Ein Ort der Arbeits- und Begegnungsinseln

Marazzi + Paul haben sublim, mit präzisen Eingriffen ein vorhandenes Arealgefüge zu einer virtuosen Wirkungsstätte umgebaut – ein vielschichtiger, stimmungsreicher Arbeits- und Begegnungsort, in dem sich alte und neue Raumelemente mit Leichtigkeit verbinden.

Die sanierte Bürolandschaft erhielt einen neuen angeschlossenen Holzpavillon.

Das Industriegebiet von Dielsdorf, einer Ortschaft im Zürcher Unterland, wächst kontinuierlich. Eingebettet ist es in eine Landschaft aus Hügelzügen, ein Mosaik aus Wäldern, Siedlungen und weitläufigen landwirtschaftlich genutzten Flächen, welche aufgrund der vielfältigen Topologie unterschiedlichste Ausprägungen aufweisen. Während das Dorf im alten Teil mit seinen gut erhaltenen und stilvoll renovierten Abschnitten das einstige kleine Bauerndorf konserviert, durchzieht von diesem Dorfkern aus die Wohnquartiere eine wechselseitige und ausgewogene Durchdringung von Freiräumen und Bauten, ehe im Osten die global ausgerichtete Grossfläche zahlreicher Unternehmen beginnt. Namhafte Investoren und Player sind hier am Wirken wie etwa das Green Datacenter, das in Dielsdorf nicht nur drei neue Rechenzentren plant, sondern gleich einen ganzen Campus, den «Metro-Campus» – 46 000 Quadratmeter, «Business Park» mit Bürogebäuden, Gewerbe- und Grünflächen. Gleich daneben ist die Chromos Group AG stationiert, deren Arealgefüge in die Jahre gekommen ist, sanierungsbedürftig – insbesondere die Bürolandschaft war zu transformieren und in eine sozial freundlichere Raumgestalt zu überführen. Auch die gewandelte Betriebsausrichtung war zu berücksichtigen. Mannigfaltige Veränderungen im Laufe der Zeit.

Verschiedenste Industrien

Ursprünglich war das Unternehmen, das 2021 sein 75-jähriges Bestehen feierte, im Druckbereich aktiv und hatte einst Tickets, sogenannte Stempelkarten, für die Schifffahrt auf Schweizer Seen erstellt. Mittlerweile ist daraus eine in der dritten Generation inhabergeführte Unternehmensgruppe mit Fokus auf Technologie- und Lösungsberatung in verschiedensten Industrien geworden, etwa spezialisiert auf die Entwicklung arbeitsunterstützender Roboter und deren optischer Sensoren. Auch fusionierte die Schweizer Niederlassung vor zwei Jahren mit der Fujifilm (Switzerland) AG. Sämtliche Büros waren bislang in einem einzigen Gebäude untergebracht – Einzelbüros, Korridore, ein klassischer Verwaltungsgrundriss – weshalb sich Kommunikation und soziale Interaktion zunehmend als suboptimal erwiesen.

Die Bauherrschaft strebte daher einen sanften Kulturwandel an – weg von der Einzelbüro-Mentalität, weniger eine Riesenfläche für die Arbeitsplätze, hin zu dezidierter räumlicher Intensität. Das bisherige Bürogebäude war dafür nicht mehr geeignet. Vielmehr vitalisierte das Architekturbüro Marazzi + Paul das Firmengelände, indem es zwei andere Arealkomponenten in den Fokus möglicher Massnahmen rückte. Zum einen ersetzte es im Hofraum den ehemaligen Pavillon durch einen Neubau, der als Town Hall dient – ein Ort für Versammlungen. Zum anderen funktionierte es den Längsbau, in dem Laborräume untergebracht waren, zu Open Office um – und dies auf eine subtile Art, in dem es die grosse Halle im Erdgeschoss mit hineingestellten Boxen gliederte – vom Bestand räumlich abgekoppelt. Die ins alte Laborgebäude integrierten Boxen lassen den Grundcharakter des sie umgebenden ehemaligen Industriebaus unangetastet – selbst schaffen sie als Raumsequenzen variable Bürobereiche und Büroinseln von sechs Leuten. Gefragt war hier nicht die durchgängige Open-Space-Büroebene, sondern differenzierte Abschnitte – eine Bürolandschaft mit Zwischenzonen – oder wie es Architekt Alfred Paul einfach und prägnant formuliert: «Kein harter Eingriff – wir möblierten den schönen Bestand.» Die Möbel oder Boxen erzeugen eine organisierende und gestalterisch tiefe Kraft, belassen Raum, schichten Offenheit und Privatheit, Verbundenheit, Gemeinschaft und Rückzug und lassen unterschiedliche Arbeits- und Präsenzweisen zu. «Dörfli» nennen die Architekten dieses innenräumliche Prinzip, weil die Boxen demselben Ort angehören, zugleich dessen Charakter bilden – wie es auch einzelne Dorfquartiere tun.

Mit dem Bestand verbunden

In sich sind die Boxen Besprechungs- respektive Fokus- oder Konzentrationshülsen. Jede Arbeitsgruppe hat ihre Zentrale, spezifisch nutzbar, für zwei oder mehrere Teilnehmende. Eingepasst und teils modular neu konfiguriert wurden die Boxen zusammen mit Bene Büromöbel GmbH. Nur mit dem Bestand verbunden über ein Versorgungskabel, das die Boxen mit Strom füttert und in der Industriedecke verschwindet. Diese bleibt teils mit ihren Installationen sichtbar, teils von den Akustik-Deckensegeln abgedeckt, sogenannte Double Decker, farblich und in verschiedenen Intensitäten an die Grundfarben von Chromos angelehnt. Auch die Boxen präsentieren sich in diesen Farben, variieren das Farbthema und kontrastieren die Industriehülle in ihrer feinen Gestalt. Sie machen den Wechsel zwischen dem belassenen Hallenboden und dem Einstieg auf ihre farbigen Innenteppiche haptisch und sinnlich erlebbar. Die kleinen Teams können sich über ihre Box identifizieren. Das Identitätsstiftende kommt auch in anderen Raumstellen zur Geltung. Etwa in der kleinen Lounge mit dem eingesetzten, alten Perserteppich. Eines von zahlreichen, liebevoll integrierten Details.

Ersetzt und angedockt

Dem in nichts nach steht der ebenso mit viel Sorgfalt umfunktionierte, an die Halle angrenzende Kopfbau, wo insbesondere die analog mit ruhigen Farben gestalteten, hochwertigen Sitzungszimmer das Auge auf sich lenken; mitunter ob der tiefen Raumhöhe mit Cosy Flair. Wie Stuben einladend, welche die vorgefundene räumliche Dichte zu verstecken wissen. Das soziale Zentrum aber ist der Neubau, der den alten Pavillon ersetzt und im Hofraum an den ehemaligen Laborbau mittels überdachtem Verbindungsteil andockt. In dieser zweiten Hauptkomponente des Umbaus kulminieren Begegnung und Kommunikation. Die Gesamtfläche des neuen Holzpavillons dient der Verpflegung, insbesondere aber dem Austausch, und bietet mittels Vorhängen unterteilbare Abschnitte für Ausstellungen, Veranstaltungen sowie für Privatanlässe. Weiter bespielbar über die tiefe, verandaartige Terrasse. In den Aussenbereich ein bindet sich der neu gestaltete Grünraum mit integriertem Baumbestand und ebenso hoher Aufenthaltsqualität – Grillstelle, Pizzaofen inklusive. Das überdachte, im Hochparterre liegende Verbindungsteil zwischen Bürowelt und Pavillon bildet die neue, prägnante Arealadresse, ist repräsentatives Element, Knotenpunkt im optimierten Gefüge – und zugleich freiflächige, kleine Aussichtsplattform mit Blick auf die Nachbarparzelle, den Metro-Campus. Verbunden sind die beiden Grundstücke auch wärmetechnisch. Die Abwärme vom Green Datacenter wird als Fernwärme ins Chromos-Areal eingespeist, im Gegenzug sollen mit Photovoltaik belegte Dachflächen den Metro-Campus mit Strom versorgen.

Der Umbau zeugt ob des souveränen Umgangs mit bestehender, neu auszurichtender Substanz von der Erfahrung der Planenden. Marazzi + Paul haben im Laufe der Jahre schon einige Areal- respektive Bürobauten entwickelt. Soziologische Aspekte sind für sie dabei wesentliche Entwurfsleiter. Ihre Architektur vermag unverkrampft das Vorhandene und dessen einstigen Zweck neu zu verarbeiten – aufzuheben oder anders einzusetzen. So behaupten sich etwa ausserhalb der hineingestellten Büroboxen noch immer schwarze, wie im Hallenboden eingebrannte Striche. Diese stammen von einst fleissig zu Werke gegangenen, operierenden Optikrobotern ab – ihre Nutzkratzer erhalten nun eine gestalterische Kraft. Sie versinnbildlichen, was die Architektursprache gesamthaft erzählt – die Leichtigkeit, mit der alte und neue Raumelemente korrelieren und woraus stimmungsvielfältige Sphären der gemeinschaftlichen oder individuellen, konzentrierten Teilnahme möglich werden. Marazzi + Paul haben sublim bestehende Arealarchitektur zu einer virtuosen Wirkungsstätte und in einen vielschichtigen Arbeits- und Begegnungsraum umgewandelt. ●

Das überdachte Verbindungsteil zwischen Bürowelt und Pavillon dient als kleine Aussichtsplattform.
Das überdachte Verbindungsteil zwischen Bürowelt und Pavillon dient als kleine Aussichtsplattform.
Der eingeschossige Pavillon liegt im Hochparterre.
Der eingeschossige Pavillon liegt im Hochparterre.
In sich sind die Boxen Besprechungs- respektive Fokus- oder Konzentrationshülsen.
In sich sind die Boxen Besprechungs- respektive Fokus- oder Konzentrationshülsen.
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