Neuer Wallfahrtsort

Das historische Restaurant Waldrain auf dem St. Chrischona erstrahlt nach Sanierung und Umbau in neuem Glanz. Die behutsam geplanten und ausgeführten Eingriffe stärken und entwickeln die vorhandenen Qualitäten weiter.

Das Architekturbüro Staehelin, Gisin + Partner hat dem Restaurant Waldrain zu neuem Glanz verholfen. (Fotos: Barbara Bühler)

Das Restaurant Waldrain auf dem Basler Hausberg hat eine über 100-jährige Geschichte. Seiner altehrwürdigen Substanz hat das Architekturbüro Staehelin, Gisin + Partner zu neuem Glanz verholfen. Durch den baulichen Eingriff – ein sublimes, ausgewogenes Verhältnis zwischen Bewahren und Erneuern – gewinnt das Haus an raumfüllender Noblesse und betont zugleich seinen historischen Wert. Eine mit viel Sorgfalt in der Planung umgesetzte Prämisse, die sich auch auf die Frequentierung des Gastrobetriebes auswirken soll.

Hochebenen erklimmen

St. Chrischona heisst der Hausberg, Ausflugsort für die Städter am Rheinknie, Wandergebiet an der Grenze zu Deutschland und bekannt durch seinen gleichnamigen, weit herum sichtbaren Sendeturm. Mit seinen 250 Metern Höhe hält er immerhin den Titel des höchsten frei stehenden Gebäudes der Schweiz. Grandiose Blicke über den Rhein, die Stadt Basel und ins Dreiländereck bieten auch die Wanderwege, weshalb St. Chrischona viele für einen Ausflug anlockt. Das war vor Anfang des 20. Jahrhunderts schon so. Nur dass damals die Leute nicht bequem mit dem Linienbus hochfuhren, sondern zu Fuss die Hochebene erklommen. Nach dem Aufstieg war das Bedürfnis nach einer Erfrischung gross. Die Pilgermission St. Chrischona reagierte darauf schon 1890 mit einer «Kaffeehalle». Schnell wurde aber klar, dass «ein Bedürfnis nach einem guten Lokal vorliege», wie in der 100-Jahr-Chronik der Pilgermission von 1940 zu lesen ist. 1914 lud das Restaurant Waldrain erstmals zum Verweilen unter schattigen Bäumen im Garten ein und öffnete dem Auge, damals wie heute, weite Sichtflure in den Jura und in den Schwarzwald – aber auch Geisträume in noch weiter zurückliegende Jahrhunderte. Mit Gipfellage im Gebiet der Basler Gemeinde Bettingen war St. Chrischona nämlich schon im Mittelalter bis zur Reformation ein Wallfahrtsort.

Historische Aufnahme (Foto: zvg)

Das örtliche Kirchlein, dessen erstmalige Erwähnung auf das Jahr 700 und dessen sakrale, heute noch teils vorhandene Originalsubstanz auf das 15. Jahrhundert zurückgeht und das einer überlieferten Legende nach von der hl. Chrischona errichtet worden war, erzählt davon. In der Sakristei der alten Wallfahrtskirche wurde 1840 die Pilgermission St. Chrischona gegründet, ein einst internationaler evangelischer Gemeindeverband in pietistischer Tradition. Als Ursprung und damaliges Zentrum zugleich, war die «Kaffeehalle» für die Pilgermission ein wertvoller Einkehrort und das frühere «Waldrain» diente ebenso als Unterkunft für die Bedürfnisse der Mission.

Das äussere Erscheinungsbild nähert sich dem originalen Aussehen des Gebäudes an.

Zeitgemäss und revitalisiert

Für das nächste Kapitel dieser langjährigen Geschichte hat das Basler Architekturbüro die Nähe der bestehenden Substanz zur historischen Zone sowie zur Natur in die entwurfsleitenden und inspirativen Überlegungen integriert. Jedoch steht das Haus einzeln, ohne gebaute Umgebung der historischen Gebäude von St. Chrischona in der Landschaft, was den Planenden den Impuls gab, die Solitäreigenschaften zu schärfen, insbesondere aber die Wirkung des spürbar vorhandenen Villa-Charakters zu verstärken. Und dies, ohne am originalen Erscheinungsbild gross etwas zu verändern – ganz im Gegensatz zum Innern: Hier sind moderner Esprit und zeitgemässer Komfort eingezogen, die ebenso aus dem Baujahr 1914 stammenden Wohnungen im Obergeschoss revitalisiert und aufgefrischt sowie das Dachgeschoss mit komplett neuen Wohnräumen ausgestattet worden. Ende 2022 wurde das Gebäude wiedereröffnet. Sämtliche Änderungen berücksichtigen die Auflagen und Kriterien der Dorfbildkommission von Bettingen und sind nach einer präzisen Auslotung der Eingriffstiefe erfolgt.

Die Wirkung des spürbar vorhandenen Villa-Charakters wurde verstärkt.

Neue Nutzungen und Funktionen passen sich den bestehenden Grundrissen an und ermöglichen ein angenehmes Arbeits- und Wohnumfeld. Hauptnovität ist die räumliche wie auch akustische Entkoppelung der Wohn- und Gastronomienutzung mittels separater Eingänge. Das vorhandene Treppenhaus bedient jetzt ausschliesslich die Wohnungen in den Obergeschossen und führt mit erweitertem Treppenlauf ins Dachgeschoss – und eine neu eingebaute Treppe verbindet das Restaurant mit den Toiletten im Untergeschoss. Das stille Örtlein könnte mit seiner ausgefallenen auberginefarbenen Erscheinung problemlos aus einem Kubrick-Film stammen.

Barbereich im Restaurant.

Akzentuieren und kontrastieren

Die Grundrisse optimieren die Geschosse, sowohl im Gastrobereich wie auch in den Wohnungen, mit maximal offenen Raumsequenzen. Die ehemalige «Kaffeehalle» präsentiert sich mit aufgefrischten bestehenden respektive mit eingearbeiteten neuen Oberflächen. Mithilfe eines Vorhangs ist der Raum unterteil- und unterschiedlich bespielbar und verfügt über die für den Betrieb notwendige visuelle Verbindung zur Küche. Zeitgenössisch kräftige Farben akzentuieren auch hier bestimmte Raumelemente und kontrastieren den hellen, zurückhaltenden Anstrich etwa der Decke und der für die Reduktion der Statik eingesetzten Stahlstützen und Stahlträger. Ruhige, neutrale Farben gestalten hingegen die Wohnungen, die allesamt über offene, grosszügige Tagesbereiche verfügen, ermöglicht durch die beinahe komplett aufgelöste Struktur der Einzelräume inklusive Korridor. Holzbeplankungen verzieren die Obergeschosswände im Gebäudekern.

Zeitgenössisch kräftige Farben akzentuieren auch hier bestimmte Raumelemente und kontrastieren den hellen, zurückhaltenden Anstrich.
Nasszelle im Restaurant.

Frei und authentisch

Die meisten konstruktiven Eingriffe waren im zuvor unbewohnbaren Dachgeschoss gefragt. Neben der eingesetzten Treppe umfasste der Umbau den Einbau neuer Fenster und Dachgauben – und im Speziellen die Optimierung des Dachstuhls; Pfosten und Bundstreben waren zu ersetzen, Sparren auszuwechseln, die Dachhaut zu sanieren. Ein farbiger, zurückhaltend dimensionierter, beinahe sich duckender Bad-Kubus kontrastiert den aufgemachten Dachraum und betont zugleich dessen Gefüge aus verschiedenartigen Sequenzen, deren Verwinkeltes, Verspieltes, das in entdeckbaren Raumnischen kulminiert. Das äussere Erscheinungsbild nähert sich dem originalen Aussehen des Gebäudes an, das durch allseits weggenommene Anbauten und durch die konservierte, frisch gestrichene Hülle möglichst frei und authentisch dasteht. Dafür wurden auch nachträglich an der Gebäudehülle ergänzte Bauteile der vergangenen 50 Jahre sorgfältig rückgebaut. Ein Holzgeländer, das sich an die historistischen Villen oder villenartigen Landhäuser zu Beginn des 20. Jahrhunderts anlehnt, ersetzt die abgebrochene Terrassenverglasung der Westfassade. Die neuen Fenster im Dachgeschoss verfügen über dieselben Sprosseneinteilungen wie die schon vorhandenen Fassadenöffnungen, was der Architektur zusätzliche Homogenität verleiht. Mit dem historischen Wissen zum Ort und der daraus entstandenen Sensibilität sind die gewünschten Veränderungen umgesetzt und das Gebäude an die heutigen räumlichen, technischen und materiellen Bedürfnisse angepasst worden. Staehelin, Gisin + Partner hat das Ausflugsrestaraunt – mit viel Gespür für die der Situation und der Gebäudegeschichte angemessene architektonische Haltung – in eine neue Ära überführt. Die behutsam geplanten und ausgeführten Eingriffe stärken und entwickeln die vorhandenen Qualitäten weiter. ●

Die meisten konstruktiven Eingriffe waren im zuvor unbewohnbaren Dachgeschoss gefragt.
Ruhige, neutrale Farben gestalten hingegen die Wohnungen, die allesamt über offene, grosszügige Tagesbereiche verfügen.
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