Raue Schale

Ein temporärer Bau mit industriellem Charakter bereichert das Gelände eines Kreativquartiers in München. Tanz, Theater und Musik bilden den funktionellen kulturellen Kern. Roh belassene Spundwände machen das Gebäude äusserlich zu einem Blickfang.

Von Morris Breunig (Text) und Oliver Jaist (Bilder)

Raue Schale
Die Gestaltung der Fassade mit Spundwänden harmoniert mit dem industriellen Charakter des Standorts. Hochgezogene Spundwände kennzeichnen die Eingänge und Öffnungen des Gebäudes.

Das von Mahlknecht Herrle Architektur geplante ­Interimsgebäude für das Kulturzentrum «Schwere Reiter» fasziniert mit einer Fassade aus rohen Spundwänden. Diese werden normalerweise im Hafenbau und zur Sicherung von Baugruben eingesetzt, können einfach bis zu 3,5 Meter zügig in den Boden gerammt und mehrfach verbaut werden und haben ohne spezielle Beschichtungen eine Lebensdauer von bis zu 100 Jahren. Am temporären Bau in München übernehmen die Spundwände aus rostigem Stahl mit grobwelliger Profilierung die Funktion der Gründung sowie der Fassade und setzen deutliche optische Akzente.

Industriell harmonisch
Das Gebäude ist in einem künstlerisch-lebendigen Kreativquartier mit alten Industriebauten verortet. Für die Künstlerkooperation «Schwere Reiter» mit den Sparten Tanz, Theater und Musik schafft es seit 2021 eine temporäre, aber zugleich wertvolle Übergangslösung, als die bisherige Produktions- und Spielstätte aufgrund hohen Sanierungsbedarfs nicht mehr genutzt werden durfte.

Die Gestaltung der Fassade mit Spundwänden greift diesen Kontext auf. Das harmoniert mit dem industriellen Charakter des Standorts. Gleichzeitig ist die grobwellige Profilierung der Elemente eine Anlehnung an einen massiven Bühnenvorhang, wodurch ein ästhetischer Kontrast zur feinen und leichten Stoffstruktur im Inneren der Kulturstätte entsteht.

Übernommenes Raumprogramm
Hochgezogene Spundwände kennzeichnen die Eingänge und Öffnungen des Gebäudes und dienen ­zugleich der Orientierung. Die Positionierung des Haupteingangs unterstützt das, indem dieser direkt gegenüber der bisherigen Spielstätte angeordnet wurde. Das eingeschossige Gebäude unterliegt einem rechteckigen Grundriss und einem vom Bestandsgebäude übernommenem Raumprogramm. Über ein grosszügiges Foyer mit raumhohen Öffnungen gelangt man in den Aufführungsraum. Stahl­fachwerkträger ergänzen das statische System zur Überspannung in der Breite von Spundwand zu Spundwand. Ihr First sitzt aussermittig, um einen symmetrischen Aufführungsraum als Voraussetzung für eine optimale Akustik zu erhalten. Die im Inneren sichtbare Tragstruktur ist auch eine Reaktion auf den Wunsch nach einer möglichst grosszügigen Raumhöhe für ein besonderes Raumgefühl. Gleichzeitig unterstützt es den industriellen Touch des Neubaus.

Aufführungsraum: Stahlfachwerkträger ergänzen das statische System zur Überspannung in der Breite von Spundwand zu Spundwand.

Generell kamen bei der Konstruktion Elemente und Materialien mit hohem Vorfertigungsgrad zum Einsatz, um eine zügige Montage zu ermöglichen. Hinter den Spundwänden sind beispielsweise Holzständerelemente verbaut. Die Innenwände um den Aufführungsraum sind zudem schallschutztechnisch verstärkt.

Ideal strukturiert
Ein zweiter Eingang westseitig des Gebäudes führt zum Vorbereitungsbereich mit Proberaum und ­Büros. Durch den separaten Eingang bleiben Event- und Probebereich eigenständig, können jedoch bei Bedarf durch Verbindungstüren kombiniert werden. Einer Versorgungsachse beider Zonen sind unter anderem Garderoben und Lagerräume zugeordnet.

In Bereichen mit hohem Verkehr wie Fluren, Lager, Foyer und Eingängen dienen robuste Gehwegplatten als Bodenbelag.

Grundriss

In Wiederverwendung
Der Rohbau des Interimsgebäudes, dessen Nutzung vorerst auf zehn Jahre beschränkt ist, konnte dank der Spundwände innerhalb von zwei Monaten realisiert werden. Die simple Bauweise mit einem klaren statischen System erleichtert neben der Demontage die Wiederverwertung, denn die Materialien können nach dem Rückbau grössenteils einer anderen Verwendung zugeführt werden. ●

Bautafel

Objekt Kulturzentrum
Standort München
Fertigstellung 2021
Bauherrschaft MGH – Münchner Gewerbehof, Kulturreferat München, Kommunalreferat München
Architektur Mahlknecht Herrle Architektur
Projektteam Lukas Mahlknecht, Alexander Herrle, Anne Sophie Birnkammer, Andreas Baumann

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