Gebautes Engagement für Myanmar

A + R Architekten haben im von politischen Krisen und von Naturkatastrophen gebeutelten Myanmar ein über Spenden finanziertes Krankenhaus errichtet.

Gebautes Engagement für Myanmar
Dank der erhöhten Lage dient das Gebäude auch als sicherer Rückzugsort bei tropischen Stürmen und Tsunamis.
Von Rainer Häupl (Text) und Oliver Gerhartz (Bilder)
A + R Architekten haben im von politischen Krisen und von Naturkatastrophen gebeutelten Myanmar ein über Spenden finanziertes Krankenhaus errichtet.

Myanmar, früher auch als Burma bekannt, ist mit rund 53 Millionen Einwohnenden das zweitgrösste Land Südostasiens. Nach langen Jahren der Militärdiktatur ist es nach wie vor eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Noch immer befindet sich das Land in sehr unruhigen politischen Fahrwassern und wird oft von Naturkatastrophen wie Zyklonen, Fluten oder Erdbeben heimgesucht, in Myanmar lebt mehr als ein Viertel der Bevölkerung in Armut. Hinzu kommt derzeit die Coronapandemie. Die medizinische Versorgung ist nicht flächendeckend gegeben, der Standard ist niedrig. Myanmar hat beispielsweise eine sehr hohe Mütter- und Säuglingssterblichkeit.

Architekturprojekte im Auftrag der NGO

Die Nichtregierungsorganisation Projekt Burma e. V. hat zum Ziel, die Lebenssituation der von Armut betroffenen Menschen in Myanmar zu verbessern. «Hilfe zur Selbsthilfe» ist dabei das Motto des Vereins, den Marion Mück 2009 in Filderstadt bei Stuttgart gegründet hat. Unterschiedliche Massnahmen im Bereich Bildung, Gesundheit, Wasser und Hygiene sowie Katastrophenschutz hat Projekt Burma e. V. bereits vor Ort zusammen mit lokalen Partnern realisiert. Eines davon ist die 2014 eröffnete High School in Thazin. Die Schule ist das erste Gebäude, das A + R Architekten im Auftrag der NGO entworfen haben und vor Ort mitrealisieren durften.

Es fehlt an Zugang zur Gesundheitsversorgung

Bei der Eröffnung der High School in Thazin traten der Bürgermeister und zwei Gemeindemitglieder des Dorfs Magyizin auf den Verein zu. Sie waren sechs Stunden mit dem Fischkutter unterwegs gewesen, um persönlich um Hilfe zu bitten, und schilderten eindringlich ihre Notlage mit der medizinischen Versorgung. Ihre bestehende Gesundheitsstation sei marode und vollkommen unzureichend ausgestattet. Das nächste Krankenhaus sei mit dem Moped über drei Stunden entfernt, was für Schwerkranke oder Hochschwangere unzumutbar sei. Nach der Besichtigung vor Ort entschied der Vorstand des Vereins, dass der Krankenhausbau das nächste gemeinsame Projekt werden soll.

Umfangreiches Raumprogramm

Nach fast fünf intensiven Jahren der Planung, der Spendenakquise, der Materialbeschaffung und des Baus konnte das Krankenhaus im Februar 2020 feierlich eröffnet werden. Mit 20 Betten, einem voll ausgestatteten OP-Bereich, einem Kreisssaal und einem Labor dient es nun rund 20 Gemeinden und 20 000 Menschen als zentrales Krankenhaus. Ein Grossteil des Klinikequipments kam auf Initiative von Projekt Burma e. V. per Container aus Deutschland und wurde von hiesigen Einrichtungen und Ärzten gespendet.

Als Standort für den Neubau wurde eine Anhöhe an der vom Meer abgewandten Seite des Dorfs gewählt. Dank der erhöhten Lage dient das Gebäude auch als sicherer Rückzugsort bei tropischen Stürmen und Tsunamis. Die Architekten entwickelten für den Hauptbau ein eingeschossiges Atriumhaus. Der geschützte Innenhof ist das Herz des Gebäudes, er ist Aufenthalts- und Gemeinschaftsraum zugleich. Um ihn gruppieren sich die Patientenzimmer, die Behandlungs- und Personalräume und die Medikamentenausgabe. Der Wartebereich liegt im Freien, wodurch Krankheitsübertragungen möglichst minimiert werden sollen. Über einen Laubengang ist der lineare Nebentrakt mit seinem markanten Pultdach zu erreichen. In ihm befinden sich eine Isolierstation mit weiteren Krankenzimmern für ansteckende Patienten, Küchen – für die in Myanmar übliche Selbstversorgung der Patienten – sowie Lager-, Waschräume und Sanitärbereiche.

Von der lokalen Bauweise inspiriert

Bei ihren Reisen durch das Land haben die Architekten die traditionelle Bauweise studiert. Sie setzten, wie schon bei der High School in Thazin, für das Krankenhaus ein Gebäude mit der landestypischen «brick nogging structure» um, bei der eine Skelettbauweise mit Ziegeln ausgefacht wird. Beim Krankenhaus wurde das Tragskelett aus Stahlbeton errichtet, um eine grössere Stabilität zu erreichen und vor Insektenbefall zu schützen. Architektonisch markant sind der bewegliche Sonnen- und Regenschutz aus Holzlamellen und die Dachkonstruktion des Atriumhauses mit umlaufender Giebelkrone. Beide in Kombination dienen auch der konstanten Durchlüftung – eines der grossen Themen beim Bauen im tropischen Klima. Die Deckenstruktur aus Holzfachwerkträgern wurde unterseitig zum Grossteil mit geflochtenen Bambusmatten verkleidet. So zirkuliert der Luftstrom durch die offenen Fenster hinter den Schatten spendenden Klappläden über das Bambusgitter nach oben und über Lüftungslamellen im First der Giebelkrone wieder nach draussen. «Überall im Gebäude herrscht angenehmer Durchzug», erklärt Julia Raff, die Projektarchitektin, das einfache, aber wirkungsvolle Grundprinzip der Querlüftung. Da es in der Region keine Baufirmen gibt, wurde das Gebäude weitgehend von Dorfbewohnenden unter Anleitung eines Zimmermanns errichtet.

Der Standort entwickelt sich

Die Dorfbevölkerung hat sich aktiv am Bau des Krankenhauses, das offiziell Project Burma Hospital heisst, beteiligt. Sie sammelte zum Beispiel am Strand die Steine, mit denen das zentrale Becken im Innenhof ausgelegt ist. Bei starkem Regen kann über die Fläche das Wasser kontrolliert abfliessen. Ein noch junger Baum in der Mitte des Beckens wird in einigen Jahren zusätzlichen Schatten spenden. Im Zuge des Krankenhausneubaus finanzierte die Regierung von Myanmar zudem ein Haus für Ärzte und Pflegekräfte. So entwickelt sich das Dorf Magyizin zu einem Gesundheitszentrum für die gesamte Region. Mit der Coronapandemie wird das Krankenhaus auch als offizielles Quarantänezentrum genutzt. Seit Ausbruch der jüngsten politischen Unruhen in Myanmar werden viele bei den Protesten verletzte, meist junge Menschen im Burma Hospital versorgt. «Wir wünschen uns sehr, dass das Krankenhaus in Magyizin ein erfolgreicher Baustein für die Gesundheitsversorgung in Myanmar wird und der Verein noch viele weitere sinnvolle Aktivitäten vor Ort starten kann», sagt die Architektin hoffnungsvoll. ●

Bautafel

Objekt Project Burma Hospital

Standort Magyizin, Myanmar

Fertigstellung 2020

Bauherrschaft, Bauleitung und Projektmanagement Projekt Burma e. V.

Architektur A + R Architekten GmbH

Baukosten rund 360 000 US-Dollar, finanziert über Spenden

Bebaute Fläche 767 m2

Nutzungsfläche 515 m2

Mit Auszeichnung

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen ist Gesundheit als Menschenrecht festgeschrieben. Konkret bedeutet das, dass allen Menschen Zugang zur Gesundheitsversorgung ermöglicht werden muss. Für unsere hoch entwickelten westlichen Industriegesellschaften ist das in der Regel Normalität. Arme Länder wie Myanmar sind davon aber oft noch weit entfernt. Mit einem Krankenhausneubau, der die traditionelle Bauweise in eine zeitgenössische Formensprache überführt, tragen A + R Architekten ein gutes Stück dazu bei, dass die Menschen in Magyizin, einem abgelegenen Dorf im Golf von Bengalen, einen schnelleren und besseren Zugang zur medizinischen Versorgung erhalten. Das Projekt, das derzeit auch Verletzte der jüngsten politischen Unruhen medizinisch versorgt, wurde mit dem AIT-Award 2020 ausgezeichnet.

Gebautes Engagement für Myanmar
Das Krankenhaus entstand mit der landestypischen «brick nogging structure», bei der eine Skelettbauweise mit Ziegeln ausgefacht wird.
Gebautes Engagement für Myanmar
Die Deckenstruktur aus Holzfachwerkträgern wurde unterseitig zum Grossteil mit geflochtenen Bambusmatten verkleidet, was zur Klimatisierung beiträgt.
Gebautes Engagement für Myanmar
Der geschützte Innenhof ist das Herz des Gebäudes, er ist Aufenthalts- und Gemeinschaftsraum zugleich.
Gebautes Engagement für Myanmar
Über einen Laubengang ist der lineare Nebentrakt mit seinem markanten Pultdach zu erreichen.
Gebautes Engagement für Myanmar
Da es in der Region keine Baufirmen gibt, wurde das Gebäude weitgehend von Dorfbewohnenden unter Anleitung eines Zimmermanns errichtet.
Gebautes Engagement für Myanmar
Lageplan
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Gebäudeschnitt
Gebautes Engagement für Myanmar
Grundriss
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