiner Feder wieder erhältlich.

Hans Bellmann stuhl
Die zweigeteilte Sitzschale des «ga stuhls» verleiht dem Entwurf eine dritte Dimension. In den 50er- und 60er-Jahren führte Horgenglarus eine breite Palette an Varianten des «ga stuhls» im Sortiment, nun wurde der Klassiker neu aufgelegt.
Ikonische Möbelstücke
Der Schweizer Architekt und Designer Hans Bellmann prägte die industrielle Gestaltung der Nachkriegszeit. Nun sind ausgewählte Designs aus seiner Feder wieder erhältlich.
ale. Denkt man heute an Schweizer Designer der 50er- und 60er-Jahre, ist Hans Bellmann sicherlich nicht der Erste, der einem in den Sinn kommt. Dennoch war der Architekt und Gestalter unbestritten einer der Wegbereiter der klassischen Moderne.1911 geboren, hatte Hans Bellmann Mitte 30 bereits zwei Weltkriege erlebt: Eine extreme Zeit, die ihn und sein Leben prägte. Der Sohn deutscher Eltern wuchs im Kanton Aargau auf. Nach einer Bauzeichnerlehre zog Bellmann nach Dessau, um am Staatlichen Bauhaus zu studieren, wo er Wassily Kandinsky, Lilly Reich, Alfred Arndt, Hinnerk Scheper und Ludwig Mies van der Rohe begegnete – Bekanntschaften, die sein Schaffen nachhaltig beeinflussten. Nach dem Studium arbeitete Bellmann als Architekt im Atelier von Mies van der Rohe in Berlin, kehrte aber bereits 1934 aufgrund der politischen Verhältnisse zurück in die Schweiz. Aus Protest gegen das nationalsozialistische Regime gab er 1936 seinen deutschen Pass ab und wurde zwei Wochen vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz eingebürgert. Hans Bellmann arbeitete bei einigen renommierten Architekten seiner Zeit, darunter Leopold Boedecker, Rino Tami, Hans Brechbühler und Alfred Roth. In seinem eigenen Atelier entwarf er seit 1946 Möbel und Produkte für viele namhafte Unternehmen, darunter das Spannstützengestell, den Kolonialtisch oder den «einpunktstuhl». Bellmanns Entwürfe zeichnen sich durch absolute Ökonomie der eingesetzten Mittel und klare, schnörkellose Formen aus. Geprägt von den Umständen seiner Zeit zeigte er grosse Neugier und Interesse am Ausprobieren neuer Materialien, Technologien und Fertigungstechniken.

Gestalterischer Meilenstein

Ein Paradebeispiel für die Innovationskraft Bellmanns ist der «einpunktstuhl», den der Gestalter 1951 für Horgenglarus entwarf. Heute sehr vertraut, war der «einpunktstuhl» Anfang der 50er-Jahre ein mutiger Gegenentwurf zum weit verbreiteten Heimatstil. Seinen Namen erhielt der Stuhl von der einzigartigen Befestigung mit nur einer Schraube. Kennzeichnend ist auch der flexible Rücken der Sperrholzschale, die dank einer mittigen Öffnung angenehm federt. Zudem kommuniziert der Einschnitt die Leichtigkeit und Ergonomie des Stuhls. Der «einpunktstuhl» ist ein Meilenstein in der Schweizer Design-Geschichte und Höhepunkt im Werk Bellmanns und seit seiner Entstehung 1951 ein fester Bestandteil des Sortiments von Horgenglarus. Nun bekommt er Gesellschaft, denn die älteste Tisch- und Stuhlmanufaktur der Schweiz bringt drei weitere Entwürfe Hans Bellmanns zurück.

Rückkehr der Klassiker

Nicht minder praktisch und schnörkellos als der «einpunktstuhl» ist der «ga stuhl», den Bellmann 1955 entwarf. Um der Sitzschale aus Formsperrholz eine dritte Dimension zu verleihen, teilte er die Sitzschale in der Sitzrichtung und setzte die beiden Teile in einem leichten Winkel wieder zusammen. Daher wurde der «ga stuhl» oft auch Zweischalenstuhl genannt. Bis 1970 in Produktion, feiert der «ga stuhl» nun seine Rückkehr: Am Designer’s Saturday 2016 stellte Horgenglarus eine Neuauflage des Stuhls vor. Ausserdem fanden auch zwei Tische von Hans Bellmann ihren Weg zurück in die Produktion: der «ateliertisch» von 1953 und das «stapeltischchen» von 1954. Der «ateliertisch» war mit seiner filigranen Form der Zeit voraus und erfreute sich in den 50er- und 60er-Jahren keiner grossen Beliebtheit. Erstaunlich, denn der leichte, robuste und einfach zerlegbare Tisch ist ein äusserst praktischer Begleiter. Auch Hans Bellmann teilte diese Meinung, denn er arbeitete selbst an dem von ihm entworfenen Tisch. Auch das grazile «stapeltischchen» benutzte Bellmann selbst: Er stellte darauf seine Mal-Utensilien ab. So konnte er den beladenen Tisch schnell an einen anderen Ort stellen und flexibel arbeiten. Auf dem Dachboden der Glarner Manufaktur fanden sich noch die historischen Formteile des «stapeltischchens», sodass das stapelbare Möbel originalgetreu nachgebaut werden konnte. Die Masse des «ateliertisches» richten sich nach Le Corbusiers Proportionensystem Modulor, das sich nach den Körpermassen des Menschen richtet und zusammen mit dem Porträt auf der Schweizer 10-Franken-Note aufgedruckt ist.

Mit seinem Wirken in der Schweizer Industrie und Architektur und nicht zuletzt durch seine Lehrtätigkeiten an verschiedenen Hochschulen in der Schweiz, den USA und Deutschland hat Hans Bellmann die Schweizer Wohnkultur und die industrielle Gestaltung der Nachkriegszeit massgeblich beeinflusst. Der Schweiz. Werkbund SWB honorierte diese Leistung mit einem Dutzend Auszeichnungen «Die Gute Form». Nun können Bellmanns ikonische Entwürfe erneut die Schweizer Wohn- und Arbeitsräume erobern.

horgenglarus.ch

Protagonist der Schweizer Wohnkultur

Hans Bellmann

Hans Bellmann (191 – 1990) ist eine zentrale Figur der Schweizer Design-Geschichte. Er prägte und beeinflusste die Wohnkultur in den 50er- und 60er-Jahren. Sein eigenständiges, konsequentes Werk formuliert sinnbildlich die Wünsche an die Lebensentwürfe seiner Zeit. Die Monografie stellt seine Arbeiten detailliert vor.

Herausgeber Joan Billing und Samuel Eberli

Buchtitel Hans Bellmann – Protagonist der Schweizer Wohnkultur

Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2015

ISBN 978-3-85881-485-2

Preis CHF 49.00

Hans Bellmann stuhl
Wie der Name bereits verrät, lässt sich das «stapeltischchen» übereinanderstapeln. Hans Bellmann verwendete den funktionalen und leichten Tisch in seinem Atelier, da man ihn bequem an einen anderen Ort verschieben kann.
Hans Bellmann stuhl
Ohne Unterbruch: Der «einpunktstuhl» ist seit seiner Einführung ein fester Bestandteil des Sortiments von Horgenglarus. Die ergonomische Sitzschale wird mit nur einer Schraube am Gestell befestigt.
Hans Bellmann stuhl
Hans Bellmann stuhl
Der «ateliertisch» richtet sich in seinen Massen nach Le Corbusiers Modulor: Den Tisch gibt es in den Längen 183 cm, 226 cm und 296 cm und den Breiten 86 cm und 113 cm (Letztere nur für die Version mit 226 cm Länge). Die Tischplatte ist mit insgesamt acht Schrauben am Gestell befestigt und lässt sich unkompliziert lösen und wieder anbringen.
Hans Bellmann
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