Interview zur Entstehung von JED in Schlieren.

«Wandel von einem einst dunklen, introvertierten Gemäuer in einen offenen wie öffentlichen Bau»

Im Interview geben Jessica Mentz, Asso­ciate von Evolution Design und JED-Projektleiterin, sowie Stefan Camenzind, Partner & Executive Director von Evolution Design, weiteren Einblick in den Umbau der ehemaligen NZZ-Druckerei.

 

Was führte zum Umbau der ehrwürdigen Druckerei und zum Wandel in der Nutzung?
Stefan Camenzind: Das ehemalige Areal der Wagonsfabrik hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert. Am Dienstag, 30. Juni 2015, wurde hier das letzte Blatt der NZZ gedruckt. Laut NZZ wurde das hauseigene Druckzentrum in Schlieren aus Kostengründen geschlossen. Das Areal wurde an die Swiss Prime Site verkauft, die zu den bedeutendsten Immobiliengesellschaften der Schweiz zählt und zukunftsorientierte Arbeits- und Lebensräume entwickelt. Mit dem JED wurde ein neuartiges Konzept erstellt, das für Schlieren wieder ein neues Kapitel öffnet.

Jessica Mentz: Die neuen Eigentümer Swiss Prime Site wollten ein neues Zentrum für Wissenstransfer, Innovation und Unternehmertum kreieren. Die ehemalige NZZ-Druckerei, nahe am Bahnhof gelegen, bot dafür den idealen Standort. JED führt mittlere und grosse Firmen aus verschiedenen Branchen zu einem Think- und Work-Tank für Business, Industrie und Gewerbe zusammen. Die alten Industriegebäude – Hallenbau und Kopfbau – wurden in einen modernen und dynamischen Hub von rund 36 000 Quadratmetern transformiert, der ein attraktives Angebot von Büro­flächen, Gastronomie, Sport und Unterhaltung zur Verfügung stellt.

 

Ist der Umbau Teil eines übergeordneten städtebaulichen Konzepts?
Jessica Mentz: JED befindet sich aus mehreren Gründen in einer strategisch sehr guten Lage. Schlieren und im Speziellen das JED-Areal sind sehr interessante Cluster für diverse Industrien.

Schlieren gehört zu den Zentren der Start-up-Förderung in der Schweiz. Seit der Jahrtausendwende ist hier, vor den Toren Zürichs, ein Start-up-Ökosystem entstanden, zu dem rund 200 Jung­unternehmen aus den Branchen Biotech, Medtech, IT, Robotik sowie generell ­Innovation und Technologie gehören. ­Schlieren und JED sind nun durch die Limmattalbahn erschlossen. Künftig soll im Limmattal auf einer Strecke von über 13 Kilometern eine moderne Stadtbahn verkehren. Leistungsfähige Zweirichtungsfahrzeuge werden die verschiedenen Wohn- und Arbeitsgebiete zwischen Zürich Altstetten, Schlieren, Urdorf, Dietikon, Spreitenbach und Killwangen im Viertelstundentakt verknüpfen und zugleich an das übergeordnete S-Bahn-Netz anbinden. Die erste Etappe der Limmattalbahn von Zürich Altstetten bis nach Schlieren ist Ende August 2019 eröffnet worden.

Des Weiteren entsteht im westlichen Teil des JED-Areals bis Ende 2023 ein neues Gebäude, das mit rund 14 000 Quadratmetern die Vision von Swiss Prime Site komplettieren wird. Die Immobilie, die von Baumschlager Eberle entworfen wurde, entsteht nach dem Konzept «2226» (Massivbauweise) und kommt ohne Heizung, Lüftung, Kühlung und Zuführung von Fremden­ergie aus. Die Temperatur in den Innenräumen wird konstant 22 bis 26 Grad Celsius betragen. Minimale technische Installationen sorgen dafür, dass die Luftqualität sich auf natürliche Weise im optimalen Wohlfühlbereich befindet. Das Gebäude wird nach Fertigstellung sowohl über ausserordentlich grosse zusammenhängende als auch einfach zu unterteilende kleinere Flächen verfügen.

Neben Büroräumlichkeiten gibt es in den JED-Gebäuden unter anderem Orte für den Austausch und öffentlich zugängliche Treffpunkte, wie der im Sommer 2021 eröffnete Platz bei der Haltestelle Wagonsfabrik. Dort laden nun Bänke und ein kunstvoller Trinkbrunnen zum Verweilen ein. Was früher eine Fläche der Wagonsfabrik war, die nicht betreten werden konnte, ist heute an dieser städte­baulich wichtigen Stelle ein öffentlich zugänglicher Platz.

 

Welche Massnahmen an der bestehenden Bausubstanz mussten vorgenommen werden?
Jessica Mentz: Unsere Aufgabe war es, die beiden Bestandsgebäude sowie die Aussenräume so um- und auszubauen, dass sie der Vision von JED vollumfänglich entsprechen – das heisst, dass sämtliche Räume die gewünschten Effekte von Wissenstransfer, Kreativität und Innovation optimal ermöglichen und unterstützen.

Stefan Camenzind: Uns schwebte ein offenes Konzept vor. Wir wollten den eingemieteten Unternehmen eine grosse Raum- und Nutzungsvielfalt zum Arbeiten und Sichaustauschen bieten, aber auch die Gebäude für die Allgemeinheit öffnen. Sämtliche Gebäude sind deshalb neu von verschiedenen Seiten erschlossen. Statt wie zuvor die Passanten um das Areal herumzuführen, kann man nun das Zentrum diagonal durchqueren.

Jessica Mentz: Um die Bestandsgebäude in ihren Formen und Strukturen zu erhalten, aber gleichzeitig die Mietflächen zu optimieren, haben wir ein ­additives Konzept entwickelt, mit dem der Bestand erweitert wurde und Alt und Neu miteinander verwoben wurden. In den ehemaligen Druckhallen sowie Heizungs- und Lüftungsanlageräumen entstanden neue Arbeitswelten, die durch eine Aufstockung und grossflächig eingefügte Dachoberlichter von Tageslicht durchflutet werden.

Besondere Ankerpunkte schaffen zwei Atrien, die jeweils im Zentrum der beiden Mietflächen liegen: Sie verbinden alle Geschosse vom Unter- bis zum Dachgeschoss und bringen Tageslicht in das komplexe Raumgefüge. Die Arbeitswelt an sich ist in Büros, Work­lounges und Kreativzonen unterteilt, in deren Mittelzonen zwischen den Arbeits­plätzen Rückzugsmöglichkeiten und Sitzungszimmer eingerichtet sind.

Das grosse Portal im Westen des Hallenbaus schafft mit acht Metern Höhe eine einladende Geste zum Herzstück des Umbaus – dem grosszügigen L-förmigen Foyer mit Empfang sowie Café-Bar mit eigener Rösterei. Eine spektakuläre Treppe mit integrierten Sitzmöglichkeiten leitet die Besuchenden über eine neu eingebaute Stahlgalerie zur Eventhalle und zu einer Lounge im ersten Geschoss. Das kleinere Portal im Süden ist ein weiterer beeindruckender Zugang zu den öffentlichen Be­reichen. Was einst ein schmaler und dunkler Korridor war, wurde zu einer lichtdurchfluteten Halle mit einer inszenierten Rampe erweitert – einem Design-Statement, das ebenfalls zu der Eventhalle führt.

In den ehemaligen Lagerräumen des Kantinenrestaurants wurde das kulinarische Herz des JED-Areals platziert: Das Restaurant Eve’s Kitchen im industriellen Stil besticht durch eine offene Küche und hochwertiges Mobiliar, einen grosszügigen Barbereich und die Ein­bindung historischer Elemente aus der NZZ-Ära.

Sämtliche neu gestalteten Elemente sind als Stahlkonstruktion ausgeführt und in einem dunklen Anthrazit gehalten. Das Neue setzt sich so sichtbar von der Bestandsfassade aus Backstein, den roten Fensterelementen und den weissen Fachwerkkonstruktionen der Dächer ab. Am auffälligsten ist das neu geschaffene dritte Obergeschoss, das sich als vier Meter hohes Volumen auf der ursprünglichen Dachfläche erstreckt und, eingebettet zwischen den ehema­ligen Technikzentralen, den sogenannten Hallenbau mit dem Kopfbau verbindet. Die Konstruktion ergänzen zwei hohe Fenstergauben, die der weitläufigen Dachlandschaft einen markanten Ausdruck verleihen.

 

Auf welche Schwierigkeiten der ­bestehenden Bausubstanz musste reagiert werden und in welcher Weise?
Stefan Camenzind: Die grösste Herausforderung war, einen respektvollen Weg zu finden, wie man ein historisches und industrielles Druckzentrum in einen modernen und menschenorientierten Hub umwandelt, ohne seinen unverwechselbaren Charakter zu verlieren. 18 Meter hohe Hallen in moderne Arbeits- und Veranstaltungsorte zu verwandeln und dabei die Geschichte, die Originalität und die räumlichen Qualitäten des Gebäudes zu bewahren, ist nicht leicht. Unser Team musste alle Anforderungen in Bezug auf Komfort (Heizung, Lüftung, Kühlung), natürliches Licht, Akustik und IT-Infrastruktur berücksichtigen. Unser Ziel war es, ein aufregendes und lebendiges Zentrum für Innovation, Unternehmertum und Wissenstransfer in einem einzigartigen industriellen Umfeld zu schaffen.

 

Welche gebäudetechnischen Verände­rungen wurden vorgenommen? Wie konnte dadurch die Energieeffizienz des Gebäudes verbessert werden?
Jessica Mentz: Die gesamte Gebäudetechnik wurde ausgetauscht. Die alte Ölheizung und die alten Kältemaschinen wurden durch einen Fernwärme- und Fernkälteanschluss ersetzt, die Lüftungen wurden den Nutzungen entsprechend neu erstellt.

Das Lüftungskonzept für die öffent­lichen Räume widerspiegelt eine intelligente und energieeffiziente Lösung im Gesamtkonzept. Das System wird von nur einem Monoblock gesteuert, und das mit einer Gesamtluftwechselrate von 23 000 m³/h; es erkennt Menschenansammlungen und -ströme und schaltet entsprechend zwischen den beiden Hallen um. Ein Monoblock anstelle von zwei (d. h. einer pro Halle) reduziert Energie und Kosten um fast 50 Prozent.

Darüber hinaus trägt eine Photo­voltaikanlage auf dem Dach zur Energieerzeugung bei.

 

Gibt es Elemente im Gebäude, die auf die eindrückliche Geschichte ­verweisen?
Jessica Mentz: Das grössere Bestands­gebäude, der sogenannte Hallenbau, reflektiert die eindrückliche Geschichte des ehemaligen NZZ-Druckzentrums im Wesentlichen. Sämtliche Räume – als Resultat aus ihrer Historie und Nutzung als Druckerei – bieten eine einmalige grossräumige Gebäudestruktur und Stärke. Die ehemaligen Druckhallen sind massive, in ihrer Dimensionierung einzigartige Bauten, in denen vor sieben Jahren noch grosse Maschinen ihren Dienst taten. In der heutigen Eventhalle ist das grosszügige Raumgefühl be­sonders präsent. Die Halle nutzt das vom Industrieflair geprägte Ambiente der ersten historischen Druckhalle aus rohem Beton mit einer imposanten Höhe von 11,5 Metern und einer Länge von knapp 60 Metern. Die Halle blieb nahezu unverändert; hinzugefügt wurde nur die auf erster Ebene auskragende Stahlgalerie. Schöner Blickfang ist das alte Logo der «Neuen Zürcher Zeitung».

 

Welche Vorteile bringt die moderne Infrastruktur?
Stefan Camenzind: Das architektonische Konzept gewährleistet zum einen eine räumliche Vielfalt, die auf jeder Ebene in strukturell wie qualitativ unterschiedlichster Form den Bestand mit Neuem vereint. Zum anderen weist es eine Flexibilität auf, die Freiraum für die Gestaltung und die Organisation ganz nach Bedarf des Mietenden ermöglicht.

Das Wechselspiel von unterschiedlich hohen zu geschlossenen Räumen schafft ein spannungsvolles Umfeld, das trotz der Offenheit zahlreiche Rückzugsmöglichkeiten zur Verfügung stellt.

JED zeigt damit den Wandel von einem einst dunklen, introvertierten Gemäuer zu einem offenen wie öffentlichen Bau, der den Mietenden, Nutzenden und Besuchenden eine einmalige Raum- und Nutzungsvielfalt zum Arbeiten und Treffen bietet.

 

Hat der Ort ehemalige Funktionen des Druckzentrums beibehalten?
Jessica Mentz: Die Funktionalität des Gastrobereichs wurde teilweise beibehalten. Dort, wo sich früher die Betriebskantine befand, wurde das neue Hauptrestaurant des Areals, das «Eve’s Kitchen», eröffnet. Somit wurden dunkle, leere Räume in ein öffentliches und modernes Restaurant transformiert.

«Eve’s Kitchen» ist in drei Bereiche unterteilt, wovon jeder seinen eigenen Charakter hat: das Restaurant, das französische Küche sowie regionale und saisonale Gerichte serviert, der einladende Tavolata-Tisch, an dem kreative Ideen geboren und Geschäftspläne geteilt werden können, und die imposante 12 Meter lange Bar aus Stahl, um sich mit Freunden zu treffen oder den Erfolg eines Tages zu feiern.

Die gesamte Frontfassade ist mit versenkbaren Glastüren gestaltet, die zu einer Terrasse mit Blick auf den neu gestalteten öffentlichen Platz führen, was zu einer nahtlosen Verbindung zwischen innen und aussen beiträgt. Dieses Gefühl der Offenheit wird ausserdem mit dem ausklappbaren Fenster deutlich, durch das Passanten und die am Gemeinschaftstisch sitzenden Personen das geschäftige Treiben in der lebhaften Küche miterleben können. ●

Interview zur Entstehung von JED in Schlieren.
Jessica Mentz, Associate von ­Evolution Design und JED-Projektleiterin | Stefan Camenzind, Partner & Executive Director von Evolution Design
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