«Erwachsenes Haus mit kindlichen Zügen»

Vor rund vier Jahren hat das Architekturbüro Hb Architekten aus Düdingen FR den Architekturwettbewerb für eine neue Kita in Nottwil gewonnen. 2023 wurde das Null-Energie-Gebäude fertiggestellt und ergänzt seither das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ).

Der organische Baukörper ist der Form eines Steines nachempfunden. (Fotos: Fred Niederhauser oder Marcel Kaderli)

Ursula Schwaller, Architektin, Baubiologin und Energieberaterin bei Hb Architekten, gibt Einblick in das Projekt.

Die Paraplegiker-Stiftung fungiert als Bauherrin der neu gebauten Kindertagesstätte. Welche Ziele verfolgt die Stiftung?

Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) bezweckt die ganzheitliche Rehabilitation von Para- und Tetraplegikern. Sie ergreift und unterstützt alle Massnahmen, die nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik zur Erreichung dieses Zieles angezeigt sind. Sie stellt unter anderem finanzielle Mittel für den Betrieb des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ) bereit. Es ist der Stiftung ein grosses Anliegen, dass das SPZ ein attraktiver Arbeitgeber ist.

Welche Aufgabe übernimmt der Neubau?

Das neue Gebäude ergänzt das SPZ und übernimmt die Funktion einer Kindertagesstätte, die Mitarbeitenden des Zentrums, der Forschung und der Stiftung zur Verfügung steht. Es positioniert sich eigenständig und unweit vom SPZ entfernt. Es ist ein erwachsenes Haus mit kindlichen Zügen, welches die Entwicklung der Kinder fördert, aber auch Ruhe und Zuversicht ausstrahlt.

Wie entstand die Idee einer Kindertagesstätte für die bestehende Klinik?

Die Krippe für die Kinder der Mitarbeitenden auf dem Campus des SPZ gibt es seit 2003 und sie platzte aus allen Nähten. Das Bedürfnis nach einem Betreuungsangebot, das auf die wechselnden Arbeitszeiten des Klinikpersonals Rücksicht nimmt, ist gross. Die hauseigene Krippe macht das SPZ zum attraktiven Arbeitsgeber. Mit der steigenden Zahl der Mitarbeitenden nahm auch die Nachfrage nach den Krippenplätzen zu.

Welche Kriterien beeinflussten die Gebäudeform?

Das Nachbargrundstück wird vom dominanten Guido A. Zäch Institut (GZI) geprägt. Dieses vereint Büros, Labors und Werkstätten der Schweizer Paraplegikerforschung. Der Neubau ist ebenfalls ein selbstbewusster, aber komplett andersartiger Gegenentwurf dazu. Der organische Baukörper ist der Form eines Steines nachempfunden, wie man ihn für das Steinhüpfen verwendet. Damit nimmt er Bezug auf die runden Formen des nahe gelegenen SPZ und des Teiches.

Der Baukörper wirkt von aussen von moderater Grösse.

Welche Vorzüge ergeben sich daraus?

Die abgerundeten Formen lassen eine gute Besonnung der optisch attraktiveren Aussenräume im Nordosten der Parzelle zu. Der Bau wirkt mit seinen Rundungen nicht so dominant auf die davor liegenden Einfamilienhäuser. Er erlaubt zugleich gute Belichtungssituationen in allen Gruppen- und Aktionsbereichen. Es entstehen weder ausgesprochene Südräume noch ausschliesslich nach Norden ausgerichtete, kühlere Räume.

Wie verhält es sich mit der Erschliessung des Gebäudes und der Aussenraumgestaltung?

Anfahrts- und Verkehrswege sind so kurz wie möglich. Es wurde eine grüne, attraktive, hindernisfreie Umgebung geschaffen, die optisch mit den Grünflächen des SPZ verbunden ist. Zugänge und Erschliessung sind absolut schwellenfrei. Der Zugang erfolgt über eine neue kleine Brücke zum SPZ, der Eingang befindet sich im Nordwesten des Gebäudes. Nebst dem Eingangsbereich existiert im Kern des Gebäudes eine zusätzliche Begegnungszone mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten und damit ein Angebot für alle. Die organischen Formen im Gebäude haben wir auch auf die Umgebungsgestaltung übertragen. Dort schlängelt sich ein hindernisfreier Weg zu jedem Spielelement.

Das Gebäude beschränkt sich auf eine Ebene. Was führte dazu?

Der eingeschossige Bau minimiert die Verkehrszonen im Gebäude und erleichtert die Bewegungsfreiheit für Menschen mit einer Mobilitätsbehinderung. Die organische Form des Gebäudes schafft hingegen verschiedenartige Zimmer, die sich in interessante Roomscapes und charaktervolle Nischen unterteilen lassen. Die Tiefe der Räume unterstützt eine gleichmässige Raumtemperatur sowohl an äusserst warmen wie an sehr kalten Tagen. Grosse und kleinere Fenster, Sitzfenster sowie mehrere Lichtkuppeln bringen Tageslicht bis in das Zentrum des Gebäudes.

Was war für die Konzeptfindung ausschlaggebend?

Wir liessen uns von einem Reggio-pädagogischen Ansatz inspirieren. Bei diesem Konzept wird der Raum als «dritter Erzieher» bezeichnet. Gefragt war eine Ästhetik, die sich durch Transparenz, Klarheit, Originalität und Überraschungsmomente auszeichnet und so zum Entdecken anregt. Wichtiges Element sind zentrale Begegnungszonen. Dieses Konzept fördert das Miteinander, das Abschauen, Entdecken und voneinander Lernen. Die Räume sollen das Bewegen, Forschen, Ausprobieren, die Geborgenheit und das Ausruhen fördern. Das SPZ funktioniert seit Jahrzehnten erfolgreich mit einer ähnlichen Grundidee.

Der Neubau setzt sich aus einem vorfabrizierten Holzelementbau zusammen. Weshalb entschied man sich für diese Bauweise?

Holz ist ein ökologischer Baustoff, welcher das CO2 speichert. Ein Bau für Kinder sollte der Philosophie der Nachhaltigkeit unbedingt entsprechen. Ein Holzbau erhöht die Behaglichkeit des Innenraumes und schafft eine natürliche Umgebung. Die Holzelemente sind mit Zellulosefasern ausgefüllt, um eine diffusionsoffene, atmungsaktive Gebäudehülle ohne Dampfsperre zu erreichen. Zudem konnte die Bauzeit reduziert werden, weil die Elemente innert kürzester Zeit aufgerichtet waren. Während der Bauphase war der Bau kaum der Feuchtigkeit ausgesetzt.

Wie präsentiert sich die Fassade?

Diese wurde als vertikale druckimprägnierte braune Tannen-Fichte-Schalung ausgeführt. Sie ist zudem vorgegraut, damit der Farbton der Holzoberfläche auch ohne nachträgliche Pflege erhalten bleibt. Lamellenstoren und Sonnensegel dienen als Sonnenschutz. So können die Räume gezielt beschattet werden, ohne dass die Storen den ganzen Tag geschlossen sind und ohne dass Vordächer die Räume unnötig verdunkeln.

Auf welche speziellen Aspekte musste bei der Gestaltung der Einrichtung besonders Wert gelegt werden?

Auf den Massstab der Kinder, zum Beispiel bei den Brüstungshöhen der Fenster. Die Räume müssen sich den Bedürfnissen der Kinder anpassen. Spielsachen müssen zudem so zugänglich sein, dass die Kinder diese selbstständig nutzen können. Ausserdem muss der möglichst selbstständige Gang zur Toilette möglich sein. Darüber hinaus benötigt es genügend Freifläche zum Herumtollen.

Welchen Anspruch müssen die Materialien der Innenräume erfüllen?

Naturbelassene Holzplatten aus Fichte prägen die Oberflächen innen. Der Bodenbelag aus Linoleum erzeugt einen warmen und natürlichen Boden, der ebenso robust und strapazierfähig ist. Die Räume sollen eher ruhig und übersichtlich gestaltet sein, um dem Kind Halt und Geborgenheit zu vermitteln. Dieser Ansatz wird durch die eingesetzten natürlichen Materialien wie den mineralischen Wandverputz unterstützt. Dieser ist etwas rauer als der Boden, wenn die Kinder mit der Handfläche drüberfahren.

Naturbelassene Holzplatten aus Fichte prägen die Oberflächen innen. Der Bodenbelag aus Linoleum erzeugt einen warmen und natürlichen Boden.

Wie wirkt sich das auf die Farbgestaltung aus?

Die vorherrschende Farbe der Hölzer wird mit einigen den Räumen und Garderoben zugeordneten Farben ergänzt, welche in der Natur vorkommen und die Kinder nicht überreizen. Im südlichen Teil wurden eher kühlere Farbtöne verwendet, im Osten und Norden eher wärmere. Die Türblätter der vier Gruppenräume sowie die Garderobenschränke im Eingangsbereich sind in den entsprechenden Gruppenfarben gehalten. So wissen die Kinder sofort, wo ihr Gruppenraum ist. Die an die Türen anschliessenden Wandelemente bestehen aus durchsichtigem Glas und innenliegenden Vorhängen. Es wurden nur einzelne Wände in den Räumen farbig gestrichen.

Die Türblätter der vier Gruppenräume sowie die Garderobenschränke im Eingangsbereich sind in den entsprechenden Gruppenfarben gehalten.

Welche gebäudetechnischen Massnahmen zur Energie- effizienz des Gebäudes wurden vorgenommen?

Auf dem begrünten Dach befindet sich eine Photovoltaikanlage mit 50 kWp , welche elektrische Energie produziert. Zusammen mit einer Wärmepumpe mit Erdsonde und einer kontrollierten Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung wird die gesamte Energie abgedeckt, welche für Heizung, Warmwasser und Strombedarf benötigt wird. Damit deckt das Gebäude seinen Energiebedarf selbst, was die Betriebskosten minimiert.

Gibt es diesbezüglich ergänzende Massnahmen?

Das Regenwasser wird durch die extensive Dachbegrünung natürlich gefiltert und in den Bach entwässert. Die Gebäudehülle wurde sehr gut wärmegedämmt, damit die Wärmeverluste im Winter minimiert werden und sich das Gebäude im Sommer nicht überhitzt. Für den Betrieb werden nur erneuerbare Energien eingesetzt. Rein rechnerisch ist die neue Kita ein Null-Energie-Haus. Auf eine Zertifizierung nach Minergie-A wurde jedoch verzichtet.

Wie wird die Einrichtung bisher angenommen?

Das Gebäude fügt sich mit seiner organischen Form sehr gut auf dem Campusgelände ein. Der Baukörper zeugt für das Auge eher von moderater Grösse. Wenn man die Kita jedoch betritt, ist man von deren Grosszügigkeit überrascht. An Weihnachten stand auf der zentralen Piazza ein grosser Weihnachtsbaum. Die Kinder lieben es, den Gang als zusätzlichen Spielraum zu nutzen. Er ist einfach ein Ort der Begegnung. Auch die Sitzfenster werden von den Kindern oft als Ruheort genutzt, wo sie sich zurückziehen und ein Büechli anschauen können. ●

Das Gebäude fügt sich mit seiner organischen Form sehr gut auf dem Campusgelände ein.
Die Fassade wurde als vertikale druckimprägnierte braune Tannen-Fichte-Schalung ausgeführt.
Die Gebäudehülle wurde sehr gut wärmegedämmt, damit die Wärmeverluste im Winter minimiert werden und sich das Gebäude im Sommer nicht überhitzt.
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