Neuprogrammierung eines Berliner Kaufhauses

Das Projekt «Kalle Neukölln» revitalisiert das historische Quelle-Kaufhaus in der Berliner Karl-Marx-Strasse. Der Grossbau mit angeschlossener Hochgarage aus dem Jahr 1970 ist aufgrund seiner Lage an der zentralen Einkaufs- und Verkehrsader Neuköllns eine der Schlüsselimmobilien des Bezirks.

Die Fassadengestaltung gliedert den grossen Baukomplex in zwei gleichwertige, jedoch kontrastierende Teile. Fotos: Stefan Müller, Markus Löffelhardt

Die radikale Neuprogrammierung der Immobilie durch den Berliner Entwickler MREI und das Re-Design der Fassaden durch Max Dudler transformiert den ehemaligen Kaufhausstandort in einen Kiez-Kreativkosmos. Die bestehende Rohbaustruktur wurde nach dem Prinzip «Umdenken statt Abreissen» in eine zeitgemässe Landschaft für Arbeit, Genuss und Begegnung überführt. Das Projekt ist ein prototypisches Beispiel dafür, wie «graue Energie» in der Gebäudesubstanz erhalten bleiben kann, es ist gleichzeitig eine zukunftsorientierte Antwort auf den Strukturwandel im Einzelhandel.

Die Transformation der zentralen Kaufhausimmobilie zum «Kalle Neukölln» sendet ein starkes Signal für die Neuerfindung der Karl-Marx-Strasse als lebendige Magistrale im Herzen Neuköllns.

Starkes Signal

Auf 40000 Quadratmeter Gesamtfläche entsteht eine Umgebung voller Vielfalt, die Kollaboration, Kultur und Genuss auf allen Ebenen in Verbindung setzt. Es entstehen 4000 Quadratmeter Dachgarten, 26000 Quadratmeter Büro, 4000 Quadratmeter Retailfläche und als Herzstück eine 6000 Quadratmeter grosse Halle für Gastronomie, Events und einem Indoor-Foodmarket. Die Transformation der zentralen Kaufhausimmobilie zum «Kalle Neukölln» sendet ein starkes Signal für die Neuerfindung der Karl-Marx-Strasse als lebendige Magistrale im Herzen Neuköllns. Von diesem neuen Konzept profitieren nicht nur die Mietenden, sondern auch Besuchende, Nachbarschaft und letztlich der gesamte Bezirk. Die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten und das urbane Treiben, innen wie aussen – vom Untergeschoss bis auf das Dach – sollen sich gegenseitig inspirieren und stärken. So macht das Projekt Hoffnung, dass Stadtplanende auch den Wert anderer vermeintlich toter Orte erkennen und sich für eine erfolgreiche Neuinterpretation entscheiden.

Die Fassadengestaltung gliedert den grossen Baukomplex in zwei gleichwertige, jedoch kontrastierende Teile. Der südliche Baukörper zur Karl-Marx-Strasse erhält eine helle, steinerne Loggia aus Kunststein während der nördliche Baukörper zur Ganghofer Strasse, das ehemalige Parkhaus, mit einer bronzefarbene Metallfassade versehen wird. An der Stelle der einstigen, gewendelten Parkhausrampe zwischen beiden Gebäudeteilen entsteht der «Wintergarten», ein Eventbereich als verbindendes Element.

Die Neugestaltung strebt an, die Baumassen stärker im Kontext der umgebenden Baudenkmäler im Stadtbild zu verankern und zugleich die inhaltliche Transformation des Gebäudes attraktiv nach aussen sichtbar zu machen. Der Baukörper basiert auf dem Baubestand und wurde nur an kritischen Stellen ergänzt oder zurückgeschnitten, um einen sinnvollen Anschluss an die urbane Struktur zu schaffen.

Die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten und das urbane Treiben, innen wie aussen – vom Untergeschoss bis auf das Dach – sollen sich gegenseitig inspirieren und stärken.

Utopischer Geist

Das alte Quelle-Kaufhaus wurde im Jahr 1970 von der Architektengemeinschaft Hendel-Haseloff-Hotzel als brutalistische Megastruktur konzipiert. Der utopische Geist, den diese radikal moderne, etwas antistädtische Architektur beseelt hatte, ist im Zuge der Umgestaltung des Komplexes zu einer SinnLeffers-Filiale in den 1990er Jahren restlos verloren gegangen. Besonders das Parkhaus wirkte zuletzt fast grotesk. Die alte Betonkonstruktion war im Geist der Zeit mit enormen Spannweiten bis 24 Meter konzipiert worden und weist monumental anmutende Betonunterzüge und Stützen auf. Diese Konstruktion wird weiter genutzt und bleibt sichtbar, um ihr ästhetisches Potential zu erschliessen. Ihre Wiederverwendung hat sogar eine weit bessere CO₂-Bilanz als ein Neubau aus Holz und setzt damit ein Zeichen für nachhaltiges Bauen.

Der Strukturwandel im Einzelhandel erfasst unzählige Innenstädte. Er erfordert ein Neudenken der öffentlichen Räume und wird die Innenstädte verändern und neu konfigurieren. Bislang fehlt es häufig noch an zukunftsorientierten Ansätzen für den Umgang mit dem überholten Raumtypus City-Kaufhaus, der sich gerade in besonders wichtigen, für die städtebauliche Entwicklung neuralgischen Lagen findet. Bei der Entwicklung dieser Orte ist ein enger Austausch mit dem sozialen und politischen Umfeld essenziell, da alle Beteiligten hier sensibel auf Veränderungen reagieren.

Ein so komplexes Projekt kann darum nur durch die Zusammenarbeit unterschiedlicher Planungspartner mit sich ergänzenden Kompetenzen gelingen. Das Berliner Büro Realace formulierte erste Ideen, die in Kooperation mit lokaler Politik und Verwaltung weiterentwickelt wurden. Nutzungsstruktur, Mobilitätskonzept sowie soziale und kulturelle Aspekte wurden dabei gleichermassen berücksichtigt. Max Dudler entwickelte und plante das städtebauliche und architektonische Erscheinungsbild. Das Architekturbüro Aukett + Heese war für die Realisierung im Inneren verantwortlich.

Das ehemalige Kauf- und Parkhaus ist prädestiniert für aussergewöhnliche Anlässe. MREI setzt dabei auf enge Zusammenarbeit mit den lokalen Steakholdern und hat enge Beziehungen mit im Bezirk beheimateten Gruppen aufgebaut und Zwischennutzungen – unter anderem im Rahmen des Kunstfestivals «48h Neukölln» – ermöglicht. Die besondere Ausstrahlung des Hauses spiegelt sich in der neuen Mieterstruktur. So hat sich hier die Code University of Applied Sciences angesiedelt, ebenso wie verschiedenste Firmen sowie der Startup-Accelerator Delta oder Kiez Büros, die flexible Büroflächen für Einzelkämpfende und kleine Unternehmen anbieten. Das Vorhaben wurde mit dem 3. Platz des Polis Award 2023 ausgezeichnet.

maxdudler.de

Das ehemalige Kauf- und Parkhaus ist prädestiniert für aussergewöhnliche Anlässe.
Bestandsbau vor dem Umbau.
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