Sozialer Wohnungsbau neu gedacht
Mit dem Projekt Viale Giulini Affordable Housing gestaltet das Studio Alvisi Kirimoto den Aussenbezirk von Barletta (Apulien) neu, und zwar durch eine Intervention im sozialen Wohnungsbau.

Fotos: Marco Cappelletti
Für das Projekt Viale Giulini Affordable Housing in Barletta schuf Alvisi Kirimoto eine «kompakte und bodenständige Architektur», wie die Architekten es beschreiben. Das Projekt im Südwesten der Stadt und im neuen Stadtteil Zona 167 zielt darauf ab, die urbane Makroskala mit der häuslichen Dimension zu verschmelzen – innerhalb eines grösseren Systems von Projekten zur Revitalisierung des Viertels und einschliesslich des Parco dell’Umanità (Design der Fussgängerpromenade von ABDR). Mit seinem nüchternen und strengen Profil bezieht sich das Gebäude in skulpturaler Weise auf die Stadt und steht damit in krassem Gegensatz zu dem vielfältigen, ohrenbetäubenden Kontext, in den es eingebettet ist, dem es an Grünflächen mangelt und der von ostentativen dekorativen Lösungen und starren Wohn- und Stadttypologien geprägt ist.
Dynamische Rhythmen
Der Komplex mit 50 Einheiten inklusive der Tiefgaragen und des Erdgeschosses für kommerzielle Zwecke wirkt wie ein C-förmiger Monolith. Er erstreckt sich über 6 Stockwerke und fasst eine Gesamtfläche von über 5000 Quadratmetern. Die Regelmässigkeit der Fassaden stellt den Hauptcharakter des Gebäudes dar: Der einheitliche dunkelgraue Ziegelvorhang wird zu einer Art neutraler Partitur, in der dynamische Rhythmen durch vorspringende, nischenartige Weissblechelemente erzeugt werden.
Das Projekt, das als «Nullpunkt» einer Gesamtsanierung dieses Stadtteils konzipiert ist, bricht mit den typischen Formen des sozialen Wohnungsbaus. «Wir waren daran interessiert, an der Typologie und der Qualität der Räume zu arbeiten, nicht nur am Design. Um die Schwerkraft des Volumens auszugleichen, dessen Profil im Erdgeschoss gebogen ist, und um den öffentlichen Raum zu erweitern, haben wir uns eine Reihe von leichten und durchlässigen Loggien vorgestellt, die an der Fassade hängen und ‹demokratisch› jedem zusätzlichen Raum zugewiesen sind», erklärt Massimo Alvisi, Mitbegründer des Studios. Die Loggien ragen nach aussen, als eine natürliche Erweiterung der Wohnungen. Darüber hinaus reflektieren sie dank ihrer weissen und perforierten Oberflächen das natürliche Licht in der häuslichen Umgebung und fügen den Wohnungen weitere 10 bis 15 Quadratmeter hinzu, was die räumliche Qualität der eher bescheidenen und begrenzten typologischen Schnitte erhöht.
Die Balkone überblicken die Viale Giulini, um das natürliche Licht zu optimieren. In den anderen Erhebungen sind sie in das Volumen eingeschnitten, um das Phänomen der Strahlung zu begrenzen. Sie sind zudem oben vor Regen und seitlich durch perforierte Blechschirme geschützt, um die Privatsphäre zu erhöhen. An den Seiten sind die technologischen Infrastrukturen und Trockengestelle zu finden. Ihre Form ermöglicht eine maximale interne Anpassung, ohne die allgemeine Ästhetik der Fassaden zu verändern.
Detailreichtum und Nachhaltigkeit
Auch aus technologischer Sicht zeigt sich das Projekt sehr innovativ. «Die gewählten Lösungen sorgen dafür, dass die inneren und äusseren Loggien vorgefertigt und in Serie leicht reproduzierbar sind, ohne auf Detailreichtum und Langlebigkeit zu verzichten. Diese Strategie, die wir mit dem Bauunternehmer geteilt haben, hat es ermöglicht, einen qualitativ hochwertigen sozialen Wohnungsbau zu realisieren und ein einzigartiges, sicheres und langlebiges Haus zu liefern, und das mit einem für den aktuellen Markt extrem begrenzten Budget», erklärt Massimo Alvisi.
Tagsüber reduziert das natürliche Licht das scheinbare Gewicht des Gebäudes. Die Volumina der Loggien und Balkone wirken leicht und verbinden Material sowie Abstraktes, Leichtigkeit und Schwerkraft mit maximaler Einfachheit. Auch das Erdgeschoss des Gebäudes vermittelt Solidität und Dynamik zugleich: Die Verkleidung beginnt direkt am Boden und verwurzelt das Gebäude, während der Glasboden zur Strasse hin und zu den anderen Seiten mit einem klaren vertikalen Schrägschnitt endet, der das Volumen verstärkt. Die gleiche Neigung wird horizontal in der Verbindung zwischen den seitlichen Erhebungen und der Hauptfront sowie in der Brüstung auf dem Dach angewandt, welche die thermischen Solarpaneele verbirgt.
Kontrast zur Exzentrik
Funktional ist das Gebäude in drei Blöcke unterteilt, die jeweils über ein eigenes Treppenhaus und einen Aufzug verfügen. Das zentrale Treppenhaus ist zum Hof hin komplett verglast, während die seitlichen Treppenhäuser durch ein Oberlicht natürlich beleuchtet werden, wodurch Licht über einen grosszügigen Leerraum zwischen den Rampen und dem Aufzugsabteil in alle Ebenen fällt.
Alle Wohnungen sind um einen Innenhof herum organisiert, der über 70 Prozent des Grundstücks einnimmt. Der Innenhof ist wie ein kleiner Park gestaltet, in dem die Bewohner das Chaos der Stadt hinter sich lassen und Bäume sowie Laubpflanzen geniessen können, die im Sommer Schatten spenden und im Winter natürliches Licht durchlassen.
Strenge Linien, essenzielle Formen und ausgewogene Farben: Das Ergebnis ist ein einfaches und raffiniertes Design, das dem sozialen Wohnungsbau in den Vorstädten seine Würde zurückgibt und im Kontrast zur Exzentrik der umliegenden Gebäude steht. Ein Projekt, das mit der gleichen Anmut dessen Erscheinung, das Thema des qualitativ hochwertigen Wohnraums zu erschwinglichen Preisen wieder in den Mittelpunkt der architektonischen Debatte rückt. ●




