«BIM-Modelle sind Organismen, die sich unentwegt verändern»

Nationalmuseum Katar
Automatische Kollisionsdetektion und eine möglichst einfache parametrisierte Nachführung von Planungsdaten sowie Änderungen waren unter anderem Bestandteil des Planungsänderungsmanagements. Grafiken: Werner Sobek
Interview mit Projektleiter Thomas Winterstetter
Prof. Dr. Thomas Winterstetter, Vorstand und Partner der Werner Sobek AG, betreute das Projekt «Nationalmuseum Katar» als verantwortlicher Projektleiter für den Bereich Fassadenplanung und erlaubt einen tiefen Einblick in die Planung des Prestigeprojekts.Ab welcher Planungsphase haben Sie das Projekt begleitet?
Auf der Basis einer Leitdetailplanung und der Ausschreibung von Jean Nouvel wurde das Gesamtprojekt Ende 2011 an den koreanischen Generalunternehmer Hyundai vergeben. Im Mai 2012 wurden wir um einen Honorarvorschlag für die Planung der komplexen Gebäudehülle gebeten. Konzeption, Optimierung und die komplette 3-D-Planung aller Metallbaukomponenten der Sekundärstruktur – inklusive der Werkstattpläne für die Details und die statischen Berechnungen – gehörten zum Leistungsumfang.Was war besonders herausfordernd?
Der baubegleitende Planungsprozess erforderte ein hocheffizientes Planungsänderungsmanagement. Grund dafür waren die zueinander versetzten 539 Disken. Eine automatische Kollisionsdetektion und eine möglichst einfache parametrisierte Nachführung von Planungsdaten waren Bestandteile dieses Managements.

Entsprechend anspruchsvoll war sicherlich die Koordination aller Projektbeteiligten.
Eines unserer Teams, bestehend aus Architekten und Ingenieuren, war durchgehend auf der Baustelle präsent. Es war für Baustellenüberwachung, Schnittstellenkoordination und Planungszuweisung an ausführende lokale Firmen zuständig. Neben profundem Fachwissen war eine hohe interkulturelle Kompetenz in der Zusammenarbeit mit Beteiligten aus Ost- und Südasien, den Golfstaaten, den USA und Europa unerlässlich. Es kamen unter anderem zwölf grosse Turmdrehkrane und mehrere Mobilkrane zum Einsatz. Präzise Organisation stellte die Anlieferung und die Lagerhaltung auf der Baustelle sicher. In Spitzenzeiten waren bis zu 3500 Arbeiter sowie 300 Architekten und Ingenieure auf der Baustelle tätig, zum grossen Teil im 24-7-Schichtbetrieb.

Weshalb rekrutierte man ein Spezialunternehmen für die Abstimmung der BIM-Prozesse?
Es diente als Schnittstelle aller Beteiligten und fungiert als reiner BIM-Manager, unter anderem mit Clash-Control-Routinen und File-Handling. Internationale Grossprojekte sind auf solche Instanzen angewiesen. Dutzende weltweit agierende Firmen zählten zum Planungsteam. BIM-Modelle sind Organismen, die sich unentwegt verändern. Die Firmengruppe Werner Sobek war deshalb mit drei Büros in unterschiedlichen Kontinenten beteiligt, um die technologische Kompetenz im Engineering und im Umgang mit den BIM-Werkzeugen sicherzustellen.

Wie optimierte man die Planung hinsichtlich Strukturierung und zeitlicher Abläufe?
Der baubegleitende Planungsprozess verursachte permanente Anpassungen des 3-D-BIM-Modells in allen Gewerken und erforderte somit ein hocheffizientes Planungsänderungsmanagement. Automatische Kollisionsdetektion und eine möglichst einfache parametrisierte Nachführung von Planungsdaten sowie Änderungen waren unter anderem Bestandteil dieses Managements.

Wie wurden Kollisionen im BIM-Projekt bewältigt?
Als Projektleiter betreute ich diese Prozesse vor Ort oder an unseren verschiedenen Standorten – mit Unterstützung durch Teilprojektleiter oder Baustellenrepräsentanten. Im Falle des Nationalmuseums hat das Spezialunternehmen die eingestellten 3-D-BIM-Daten laufend einer Kollisionsprüfung unterzogen. Die Daten unserer Planungspakete wurden abends eingespeist, und der BIM-Manager in Kalifornien kontrollierte sie auf Kollisionen. Am Morgen haben wir diese anhand der Clash-Reports behoben. Eine wahrhaft globale Arbeitsteilung!

Welche technischen Massnahmen waren für die konstruktive Realisierung der Scheiben erforderlich?
Der zentrale Punkt war eine im Hintergrund laufende Rationalisierung und Optimierung der Konstruktion. Diese Rationalisierung sollte man dem scheinbar willkürlich geformten skulpturalen Gebäude mit seinen gezackten Paneelen nicht ansehen. Die Paneele folgen einer bestimmten rotationssymmetrischen Logik. Ein radialer Strang von Paneelen ist in Ringrichtung kopiert und ergibt durch seine Fugenzeichnung das insgesamt sehr irregulär, organisch-kristallin erscheinende Bild der Gebäudehülle. Dieses Grundmuster ist bei allen Disken gleich, sodass hierdurch eine gewisse Vereinfachung erreicht werden konnte. Allerdings erhöhten die über 30 verschiedenen Grössen – von 9 bis zu 87 Metern Durchmesser – und zahlreiche Überschneidungen die Komplexität. Unterschiedliche Schnittstellen und geometrische Verschneidungssituationen mussten deshalb in ein durchgehendes, optimiertes Unterkonstruktionssystem integriert werden. Dafür waren parametrische 3-D-Design-Werkzeuge und ein hoch spezialisiertes Bearbeitungsteam notwendig. FRC-Cladding und Koordinationsrevisionen erzeugten Daten von etwa 700 GB – im Einzelnen waren das 12 000 3-D-Dateien und rund 4000 2-D-Zeichnungen.

Die internationalen Vorgaben hinsichtlich der Anwendung von BIM variieren. Wie stellt man sich darauf ein?
Natürlich gibt es immer wieder lokal unterschiedliche Vorgaben. In der Regel finden die zumeist international tätigen und erfahrenen Planungsbeteiligten aber schnell einen geeigneten Modus Vivendi. Mit BIM kommunizieren wir schneller, präziser und detaillierter mit anderen Planern sowie Bauherrschaft und ausführenden Firmen. Zudem beschleunigt und erleichtert es interne und externe Abstimmungsprozesse. Wir können so die Auswirkungen unterschiedlicher Ansätze auf das Gesamtkonstrukt und einzelne Gewerke mit relativ überschaubarem Aufwand überprüfen. Bei vielen Projekten sind BIM-Modelle an Berechnungsmodelle gekoppelt, sodass es einen permanenten Qualitätsabgleich über die Grenzen einzelner Softwareprogramme hinaus gibt. Dazu verwenden wir BIM-Modelle zur gewerkübergreifenden Kollisionskontrolle, zur Erzeugung von Plänen und zur Mengenermittlung.

Wie konnten die klimatischen Bedingungen bewältigt werden?
Unser Auftraggeber schob einen Grossteil der Arbeiten auf die Nachtstunden und setzte Arbeiter aus tropischen Herkunftsländern ein. Die extremen Temperaturbedingungen wirkten sich auch auf das Material aus. Thermisch bedingte Verformungen der Glasfaser-Beton-Paneele, insbesondere auch Schwinden, mussten produktionstechnisch und planerisch berücksichtigt werden. Auch die Tatsache, dass die vor Ort verfügbaren Subunternehmer oft nicht über eine mit unseren Breiten vergleichbare Erfahrung und Qualifikation verfügten, erforderten eine absolut «narrensichere» Planung und intensive Überwachungs- und Sicherungsmassnahmen.

Hatte die oft kritisch beäugte politische Situation in Katar Auswirkungen auf die Planung?
Wir haben persönlich keine politische Einflussnahme auf die Planung festgestellt – im Vordergrund stand immer der gemeinsame Wunsch, ein herausragendes Bauwerk in höchster Qualität zu realisieren. Der fachliche Austausch mit allen Beteiligten war dabei stets intensiv und von hoher Qualität. ●

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Thomas Winterstetter
Prof. Dr. Thomas Winterstetter, Vorstand und Partner der Werner Sobek AG
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