Rückkehr zur Belle Époque

Das Post Hotel Löwe in Mulegns blickt auf eine erfolgreiche Wiedereröffnung zurück. Der damit verbundene identitätsstiftende Wert für den gesamten Standort lässt sich kaum höher bemessen.

Rückkehr zur Belle Époque
Von Morris Breunig (Text) und Benjamin Hofer (Bilder)
Das Post Hotel Löwe in Mulegns blickt auf eine erfolgreiche Wiedereröffnung zurück. Der damit verbundene identitätsstiftende Wert für den gesamten Standort lässt sich kaum höher bemessen.

Der Mulegnser «Löwe» ist weder Design- noch Boutiquehotel. Das um 1825 erbaute Gebäude ist vielmehr ein Kunstwerk, das gern als bewohnbares Theaterhaus oder Museum mit illustrer Speisekarte betitelt wird. Sein Erhalt war von besonderer Bedeutung für dessen Standort im spätklassizistischen Quartier mit Emigrantenvillen und Hotelbauten. Hintergrund ist die 2018 von der Nova Fundaziun Origen initiierte Rettung des Dorfes Mulegns, das aufgrund der Verkehrsbelastungen und der erschwerten Rentabilität der Hotellerie von Abwanderungen geplagt war. Auch die damit verbundene kulturelle und baukulturelle Vielfalt des Ortes drohte dadurch zu verschwinden. Als Reaktion darauf beschloss man die Sanierung verschiedener historischer Bauten in Mulegns. Die Verschiebung der direkt neben dem Post Hotel Löwen gelegenen Weissen Villa schuf die Grundlage und gewährt seitdem der Julierstrasse mehr Fläche.

Rekonstruiert und geöffnet

Eine 2021 erfolgreich abgeschlossene Renovation der Dächer und Fassaden am Post Hotel Löwen, im Zuge dessen die öffentlichen Innenräume wie Speisesaal sowie Restaurants ebenfalls eine sanfte Renovation erhielten und eine Neuverlegung von Leitungen erfolgte, sicherte anschliessend die wertvolle Bausubstanz. Aufgrund schwerwiegender statischer Mängel musste der verhältnismässig junge und architektonisch problematische Küchenanbau bereits zu Beginn der Bauarbeiten abgebrochen werden. Die seit der Verschiebung der Weissen Villa sichtbar gewordene Rückfassade des Hauses wurde stattdessen in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege rekonstruiert, wodurch unter anderem einst zugemauerte Fenster wieder geöffnet wurden und seitdem Licht in das Gebäudeinnere dringt. Vereinzelte kleinere umliegende Bauten wie ein Trafohäuschen wurden abgebrochen und verstärken damit die prominente Erscheinung des Hauses im städtebaulichen Kontext.

Neu appliziertes Farbspektrum

Die neue graugrüne Fassadenfarbe ist eine Anlehnung an den ersten Anstrich des Hauses und zugleich eine Reminiszenz an die Farbfassung der Belle Époque. Sie konnte nach sorgfältiger Materialforschung auf das Gebäude appliziert werden, nachdem die ockerfarbene Deckschicht mit weissen Ecklisenen und die darüber befindliche grauweisse Fassadenfarbe abgetragen worden waren. Nun trägt der «Löwe» eine vierfach gestrichene grüne Lasur, dazu markante graue Fensterlaibungen, weisse Ecklisenen, eine elfenbeinfarbene Dachuntersicht und einen blauen Sockel als Verweis auf das Kolorit des Fallerbachs, der das Haus umspült. Ein goldener Sockel umgibt den kleinen Hotelgarten, dunkelgrau gefasste Fensterlaibungen strahlen Ernsthaftigkeit aus.

Bedeutendstes Handwerk

Geerdete Gelbtöne zieren die Eingangshalle des Hotels. Dieser ist unter anderem das Löwenstübchen mit neu gestrichenem Täfer und teilweise freigelegten Deckenmalereien sowie ein Zugang zur Zuckerbäckerei angebunden, die über das bedeutendste Handwerk der Bündner informiert. Spitzenvorhänge stehen im Kontrast zur rau belassenen, farblich an die Bauzeit erinnernden Decke. Durch den Abbruch der morschen Küche ist von der Eingangshalle nun der Blick frei auf den Fallerbach.

Frisch interpretiert

Ein mauvefarbener Salon mit geätzten Fensterscheiben als Anlehn ung an Geranien bildet den zentralen Raum des ersten Obergeschosses. Alte Fotos aus dem Hotelarchiv deuten darauf hin, dass dort einst ein Wintergarten mit Topfpflanzen und Gummibäumen zu finden war. Heute ist der kleine Salon mit freigelegten und frisch interpretierten Deckenmalereien sowie zarten Stoffkreationen Auftakt zu den festlichen Räumen des Hauses. Das Fürstenzimmer, in dem einst eine ganze Reihe von Staatsvertretern des 19. Jahrhunderts übernachteten, steht künftig als Veranstaltungsraum für Vorträge oder private Anlässe zur Verfügung. Farbig bedruckte Silbervorhänge erzeugen ein historisches Antlitz. Tischtuch und Farbenteppich mischen die edle Tristesse des vergilbten Raums auf. Der feierliche grau-rote Salon mit kostbaren Deckengemälden aus den 1870er-Jahren lädt zum langen Verweilen ein. Die Decke spiegelt sich im Teppichboden. Die historischen Sofas und schweren Sessel kehren künftig mit neuen golden Bezügen in das Haus zurück. Der grosse Speisesaal ist von alten Vorhängen befreit und in ein blasses Blau getaucht.

Zeugen der Vergangenheit

Gänge und Flure der Zimmergeschosse wurden als Zeitzeugen roh belassen. Sie präsentieren vergilbte Linoleumböden, farbenfrohe Teppiche und knarrende Treppen. Im Pariser und im Turiner Zimmer schmücken neue Tapeten die Wände, beide von alten Tischdecken und Sofakissen inspiriert. Holografierende Diamantentapeten zieren das Prinzessinnenzimmer als Hommage an den Besuch englischer Prinzessinnen. Die 1960er-Jahre grüssen aus einem mit Holzlatten getäferten Raum und spielen mit bunten Teppichen. In der alten, fast vollständig im Original erhaltenen Königssuite über dem Speisesaal regt sich neues Leben in verspielten Teppichen, welche die kostbaren Tapeten auf den Boden holen. Das Kutscherzimmer im Dachgeschoss zeigt das anspruchslose Nächtigen der einfachen Mitarbeitenden des historischen Hauses.

Die Leitungsführung im Haus wurde vollständig überarbeitet. Alte Stromleitungen legte man still, und die restaurierten Räume verfügen nun über einen Anschluss an die neue Stromzentrale. Der Abbruch des Küchentrakts bedurfte eines Neuanschlusses von Heizungsrohren und Kanalisationsleitungen.

Reanimation als Lebenszeichen

Das Post Hotel Löwe scheut sich nicht vor Altersspuren. Alle bisherigen und weiteren Renovationsarbeiten wurden und werden bewusst darauf ausgerichtet. Spuren der Vergangenheit wie vielschichtige Farbaufträge oder knarrende Holztreppen blieben unverschleiert und tragen zum besonderen Charakter des Gebäudes bei. Im Unterschied zum alten Erscheinungsbild präsentiert sich das Hotel jedoch nun einladender, frischer sowie eleganter und erinnert damit an die noblen, ursprünglich ebenfalls grün gestrichenen Verwandten im nahen Hochtal wie das imperiale Carlton Hotel in St. Moritz und das Cresta-Palace in Celerina. Die Reanimation des Hauses ist zugleich das Lebenszeichen eines ganzen Ortes, der sich im dringend nötigen Wandel befindet. Bis Sommer 2022 sollen die Zimmer im Post Hotel Löwen saniert und teilweise neu gestaltet sowie die Küche ausgebaut werden, um anschliessend den durchgehenden Hotelbetrieb wieder aufzunehmen. Geplant ist zudem die Renovation der Weissen Villa. Das umfasst die Wiederherstellung der historischen Fassaden, die Sanierung des Daches, den Einbau einer Heizung und neuer sanitärer Anlagen sowie die Restaurierung der ursprünglichen Ausstattung. Giovanni Netzer von der Nova Fundaziun Origen blickt voraus: «Die Weisse Villa erzählt vom Schicksal der Bündner Zuckerbäcker, die einst die ganze Welt bereisten und ihre Marzipanstollen und Königskuchen von London bis Palermo, von Paris bis St. Petersburg feilboten. Der Designer Martin Leuthold gestaltet neue Teppiche und zarte Vorhänge für das ehrwürdige Haus.» Dazu gehören auch die Rekonstruktion des ursprünglichen Oberlichts, die Freskierung der Treppen und die Restauration der Tapeten. ●

Der feierliche grau-rote Salon mit kostbaren Deckengemälden aus den 1870er-Jahren lädt zum langen Verweilen ein.
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Der Fallerbach umspült das Haus.
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Nun trägt der «Löwe» unter anderem eine vierfach gestrichene grüne Lasur und dazu markante graue Fensterlaibungen.
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Die Verschiebung der direkt neben dem Post Hotel Löwen gelegenen Weissen Villa schuf die Grundlage für die Neustrukturierung und gewährt seitdem der Julierstrasse mehr Fläche.
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Das Café hat neue Geranienvorhänge von Martin Leuthold erhalten.
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Der feierliche grau-rote Salon mit kostbaren Deckengemälden aus den 1870er-Jahren lädt zum langen Verweilen ein.
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Das Fürstenzimmer steht künftig als Veranstaltungsraum für Vorträge oder private Anlässe zur Verfügung.
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Holografierende Diamantentapeten zieren das Prinzessinnenzimmer.
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