Pulsierende Siedlung

Die Huebergass in Bern entspricht in vielen Punkten den von der UNO formulierten Nachhaltigkeitszielen. Diese waren 2023 auch Thema des UIA-Kongresses in Kopenhagen. Dort wurde die Siedlung zusammen mit drei weiteren Schweizer Bauten präsentiert. Nachdem die über 100 Wohnungen 2021 bezogen wurden, lässt sich heute beurteilen, ob und wie sich die ambitionierten Ziele umsetzen liessen.

Die Siedlung im Stadtteil Holligen ist sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig. (Fotos: Susanne Goldschmid, Damian Poffet)

Wie in vielen Städten ist auch in Bern der Wohnraum knapp, vor allem wenn er bezahlbar sein soll. Daher entschied die Stadt, ein Gartenareal aus ihrem Eigentum für die Bebauung und einen Park freizugeben. Die Auflagen dafür lauteten: Die neue Siedlung im Stadtteil Holligen sollte sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig sein. Ausserdem war ein gemischtes Quartier gewünscht, das Raum für unterschiedlichste Lebensformen bietet und das nachbarschaftliche Zusammenleben fördert. Bevor es überhaupt zur Objektplanung und Raumgestaltung kam, wurden hierfür Konzepte erarbeitet. So wurde in einem Wettbewerbsverfahren das Planungsteam ausgewählt. Man entschied sich für das Konzept von GWJ Architektur, ORT AG für Landschaftsarchitektur und dem Sozialplaner Martin Beutler von Soziale Plastik, da es in einem umfassenden, komplexen partizipativen Prozess Städtebau, Freiraum und Architektur von Beginn an als zusammengehöriges Ganzes entwickelte. Das Planungsteam erarbeitete dieses gemeinsam mit der Genossenschaft «Wir sind Stadtgarten» in einem kollaborativen Prozess.

Die auffälligen, zur Gasse orientierten Vorbauten aus Holz sind Treppenaufgänge und Privatbalkone in einem.

Kommunikativ und nachbarschaftlich

Entstanden ist eine sechsteilige Wohnsiedlung, die sich zusammen mit dem Stadtteilpark städtebaulich, architektonisch und gesellschaftlich mit dem vorgefundenen Umfeld verknüpft und in dieses hineinwirkt. Drei durchlässige Bauzeilen im Norden verdichten den Stadtkörper und bilden einen Übergang zur bestehenden Bebauung. Die drei südlichen Zeilen hingegen gehen zum Park über. Der wichtigste Kunstgriff, der alles miteinander verbindet, ist eine altbekannte Typologie: die Gasse zwischen den Gebäuden. Sie ist das Zentrum und das Rückgrat des Gesamtkonzeptes. Sie ist die pulsierende, sämtliche gemeinschaftliche und private Räume erschliessende Mittelachse der Siedlung: Hier kreuzen sich die Wege, hier trifft man sich. Von hier aus sind die Wohnungen, die Gemeinschaftsräume wie das inzwischen vom Quartier betriebene Café, der Veranstaltungssaal, die Waschsalons und Ateliers gleichermassen zugänglich. Die auffälligen, zur Gasse orientierten Vorbauten aus Holz sind Treppenaufgänge und Privatbalkone in einem, sodass eine offene Kommunikation stattfinden kann, sobald man die eigene Wohnung verlässt. Denn das erklärte Ziel war es, das bestehende mit einem weiteren Stück Quartier fortzuschreiben, das Schwellenräume, Übergänge, Nachbarschaften zwischen innen und aussen, zwischen Quartier, Gärten und Umfeld zulässt.

Die Zimmer sind alle gleich gross.

Kompakt und suffizient

Mit der Auslagerung der elf Treppenhäuser wird auch der Energieverbrauch reduziert und die Baukörper sind ganz den nutzbaren Räumen vorbehalten. Alle 103 Wohnungen verfügen über zwei Ausrichtungen, was sich positiv auf die Raumklimatisierung, die Belichtung und die Behaglichkeit auswirkt. Die meisten davon sind 4,5- bis 5,5-Zimmer-Wohnungen, es gibt aber auch kleinere Einheiten sowie eine Clusterwohnung mit bis zu acht Zimmern. Die Zimmer sind alle gleich gross, sodass die Nutzung je nach Bedürfnis und Lebensmodell flexibel ist. Auch Gäste- und Jokerzimmer sowie gemeinschaftlich nutzbare Räume stehen zur Verfügung. Statt der heute üblichen 45 Quadratmeter pro Person wurden 25 Quadratmeter kalkuliert. Durch diesen effizienten Umgang mit dem Raum können die Wohnungen so günstig vermietet werden, dass sie sogar den ursprünglich vom Auslober vorgesehenen Mietzins pro Quadratmeter unterschreiten. Dazu tragen auch einfache, klar gegliederte Baukörper, ein geringes Bauvolumen im Verhältnis zur Nutzfläche und wenig Untergeschossvolumen ebenso bei wie eine einfache und klare Materialisierung und ein hoher Repetitionsfaktor von Bauteilen wie Fenstern oder Türen. Ein spezielles Carsharing-Angebot und ein Mobilitätsfonds sorgen dafür, dass die autofreie Huebergass entschleunigt bleibt und eine klimaschonende Mobilität unterstützt wird.

Die notwendige Wärme zum Beheizen der Gebäude und zur Aufbereitung des Warmwassers wird über das Fernwärmenetz der KVA Bern geliefert. Die Wärmeübergabe für die Raumbeheizung erfolgt grundsätzlich mit Fussbodenheizung und darüber hinaus mit möglichst geringer Vor- und Rücklauftemperatur.

Die Nutzung ist je nach Bedürfnis und Lebensmodell flexibel.

Biodiversität und soziale Diversität

Die Parkanlage ist öffentlich und Teil des Quartiers – ein Freiraum, der allen Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen Angebote macht. Daneben gibt es zudem Brachflächen, in denen sich die Vegetation unkontrolliert ausbreiten darf, grosszügige Retentionsflächen und wenige versiegelte Flächen. Baumbestand und Platanenallee rund um das ehemalige Gartenareal blieben stehen. Ihre endgültige Gestalt fanden die Aussenzonen erst in einem partizipativen Prozess. Zu Beginn moderierte ein Siedlungsgärtner die Initiativen aus der Anwohnerschaft. Was diese auf dem «Vorpark» erprobten, floss später in die definitive Parkgestaltung ein. So entstand ein partizipativ genutzter Park, aus dem Stadtteilpark wurde ein lernender Ort – bis heute setzt sich das gemeinsame Engagement in der pulsierenden Siedlung und darüber hinaus fort. ●

Gäste- und Jokerzimmer sowie gemeinschaftlich nutzbare Räume stehen ebenfalls zur Verfügung.
Die Aussenräume sind ebenfalls wichtiger Bestandteil der Siedlung.
Alle Wohnungen verfügen über zwei Ausrichtungen, was sich positiv auf die Raumklimatisierung, die Belichtung und die Behaglichkeit auswirkt.
Grundriss mit Lageplan
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