In räumlicher Korrelation

Ein multifunktionaler Vierfachkindergarten in Holzbauweise bereichert das bernische Ittigen. Der mit viel Sorgfalt entwickelte Neubau bietet eine räumlich differenzierte, vielschichtige, ausdrucksstarke Architektur.

Kindergarteneinheiten
Der Holzbau setzt sich aus zwei zweigeschossigen Pavillons mit je zwei Kindergarteneinheiten zusammen.
Von Lukas Bonauer (Text) und Alexander Gempeler (Bilder)
Ein multifunktionaler Vierfachkindergarten in Holzbauweise bereichert das bernische Ittigen. Der mit viel Sorgfalt entwickelte Neubau bietet eine räumlich differenzierte, vielschichtige, ausdrucksstarke Architektur.

Im Agglomerationsraum der Schweizer Hauptstadt tut sich derzeit einiges zugunsten einer nachhaltigen Raumentwicklung. Das vom Bund unterstützte Landschaftsprojekt mit dem Namen «Grünes Band» ist der Übergangsbereich zwischen dem dichten urbanen Stadt- und Agglomerationsgebiet von Bern und der ländlichen Umgebung. Es umfasst hochwertige Natur-, Kultur- und Siedlungslandschaften. Auch der Landschaftsraum der Agglomerationsgemeinde Ittigen bei Bern partizipiert an diesem Übergangsbereich. Sie zeichnet sich durch einen Landschaftsraum aus, der über eine stark bewegte Topografie verfügt. Dem tief eingeschnittenen, mäandrierenden Fluss stehen steile, durch Waldkörper und Plateaus gegliederte Böschungen gegenüber. Die wiederkehrenden Gehölzzungen entlang der Aare charakterisieren die Stimmung in Flussnähe und sind für die Bevölkerung sehr beliebte, viel besuchte Aufenthaltsorte für Freizeitaktivitäten. Derzeitig entstehende Ortsprojekte von Ittigen enthalten im Kern eine «Siedlungsentwicklung nach innen» mit maximaler Ausnützung, eine dem Standort angemessene architektonische Qualität hinsichtlich Volumetrie, Gesamtwirkung und Gestaltung sowie eine nachhaltige, ressourcen- und klimaschonende Bauweise. Das gilt auch für den neuen Vierfachkindergarten, der die bestehende Schulanlage Rain erweitert und der aus einem Wettbewerb hervorgegangen ist (Präqualifikation).

Eine Einheit

Büro B Architekten aus Bern haben diesen räumlich vielschichtigen, architektonisch ausdrucksstarken Holzbau entwickelt. Er setzt sich aus zwei zweigeschossigen Pavillons mit je zwei Kindergarteneinheiten zusammen, die um einen gemeinsamen Hof mit Terrassen gruppiert sind. Eine umschliessende Hülle fasst Pavillons, Terrassen und Hof zu einem als Einheit erlebbaren Gebäude zusammen. Die Gebäudeteile sind so gesetzt und stehen in räumlicher Korrelation so zueinander, dass sie differenzierte, charaktervolle Zwischenräume entstehen lassen. In Kombination mit der einzigartigen Landschaft wird dadurch eine Vielzahl von Fluchtungen, Sicht- und Raumbezügen und – abhängig von den Jahreszeiten – atmosphärischen Szenarien und Bildern erzeugt.

Der Neubau selbst ergänzt die bestehenden Solitärbauten der Schulanlage Rain, die entlang einer zentralen Verbindungsachse aufgereiht sind. Auf der Nordseite dieser Achse thront der Neubau auf einer leicht erhöhten Ebene und ist südseitig erschlossen. Er präzisiert die Lage des bestehenden Sportplatzes, grenzt sich aber durch eine Hecke vom übrigen Schulgelände ab, sodass die Jüngsten der Kinder dort geschützt spielen können. Die Anordnung generiert ebenso unterschiedliche Aussenräume – einen grosszügigen gemeinschaftlichen Bereich zwischen dem neuen Gebäude und der bestehenden Baumallee und einen weiteren kleinen ebenso gemeinschaftlich nutzbaren Bereich westlich neben dem Gebäude.

Im Bereich des Hofes und der ihn umgebenden, teils gemeinsamen und teils den jeweiligen Kindergartenklassen zugeordneten Terrassen überlagern sich das Gebäude und der Aussenraum; es bildet sich ein innen liegender Aussenraum oder ein aussen liegender Innenraum. Dadurch entstehen unterschiedlich nutzbare und erlebbare Aussenbereiche. Es gibt Orte für Gemeinschaft, für den Austausch oder für die Bewegung und solche für den Rückzug, die Privatheit oder die Ruhe. Insbesondere die Erschliessungsbereiche und Terrassen, die um den im Baukörper eingeschlossenen Innenhof gruppiert sind, dienen der Begegnung. Die Innenräume der jeweiligen Kindergartenklassen stehen in vielfältiger räumlicher Beziehung zu den einzelnen Aussenraumbereichen. Durch das Hineinführen des Aussenraums in das Gebäude, die Überlagerung und die Vermittlung von innen und aussen entsteht eine einladende Geste, welche die Kinder und die weiteren Nutzer offen und freundlich empfängt.

Hohe Flexibilität

Die einzelnen Funktionen des Gebäudes sind sowohl innen- als auch aussenräumlich optimal aufeinander abgestimmt. Das schafft einfache Abläufe, kurze Weg- und sichere Blickverbindungen, Übersicht und Ruhe, lebendige und ruhige Bereiche. All das trägt wesentlich zur Nutzbarkeit und zum Wohlbefinden der Kinder und Lehrpersonen bei. Die Grundrisse berücksichtigen mit ihrer hohen Flexibilität zudem variable Unterrichts- und Betriebsformen für Kindergarten, Schulklassen, Basisstufen und Tagesschulen. Neuartige, in die Decke eingelassene Streifen mit punktförmigen LED-Leuchten garantieren eine optimale und blendungsfreie Beleuchtung sämtlicher Innen- und Aussenräume. Alle Leuchten sind dimmbar, sehr fein und zurückhaltend gestaltet und konkurrenzieren nicht das architektonische Bild der Innenräume.

Im Innern ist das Gebäude räumlich differenziert, modern, warm und durch die grossen Fenster hell und freundlich. Dank den in alle Himmelsrichtungen geöffneten Innen- und Aussenraumbereichen lässt sich der Verlauf der Sonne in allen vier Kindergarteneinheiten sowie im Aussenraum (Hof und Terrassen) optimal wahrnehmen. Der als Zugang sowie geschützter und intimerer Aussenraum dienende Innenhof ist aufgrund seiner freien mäandrierenden Form, aufgrund seiner Ein- und Durchblicke und seiner Materialisierung einmalig und in höchstem Mass identitätsstiftend.

Eine gemeinsame Erschliessung führt von der Allee über den äusseren Garten in den gebäudeumrahmten Innenhof. Von dort aus wird jede Kindergarteneinheit über die Terrassen, die den Hof umgeben, separat erschlossen. Das hebt die Individualität jeder Klasse hervor und stärkt die Identifikation der Kinder und Lehrpersonen mit ihrer Umgebung. Eine der zentralen Prämissen, die den Entwurf leiteten, beinhaltet die Entfaltung einer kindgerechten Raumlandschaft. Stimmen von Fachpersonen der Pädagogik wurden von Anfang an in die Planung mit einbezogen. So schafft das gewählte Kompositionsprinzip eine auf die Kinder zugeschnittene, anregende, integrierende und vielfältig nutzbare Aufenthalts-, Spiel- und Lernumgebung. Die eingesetzten Holzlamellen bilden eine Schicht, die geschickt Bereiche des Rückzugs, des Sichtschutzes und der Aussicht in sich vereint, den gesamten Bau umhüllt und freigibt und als verbindende Schicht prägnante Akzente setzt.

Ziselierte Umhüllung für Leichtigkeit

Der neue Vierfachkindergarten wirkt einheitlich aufgrund seiner durchgängig mit Holz materialisierten und gestalteten Architektur. Die formale Ausprägung des Innenhofs unterscheidet sich dabei mit seinen runden, weichen und offenen Formen von der äusseren geraden, als Gebäudekante ausgebildeten Gestalt. Die sehr einprägsamen Fassaden sind mehrschichtig, vertikal sowie horizontal fein gegliedert. Wie eine Membrane verleiht die fein ziselierte Umhüllung dem Gebäude Leichtigkeit und einen Hauch von Schwebung.

Die vertikalen Holzlamellen schaffen räumliche Intimität bei optimalen Aus- und Durchblicken. Ausserdem geben sie dem Gebäude zusammen mit den gewählten Fensterteilungen und weiteren Gestaltungselementen einen kindgerechten Massstab, was das Wohlbefinden der Kinder und damit ebenfalls die Identifikation mit dem Gebäude weiter erhöht.

Das als reine Holzkonstruktion erstellte Gebäude ist in all seinen Teilen einheitlich materialisiert. Alle Fassadenteile wie Lamellen, Wandverschalungen, Fenster, innere und äussere Decken und Böden, Innenwände und Innentüren sind in Holz ausgeführt. Das trägt zum äusserst charaktervollen architektonischen Ausdruck bei und schafft Ruhe und Identifikation. Die wetterexponierten Holzteile wie die Aussenhaut, die Fenster, die äusseren Böden und Treppen sind druckimprägniert sowie hell geölt. Alle übrigen Holzteile wie Decken, innere Böden, innere Stützen und Wandverschalungen werden mit einem dem äusseren Erscheinungsbild angeglichenen pigmentierten Öl behandelt. Dadurch entstehen eine durchgehend warme, freundliche und natürliche Raumatmosphäre und Erscheinung.

Die Anforderungen von Minergie-P an die Gebäudehülle, die verschärften Vorschriften MuKEn (Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich) bezüglich Brauchwarmwasser aus erneuerbaren Energien werden eingehalten. Dafür sorgen der hohe Dämmstandard der Gebäudehülle, der Anschluss an den lokalen Nahwärmeverbund des Areals und die ergänzende Photovoltaikanlage auf dem Flachdach, um einen Teil der elektrischen Energie zu kompensieren. ●

Bautafel

Projekt Neubau Vierfachkindergarten

Standort Ittigen

Fertigstellung 2020

Bauherrschaft Gemeinde Ittigen

Architektur Büro B Architekten AG

Ausführung Holzarbeit Wenger Holzbau AG

Ingenieur Indermühle Bauingenieure

Schreiner Hinze Fensterbau GmbH

Landschaftsarchitektur David Bosshard Landschaftsarchitekten AG

Kindergarteneinheiten
Die Kindergarteneinheiten sind um einen gemeinsamen Hof mit Terrassen gruppiert.
Kindergarteneinheiten
Der Neubau selbst ergänzt die bestehenden Solitärbauten der Schulanlage Rain.
Kindergarteneinheiten
Es bildet sich ein innen liegender Aussenraum oder ein aussen liegender Innenraum. Dadurch entstehen unterschiedlich nutzbare und erlebbare Aussenbereiche.
Kindergarteneinheiten
Im Innern ist das Gebäude räumlich differenziert, modern, warm und durch die grossen Fenster hell und freundlich.
Kindergarteneinheiten
Die einzelnen Funktionen des Gebäudes sind sowohl innen- als auch aussenräumlich optimal aufeinander abgestimmt. Das schafft einfache Abläufe, kurze Weg- und sichere Blickverbindungen.
Kindergarteneinheiten
Kindergarteneinheiten
Das als reine Holzkonstruktion erstellte Gebäude ist in all seinen Teilen einheitlich materialisiert.
Kindergarteneinheiten planed
Erdgeschoss mit Lageplan
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