Vom Gasversorger zum CO₂-neutralen Lösungsanbieter

Als ehemaliger Gasversorger hat sich Energie 360° zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2040 auf erneuerbare Energieträger umzusteigen. Zusammen mit Immobilienbesitzern, Architekten, Institutionen und Gemeinden will das Unternehmen an Lösungen mit neuen Technologien arbeiten, um als Teil einer Smart City die Lebensqualität der folgenden Generationen zu sichern. Im Interview erläutert Andreas Zinsli, Bereichsleiter Netz, das Vorgehen des Unternehmens.

om Gasversorger zum CO₂-neutralen
Der Firmensitz von Energie 360° liegt in Zürich Altstetten.
Interview mit Andreas Zinsli von Energie 360°
Interview: Marianne Kürsteiner Fotos: Holger Jacob
Als ehemaliger Energieträger hat sich Energie 360° zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2040 auf erneuerbare Energieträger umzusteigen. Zusammen mit Immobilienbesitzern, Architekten, Institutionen und Gemeinden will das Unternehmen an Lösungen mit neuen Technologien arbeiten, um als Teil einer Smart City die Lebensqualität der folgenden Generationen zu sichern. Im Interview erläutert Andreas Zinsli, Bereichsleiter Netz, das Vorgehen des Unternehmens.
Was ist die Kernkompetenz von Energie 360°, und worin unterscheidet sich das Unternehmen von den traditionellen Netzanbietern wie den Elektrizitätswerken?
Einerseits versorgen wir die Kunden mit Wärme und Kälte, wobei der Fokus auf erneuerbaren Quellen wie Biogas liegt, andererseits bieten wir integrale Energielösungen für Arealentwicklungen und Liegenschaften an, darunter Ladeinfrastrukturen für Elektromobile. Wir unterscheiden uns von Elektrizitätswerken dadurch, dass wir kein Stromnetz haben und auch keines betreiben. Strom ist ein wichtiger Teil für die integralen Lösungen. Wir beziehen sozusagen die Dienstleistungen der Stromanbieter und arbeiten schweizweit mit ihnen zusammen.An welchen Standorten sind Sie aktiv?
Das Kerngeschäft ist in der Stadt Zürich gewachsen, doch wir sind längst nicht mehr nur in Zürich, sondern schweizweit tätig und verteilen die Leistung in der ganzen Schweiz, inklusive Romandie und Tessin. In Lausanne haben wir ein eigenes Büro mit Fachleuten aus der Romandie.Wer zählt zu Ihren Kunden?
Das sind sowohl Privat- als auch Geschäftskunden, industrielle Kunden und Gemeinden oder Städte. Die Stadt Zürich gehört zum Beispiel dazu.

Glauben Sie, dass die Schweiz die Herausforderungen des Klimawandels bewältigen wird? Und wenn ja, bis wann?
Zunächst einmal ist das eine weltweite Herausforderung. Es ist ganz entscheidend, dass sich die Grossen daran beteiligen. Die Schweiz wird sicher ihren Beitrag leisten. Das CO₂-Gesetz wurde zwar überraschenderweise abgelehnt, doch es wird viel Geld in Innovation und Forschung investiert, um das Klimaziel zu erreichen, vermutlich in kleineren Schritten, als es gedacht war. Zürich und Basel sind Vorreiter, und andere Städte werden folgen, sodass das Ziel Netto-Null 2040 realistisch ist. Ausserdem wird diskutiert, die Ziele früher als 2040 zu erreichen. Wir sind sicher ein wichtiger Player, indem wir Gemeinden bei der Energieplanung unterstützen und erneuerbare Lösungen finden.

Wie können Gemeinschaftsanschlüsse an das Fernwärmenetz dazu beitragen?
Bei einem Gemeinschaftsanschluss gibt es eine Zentrale, die sich die Kunden teilen. Das hat den Vorteil, dass man sich um fast nichts kümmern muss. Das ist sehr einfach, und man muss im eigenen Haus nicht viel installieren. Der Gemeinschaftsanschluss ist eigentlich ein Sorglospaket.

«Wir versuchen, möglichst synthetisches Gas einzusetzen: Biogas. Und in Zukunft könnte man Wasserstoff und andere Gase verwenden.» Andreas Zinsli

Wer sich dem Verbund anschliesst, wird mit Zuschüssen belohnt.
Die Zuschüsse orientieren sich meist an den Vorgaben des Kantons und der Stadt. Die Kunden können diese über uns beim Kanton oder bei der Stadt beantragen. Dabei achten wir darauf, diese optimal zu planen, da sie sich von Jahr zu Jahr unterscheiden.

Eine Solaranlage oder Wärmepumpe sowie die Kombination aus beiden für das Eigenheim wäre eine Alternative, um CO₂-Neutralität zu erreichen.
Das hängt sehr von der Region ab. Im Niederdorf in Zürich ist beispielsweise ein Wärmeverbund aus Platz- und Lärmemissionsgründen sicher sinnvoll. Man kann mehr Synergien nutzen, entweder über Biogas oder synthetisches Gas. Im Niederdorf sind die Gegebenheiten mit Architektur, Gebäudeschutz und so weiter höchst anspruchsvoll. Und beim Gas versuchen wir, möglichst synthetisches Gas einzusetzen. Zuerst einmal ist es Biogas. In Zukunft könnte man Wasserstoff und andere Gase verwenden. Ausserdem steht eine Sanierung des Netzes an. Derzeit diskutieren wir mit den Stadtwerken, welche Lösungen geeignet sind. Wichtig ist dabei, dass wir uns auf das Netto-Null-Ziel zubewegen.

Sie bieten Ladestationen mit Ökostrom für Elektromobile an. Wie können die tiefsten Energiepreise während der Ladevorgänge sichergestellt und Netzüberlastungen verhindert werden?
Das hängt mit künstlicher Intelligenz zusammen. In den Häusern stellen wir verschiedene Apps zur Verfügung, auch für unterwegs. Mit diesen Apps werden Daten vernetzt und darauf aufbauend Entscheidungen betreffend des Preises oder anderer Kriterien wie Wegewahl und Ökologie gefällt.

Inwieweit gibt es Überlegungen zu Wasserstoff?
Wir beschäftigen uns natürlich mit diesem Thema, und zwar punktuell in Pilotprojekten. Zurzeit prüfen wir zudem, ob man Wasserstoff ins Gasnetz einspeisen kann. Es existieren jedoch noch keine Netze, um damit Lastwagen und Autos zu betanken. Das wird sehr anspruchsvoll werden. Ich persönlich glaube vielmehr an vollständige Wasserstoffnetze, Micropits, Tankstellen, Leitungen, vielleicht noch an ein Flusskraftwerk, das Wasserstoff herstellt, sodass das aus diesem Bereich entsteht.

Arbeiten Sie diesbezüglich mit Forschungsinstitutionen zusammen, oder betreiben Sie eigene Forschung?
Wir arbeiten mit Forschungsinstitutionen zusammen. Zum Beispiel in Österreich im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts namens «Underground Sun Conversion – Flexible Storage» (USC-FlexStore). Damit wollen wir technische, betriebliche, wirtschaftliche, ökologische und regulatorische Aspekte der Geomethanisierung untersuchen und den Nachweis für die Machbarkeit als saisonale Speicherlösung mit hohem Volumen erbringen.

Wie realistisch schätzen Sie Ideen wie zum Beispiel von Elon Musk ein, das Energienetz trotz der zunehmenden Zahl volatiler Stromlieferanten mithilfe virtueller Kraftwerke zu stabilisieren?
Im Gegensatz zu einem traditionellen Netz mit grossen Kraftwerken, die Hunderte von Häusern mit Strom versorgen, würden die Paneele Energie sammeln und Batterien in Wohnhäusern aufladen. Diese Energie könnte dann wieder in das Netz eingespeist und an andere Häuser verteilt werden, wodurch quasi Miniaturkraftwerke entstünden.

Wie realistisch schätzen Sie diesen Plan ein? Haben Sie schon davon gehört, und gedenken Sie, etwas in diese Richtung zu unternehmen?
Es stellt sich eher die Frage, ob zentral oder dezentral. Wenn Musk eine solche Idee entwickelt, dann schmunzelt man zunächst vielleicht etwas darüber. Doch er ist sehr visionär und setzt viele seiner Ideen um. Wir werden das sicher weiterverfolgen.

Ich persönlich halte einen Mix für klug. Es ist sicher sehr sinnvoll, wenn man Solarstrom und Speicher für sich selbst autark herstellen kann. Nun gibt es aber Orte, die im Winter nicht so viel Sonne oder andere Engpässe haben. Vermutlich wird es einen Mix von solch kleinen Netzen untereinander für den Eigenverbrauch geben, und wahrscheinlich gibt es immer noch grössere Netze an gewissen Orten. Die Frage ist natürlich, wo es das grössere wirtschaftliche Miteinander gibt. Ökologisch muss es ja sein, das ist keine Frage. Die Speicher müssen sich weiterentwickeln, und deren Entsorgung muss sichergestellt werden.

Es braucht Visionäre wie Musk, die etwas voranbringen und etwas komplett infrage stellen. Wir von Energie 360° denken im 5- oder 10-Jahres-Plan und überlegen uns, wo wir den Kunden sinnvolle Lösungen anbieten können.

Welches Potenzial sehen Sie in Smart Citys, und welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die Energieversorgung und die Energieversorger?
Smart Citys, das ist natürlich ein grosser Begriff, der nicht nur mit der Energieversorgung zu tun hat, sondern mit vielen Faktoren, welche die Lebensqualität erhöhen. Städte und Gemeinden smart zu machen, entspringt dem Wunsch nach Autonomie. Viele weitere Aspekte der Smart City steigern die Lebensqualität der Städte: smarte Energieversorgung für stabile Netze, autonomes Fahren und so weiter, und das Ganze wirtschaftlich und ökologisch.

«Wir sind heute längst nicht mehr nur in Zürich, sondern schweizweit tätig, inklusive Romandie und Tessin.» Andreas Zinsli

In welcher Weise sind Energieversorgungsunternehmen (EVU) in den Planungsprozess mit Building Information Modeling (BIM) eingebunden?
Im Hochbau sind die EVU meist schon eingebunden. In der Stadt Zürich zum Beispiel sind wir Mitglied einer Arbeitsgruppe, die das Planen mit BIM etablieren möchte. Dort versuchen wir, unsere Anlagen zu integrieren. Es gibt es noch einige Herausforderungen zu meistern, beispielsweise in der Normierung. Ist das erst einmal im Hoch- und Tiefbau umgesetzt, wird das ein Gamechanger. Es ist gewaltig, was man alles machen könnte, wenn man im Hoch- und Tiefbau in der Stadt alles aufgenommen hat. Man könnte viel einfacher planen.

Wie können EVU zu einem optimalen Planungsprozess mit BIM beitragen?
Indem wir als EVU mit unseren Anlagen die Daten zur Verfügung stellen und sie veröffentlichen. Dabei muss natürlich die bestehende Gesetzgebung, insbesondere bezüglich Datenschutz, eingehalten werden. ●

Zur Person

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Andreas Zinsli arbeitet seit vier Jahren als Bereichsleiter Netz bei Energie 360°. Dem ursprünglich aus Chur stammenden Elektroingenieur und Betriebswirtschafter war es immer wichtig, Theorie in Taten umzusetzen. In der Schweiz war er schon in manchen Regionen tätig, das heisst im Bernbiet, in Zürich, in Basel und zum Teil auch im Ausland wie in Italien, Portugal und Deutschland. Seine Karriere startete er bei Siemens im Telekommunikationsbereich. Danach war er bei den SBB für den Energiebereich verantwortlich, wo das Thema Smart Grid bereits eine wichtige Rolle spielte. Anschliessend wirkte er in Baselland im Stromsektor, bevor er zu Energie 360° wechselte.

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Andreas Zinsli im Gespräch.
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Ein Relikt aus den Ursprungszeiten dekoriert den Innenhof des neuen Firmengebäudes.
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Ladeinfrastruktur für Elektromobile.
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