Weiterbauen – Die vertikale Erweiterung von Häusern

Qualitatives Verdichten und Weiterentwicklen ist eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit. Die Aufstockung des Bestandes bildet die anspruchsvollste Strategie der urbanen Nachverdichtung.

Erweiterung von Häusern
Die Aufstockung als Stahlskelett mit aussen liegendem Lastabtrag (rechts) und seiner Umhüllung mittels Backsteinmauerwerk (links). Fotomontage mit Bauzustand 1927 aus: Konstanty Gutschow und Hermann Zippel, Umbau, Julius Hoffmann Verlag Stuttgart, Stuttgart 1932.
Von Uwe Guntern (Redaktion)
Qualitatives Verdichten und Weiterentwicklen ist eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit. Die Aufstockung des Bestandes bildet die anspruchsvollste Strategie der urbanen Nachverdichtung.

Eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit ist das qualitative Verdichten und Weiterentwickeln bestehender Siedlungsstrukturen. Das nachhaltige Bauen ist die Erneuerung und Fortschreibung des Baubestandes. Das Rekonstruieren und das Entwickeln neuer Konzepte ist nicht länger eine Frage von Idealismus, sondern von Ressource und Ökonomie. Dabei sind die klügsten Erweiterungen in der Lage, die Qualitäten des Bestehenden zu steigern, ohne dessen Wirkung zu schmälern. Die Aufstockung des Bestandes bildet die anspruchsvollste Strategie der urbanen Nachverdichtung.

Aufstockung und Stahlbau

Seit jeher ist die Aufstockung eng mit dem Stahlbau verbunden. Die enorme Leistungsfähigkeit von Stahl ermöglichte seit seiner Einführung als Baustoff vor mehr als 100 Jahren Konstruktionen von ungeahnter Leichtigkeit und Spannweite und stellte tradiertes Bauwissen infrage. Das vertikale Weiterbauen historistischer Ordnungsprinzipien zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte durch den Stahlbau überhaupt erst verwirklicht werden. Die Aufstockung steht dabei exemplarisch für ein Spannungsverhältnis zwischen technischem Fortschritt und architektonischem Ideal. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wiederum diente die Zurschaustellung stählerner Konstruktionen der Loslösung vom Bestand. Mit der Jahrtausendwende schliesslich führte die Wiederentdeckung der Metamorphose von Bauwerken zurück zu Konzepten der Reformierung und Prinzipien der Komplettierung.

Neue Aktualität

Die Aufstockung hat derzeit, wie erwähnt, eine neue Aktualität gewonnen, und dies nicht zuletzt durch die Dikussion um die städtische Verdichtung . In diesem Kontext ist die Publikation «Weiterbauen in Stahl – Architektur der Aufstockung» zu sehen. Aus der Zusammenarbeit des Instituts Konstruktives Entwerfen (IKE) mit dem Stahlbau Zentrum Schweiz (SZS) entstand ein Buch, das den Blick auf die vertikale Erweiterung von Häusern richtet. Es ist ein interdisziplinäres Projekt von Architekten, Ingenieuren und Studierenden, das eine einzigartige Thematik des Bauens untersucht und theoretische und bautechnische Grundlagen erarbeitet. Die Autoren setzen dort an, wo durch die industrielle Herstellung und Weiterentwicklung von Stahl die Bedingungen für das Konzept der vertikalen Erweiterung grundlegend geändert werden. Der Zeitraum, in dem die vorgestellten Objekte angesiedelt sind, erstreckt sich von der Zwischenkriegszeit bis zum ausklingenden 20. Jahrhundert.

François Renaud weist in in seinem Vorwort darauf hin, dass sich forschendes Entwickeln in der Architektur durchaus auch entwerferischen Komponenten bediene. Es «besteht massgeblich darin, Fragen immer wieder grundsätzlich neu zu formulieren und die notwendige Zeit in Anspruch zu nehmen, um zu vielleicht unerwarteten Antworten, in jedem Fall aber zu guten, nicht nur richtigen Lösungen zu gelangen. Die unvoreingenommene Auseinandersetzung mit prinzipiell unentscheidbaren Fragen gibt dem Architekten die Freiheit der Wahl und ermöglicht ihm, die Verantwortung für seine Entscheidung zu übernehmen.» In diesem Sinn erweitern die Texte der Publikation das Blickfeld und eröffnen Fragestellungen, die als wertvolle und inspirierende Untersützung dienen können, um das bautechnische Repertoire von Aufstockung auch baukünstlerisch intelligent auszuweiten.

So sieht zum Beispiel Daniel Stockhammer in seinem einführenden Beitrag die Texte als Eröffung einer Forschung über Konzepte der Reaktivierung und Fortschreibung bestehender Architekturen. Die Neuentdeckung und Untersuchung «herausragender Beispiele soll zur Rekonstruktion von Wissen über eine äussertst bedeutsame, bislang jedoch wenig beachtete Thematik des Bauens beitragen – gleichsam für Architekten wie für Wissenschaftler. Mit dem Schwerpunkt Stahlbau Soll über die Kategorisierung nach konstruktiven und architektonischen Prinzipien ein neuer Zugang zur Bauaufgabe geschaffen werden.» ●

Stahl cover

Herausgeber Daniel Stockhammer, Astrid Staufer und Daniel Meyer; ZHAW Institut Konstruktives Entwerfen

Buchtitel Weiterbauen in Stahl. Architektur der Aufstockung

Verlag Park Books, Zürich 2018

ISBN 978-3-03860-057-2

Preis CHF 29.–

Weiterbauen stahl
Axonometrische Zeichnung Salamander- Schuhfabrik. Zeichnung: Institut Konstruktives Entwerfen
Wohnhaus
Aufstockungsprojekt Wohnhaus Ermatinger, Brunnadern SG. Foto: Daniel Stockhammer
Wohnhaus
Axonometrische Zeichnung Zeche Zollverein. Zeichnung: Institut Konstruktives Entwerfen
Wohnhaus cover
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