Raffinierte Neuinterpretation

Ein denkmalgeschütztes Herrenhaus in Comillas wird komplett saniert und teilweise umgebaut. Dabei trifft Jugendstil auf Modernität.

Die Stadt Comillas
Architekteninterview
Von Morris Breunig (Interview) und Imagen Subliminal (Miguel de Guzmán und Rocío Romero) (Bilder)
Ein denkmalgeschütztes Herrenhaus in Comillas wird komplett saniert und teilweise umgebaut. Dabei trifft Jugendstil auf Modernität.
Die Stadt Comillas in der nordspanischen Region Kantabrien ist geprägt von Jugendstilbauten. Ein denkmalgeschütztes Herrenhaus wird im Zuge eines Umbaus um moderne Einflüsse bereichert. Im Interview gibt Jacobo García-Germán von Garciagerman Arquitectos Einblick in das Projekt.In welchem Zustand befand sich das ursprüngliche Gebäude?
Das Gebäude war in seiner Struktur und auf der Seite mit der ursprünglichen Nordfassade dem Verfall nahe, während die Südfassade aufgrund ihrer Sonneneinstrahlung und ihres repräsentativen Charakters in einem besseren Zustand war, da sie über Jahrzehnte hinweg gepflegt wurde. So wurde der Eingriff als eine Kombination aus Restaurierung (Südfassade), Rekonstruktion (Innenstruktur) und Neubau (Innenausbau, Nordfassade und Dach) geplant.Die Geschichte des Gebäudes reicht bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Welche besondere Bedeutung hat das Haus Comillas für die Region und ihre Bevölkerung?
Als bedeutsam könnte man die Tatsache sehen, dass das Haus zu den prototypischen Typologien ländlicher Siedlungen in engen, lang gestreckten Parzellen gehört, die aus der ursprünglichen Organisation des kultivierten Landes hervorgegangen sind und einer kompakten und vertikalen Architektur Platz machen, die sich auf ihre Hauptfassade als einzigen Ausdruck der bürgerlichen und sozialen Präsenz stützt. In diesem Sinne kapselt die Organisation dieser Typologien, zusammen mit dem atavistischen Ausdruck der Erhebungen, eine bestimmte Erinnerung an Ort und Gesellschaft ein.

Die Stadt Comillas ist geprägt von Jugendstileinflüssen. Inwieweit hat das den Gebäudeentwurf beeinflusst?
Wenn wir in solchen Enklaven arbeiten, in denen das kulturelle Gedächtnis so präsent ist, versuchen wir, ein Gleichgewicht zwischen der tatsächlichen Lösung der architektonischen Probleme, die der Auftrag beinhaltet, und der Aktivierung eines kulturellen Dialogs mit diesem Gedächtnis durch die Architektur herzustellen. In diesem Fall war die einzigartige Präsenz des Jugendstils in der Geschichte des Dorfs für uns sehr präsent, als wir den Entwurf entwickelten. Nicht nur wegen der Nähe des Hauses zu mehreren Jugendstilbauten in seinem unmittelbaren Umfeld, sondern vor allem durch die sentimentale und biografische Verbindung der ersten Besitzer des Hauses aus dem 19. Jahrhundert mit Antoni Gaudís Palast El Capricho.

Die ornamentalen Akzente der Südfassade blieben erhalten. Die Nordfassade zum Meer hin ist dagegen eine moderne Interpretation. Warum diese Divergenz, und wie präsentierte sich das ursprüngliche Gebäude in dieser Hinsicht?
Die ursprüngliche Nordfassade war in einem baufälligen Zustand und musste ersetzt werden. Es handelte sich um eine leere Fassade, die dem ursprünglich von Tieren genutzten Nebenweg zugewandt war – im Gegensatz zur Hauptsüdfassade, die an einer wichtigen Strasse im Dorf lag. Bei der Gestaltung der neuen Nordfassade wollten wir die heutigen Möglichkeiten berücksichtigen, wie den Blick auf das Meer oder die Zufahrt zum Haus mit dem Auto von dieser Nebenstrasse aus. In kompositorischer Hinsicht ist diese neue Fassade als Interpretation der alten Fassade gedacht, scheinbar ohne Ornamente, aber mit einer Füllung aus schwarzem lokalem Kalkstein in Stürzen, Pfosten und Gesimsen, welche die Fenster betonen und ihre Hauptfunktion als Ausguck für die Aussichten verdeutlichen.

«So war die Organisation des Raumprogramms von Anfang an von einem aufsteigenden Zirkulationsschema geleitet.»
Jacobo García-Germán

Was die unterschiedlichen Gebäudefassaden noch bewusst trennte, trifft in den Innenräumen zielgerichtet aufeinander: traditionelles und modernes Design. Pastellfarben werden mit Böden sowie klassischen Möbeln aus Holz und in warmen Tönen kombiniert. Was war die Intention dahinter?
Angesichts des Charakters und des Lebensstils der Hauseigentümer wurde eine zeitgenössische oder «moderne» Idee für Innenausbau und Möbel von vornherein verworfen. Vielmehr wollte man eine gewisse neutrale und warme Qualität erreichen, die sich nahtlos in eine Hülle auf halbem Weg zwischen neu und restauriert einfügt und auf lange Sicht eine gewisse Zeitlosigkeit im Erscheinungsbild bietet, um diese Unterschiede zu verwischen.

Auffällig sind auch verspielte Details wie die neu gestalteten Schornsteine. Was diente als Inspiration dafür?
Wir haben eine fast wortwörtliche Interpretation der Schornsteine des Palastes El Capricho vorgenommen, die von fachkundigen lokalen Laien aus lokalen Ziegeln gebaut wurden. Es ist ein deutliches Augenzwinkern in Bezug auf die Verbindung mit Gaudí, vielleicht sogar ein humorvolles. Etwas, das wir niemals bei einer systematisierten Designtechnik machen würden, aber in diesem Fall, angesichts der verschleierten Präsenz auf dem Dach und der allgemein verträumten und exotischen Atmosphäre bei den vielen Jugendstilanspielungen im Dorf, dachten wir, dass wir uns das leisten können.

Zusammen mit der Aufstockung haben Sie die Umkehrung des Raumprogramms angewandt. Ist das ausschliesslich eine Folge des tiefen Grundrisses?
Ja. Und auch weil durch den tiefen Grundriss das Erdgeschoss generell dunkel ist und wir sehr früh entdeckten, dass wir von den oberen Etagen gute Meerblicke erhalten. So war die Organisation des Raumprogramms von Anfang an von einem aufsteigenden Zirkulationsschema geleitet, um diese Ausblicke zu erreichen.

Was bedeutet die Umkehrung des Raumprogramms für die Bewohnenden?
Wahrscheinlich bedeutet es, das Haus auf eine spielerische und unerwartete Weise zu nutzen. Etwas, das man vielleicht in einem Haus geniessen möchte, das hauptsächlich für die Sommermonate gedacht ist und das im Zusammenhang mit einem intensiven Sozialprogramm durchgeführt werden kann.

Gab es gewisse Details, die besonders herausfordernd waren?
Das hölzerne Dach mit all seinen traditionellen Details, welche die bestehenden nachbilden, war eine herausfordernde Aufgabe, die glücklicherweise von einem lokalen Team aus Zimmerleuten und Bauarbeitern mit Bravour gelöst wurde.

Wie wird das Gebäude mit Energie versorgt?
Das Haus wird durch aerothermische Systeme mithilfe von Wärmepumpen versorgt, die in dem jährlichen Temperaturbereich von Comillas besonders gut funktionieren. Erwähnenswert ist, dass das Gebäude aufgrund seiner Ausrichtung, seines Schnitts und seines Formfaktors in Bezug auf Wärme, Belüftung und Isolierung optimal funktioniert.

Was ist generell reizvoller: Neubau oder Umbau von Bestandsgebäuden?
Beides: Bei einem Neubau muss man sich mit wichtigen Aspekten der Architektur wie Form, Massstab und Charakter auseinandersetzen, während bei einem Umbau subtilere Dinge umgesetzt werden müssen, die mit dem Dialog mit der Vergangenheit zu tun haben, sowohl kulturell als auch physisch. Für uns geht es in der Architektur vor allem darum, die Einzigartigkeit einer personalisierten Strategie in jedem unterschiedlichen Projekt zu erarbeiten. Eine Strategie, die sich aus dem Ort, dem Programm, dem Kunden, den Möglichkeiten und dem kulturellen Diskurs ergibt.

Inwieweit haben Ihre früheren Bauten den Gebäudeentwurf von Comillas House beeinflusst?
Nur durch die zwanzigjährige Erfahrung, die das Büro hat, und indem wir an anderen Restaurierungen gearbeitet haben, wovon keine ähnlich war. Wegen all der Überraschungen und unerwarteten Situationen, die auf dem Weg auftauchen, bedeutet ein Projekt wie dieses und dessen Bau einen permanenten Lerntest.

Welche prominenten Bauherren beeinflussen Ihre Arbeit im Allgemeinen und auch im Speziellen in Bezug auf das Comillas-Haus?
Viele Architekten, vergangene und gegenwärtige, beeinflussen unsere Arbeit, einige von ihnen sind enge Freunde, einschliesslich derer, die mit mir unterrichten oder mit denen ich in der Vergangenheit zusammengearbeitet habe. Ein grösserer Einfluss hat wahrscheinlich das Lesen der subtilen Atmosphäre an besonderen Orten, von Farben bis zu den Grössenverhältnissen, von Texturen bis zu Resonanzen, der Präsenz von Natur, Menschen, Licht und so weiter. In Comillas haben wir versucht, eine raffinierte Interpretation dieser Nuancen vorzunehmen, um das Haus zu einem bestimmten Ton gehören zu lassen, während es sich gleichzeitig als Neuankömmling im städtischen Gewebe präsentiert.

Im Gebäude ist ein Bezug auf Antoni Gaudí versteckt. Bitte klären Sie uns über dessen Lage und Bedeutung auf.
An der Südfassade befinden sich zwei Fliesen, die vom Palast El Capricho von Antoni Gaudí übrig geblieben sind. Man könnte das als ornamentale Anekdote betrachten, wären sie nicht restauriert und genau an der Stelle platziert worden, an der sie 1884 vom Baumeister von El Capricho, der auch der erste Besitzer des Hauses war, angebracht worden waren. ●

Jacobo García-Germán
Der Architekt Jacobo García-Germán ist seit 2005 Dozent am ETSAM in Madrid. 2003 gründete er das Planungsbüro Garciagerman Arquitectos. Er war zudem Mitglied des wissenschaftlichen Komitees für den spanischen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig 2016. Foto: Imagen Subliminal
Pastellfarben
Pastellfarben werden mit Böden sowie klassischen Möbeln aus Holz und in warmen Tönen kombiniert.
Die neue Nordfassade
Die neue Nordfassade ist als Interpretation der alten Fassade gedacht, scheinbar ohne Ornamente.
Innenräumen
In den Innenräumen trifft traditionelles und modernes Design aufeinander.
Räume
Die nach Norden ausgerichteten Räume erlauben den Blick auf das Meer.
Die Kamine
Die Kamine sind eine Interpretation der Schornsteine des Palastes El Capricho.
Gebäudeschnitt plan
Gebäudeschnitt
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